Lexikon der Astronomie: Milchstraße
Der klare Nachthimmel präsentiert uns Myriaden von Sternen. Beobachtet man die Verteilung der Sterne sehr genau, so fällt schon mit bloßem Auge auf, dass sich einige davon in einer Art Band zu häufen scheinen. Dieses Band umspannt den ganzen Globus. Es verläuft am Nordhimmel beispielsweise durch die Sternbilder Schlangenträger, Leier, Kepheus, Cassiopeia, Perseus, Fuhrmann und Zwillinge. Mit einem Feldstecher oder einem Fernrohr lässt sich das Band in viele Einzelsterne auflösen. Wir haben hier das Band der Milchstraße entdeckt.
Zuhause in der Milchstraße
Die Milchstraße ist eine gigantische Ansammlung von Sternen, und wir befinden uns mittendrin. Solche Sternsysteme heißen Galaxien. Die Milchstraße (engl. Milky Way) ist unsere Heimatgalaxie – es gibt aber noch viel mehr Galaxien im Universum: etwa einige hundert Milliarden!
Die Milchstraße besteht aus einigen hundert Milliarden Sternen, die sich zusammen mit leuchtendem Gas und kalten Staub in einer gigantischen, rotierenden Materiescheibe angesammelt haben. Diese Materiescheibe hat einen Durchmesser von gut 100000 Lichtjahren, eine Masse von etwa 40 Milliarden Sonnenmassen und heißt galaktische Scheibe. Im Abstand von etwa 26000 Lichtjahren vom Zentrum der Scheibe umkreisen wir Erdlinge mit der Sonne das Zentrum der Milchstraße. Die Scheibe erscheint am Himmel als das Milchstraßenband. Schon das Band verrät uns daher viel über die Struktur der Milchstraße. Außerdem zeigen genauere astronomische Messungen, dass die Scheibe eine innere, spiralförmige Struktur besitzt. Die Milchstraße ist eine Spiralgalaxie.
Nach innen verdickt sich die Scheibe zu einem nuklearen Sternhaufen. Diese Verdickung nennen die Astronomen Bulge (engl.: 'Verdickung, Wulst'; ausgesprochen wie 'balsch') oder Sphäroid. Wie eine riesige, kugelförmige Kuppel umspannt die Scheibe der galaktische Halo. In dieser Kugelschale tummeln sich tausende Kugelsternhaufen, die ihrerseits etwa 100000 sehr alte Sterne beherbergen (z.B. Weiße Zwerge, RR Lyrae-Sterne, siehe auch Population).
Didaktisches zu galaktisch & extragalaktisch
Alles, was sich innerhalb der Milchstraße befindet, wird mit dem Attribut galaktisch bedacht, z.B. Galaktischer Schwarz-Loch-Kandidat (Galaktische Schwarze Löcher dürfen also nicht mit supermassereichen Schwarzen Löchern in den Zentren von Galaxien verwechselt werden!). Alles, was sich außerhalb der Milchstraße befindet, erhält das Attribut extragalaktisch.
Ein infraroter Blick auf die Milchstraße
Wir befinden uns in der Milchstraße, so dass wir uns kein Bild der Milchstraße von außen machen können. Die Astronomen können jedoch faszinierende Innenansichten einer Galaxie fotografieren:
Das Falschfarbenbild oben (große Version) ist kein Gemälde oder eine Computersimulation, sondern basiert tatsächlich auf vielen Einzelbeobachtungen. Es zeigt den ganzen Himmel (All Sky Survey; dargestellt im galaktischen Koordinatensystem) im Licht der Infrarotstrahlung bei 2 Mikrometer Wellenlänge (Credit: 2MASS, University of Massachusetts und JPL/NASA). Strahlung bei dieser etwas höheren Wellenlänge als rotes Licht hat den Vorteil, dass sie den Staub in der Milchstraße mühelos durchdringt. Im Optischen ist die Sicht entlang der galaktischen Scheibe, insbesondere ins Zentrum der Milchstraße stark beeinträchtigt durch Staub. Erst bei Radio-, Infrarot oder auch bei harter Röntgenstrahlung ist die Sicht ungetrübt.
Das Foto zeigt nun das Band der Milchstraße, das sich von links nach rechts zieht. Das helle Zentrum der Milchstraße ist klar in der Bildmitte zu erkennen. Auch der Bulge ist gut zu sehen: die Verteilung der Sterne verdichtet sich zum Zentrum und formt eine Verdickung. Nach oben und unten nimmt die Sterndichte deutlich ab, weil das die Regionen ober- bzw. unterhalb der galaktischen Scheibe sind. Hier tummeln sich noch einige Sterne; vor allem ist das die Region des kuppelförmigen Halos, in dem sich die Kugelsternhaufen, die ältesten Objekte der Milchstraße, befinden.
Nachbarn der Milchstraße
Im Bild sind außerdem unten rechts ('auf 4 Uhr') zwei Flecken zu sehen. Das sind nicht etwa Planetarische Nebel oder Kugelsternhaufen – es sind ebenfalls Galaxien! Es sind die beiden Magellanischen Wolken: die Große Magellanische Wolke (engl. Large Magellanic Cloud, LMC) und die Kleine Magellanische Wolke (engl. Small Magellanic Cloud, SMC). Die Galaxien begleiten die Milchstraße als eigenständige Galaxien jeweils in etwa 50 kpc Entfernung. Es sind also extragalaktische Systeme. Die Magellanischen Wolken sind deutlich masseärmer als die Milchstraße und haben sich durch die Gezeitenwechselwirkung stark verändert. Es sind irreguläre Galaxien geworden (siehe auch Hubble-Klassifikation). Von Europa aus sind die Magellanischen Wolken leider nicht zu sehen, aber auf der Südhalbkugel der Erde sind LMC und SMC gut zu beobachten und erscheinen als diffuse, kugelige Wölkchen.
In größerer Entfernung gibt es noch einen weiteren Nachbarn der Milchstraße: die Andromedagalaxie (Messierobjekt M31) ist 667 kpc entfernt. Die Andromedagalaxie zeigt einen Blauverschiebungseffekt gegenüber der Milchstraße, weil sich beide durch die Wirkung der Gravitation aufeinander zu bewegen. Früher oder später werden die beiden Galaxien zusammenstoßen und miteinander verschmelzen. Von außen betrachtet wird dieser Verschmelzungsprozess so ähnlich aussehen, wie er schon jetzt bei den Antennengalaxien beobachtet werden kann (siehe Foto unter Gezeitenkräfte, Abschnitt 'Galaxienhochzeit'). Kosmologisch gesehen ist die Entfernung zwischen Andromeda und Milchstraße noch zu klein, als dass die kosmologische Rotverschiebung ins Gewicht fallen würde. Deshalb kann es lokal noch zu Blauverschiebungen kommen.
Andromeda ähnelt sehr der Milchstraße in Gestalt (Morphologie) und Masse. Beide Galaxien dominieren eine Ansammlung von Galaxien. Dieser Galaxienhaufen heißt Lokale Gruppe. Neben Andromeda, LMC, SMC sowie Dreiecksgalaxie gibt es viele kleine Zwerggalaxien in der Lokalen Gruppe. Einige von ihnen werden von Dunkler Materie dominiert und sind extrem leuchtschwach (siehe Eintrag Dunkle Materie, Abschnitt 'Galaktischer Gasdiebstahl').
Ein zweiter Blick auf die Milchstraße
Das Bild oben zeigt im Wesentlichen die Sterne in der Milchstraße. Wenn die Astronomen die Wellenlänge um den Faktor 30 bis 100 erhöhen, dringen sie noch tiefer in das Infrarote ein. Die Milchstraße sieht dann anders aus:
Dieses Foto (große Version) zeigt den kosmischen Infrarothintergrund (Credit: COBE/DIRBE/NASA, M. Hauser 1998). Es ist ein Falschfarbenbild, bei dem blau einer Wellenlänge von 60, grün einer Wellenlänge von 100 und rot einer Wellenlänge von 240 Mikrometern zugeordnet wurde. Das Band der Milchstraße erscheint nun hell und diffus, weil hier interstellares Gas und Staub leuchten. Das interstellare Gas wiegt etwa 5 Milliarden Sonnenmassen (Robin et al. 2003). In der Scheibenebene scheint es förmlich zu kochen: Sternexplosionen wie die Supernovae und kräftige Sternenwinde treiben das interstellare Material heraus aus der Ebene und 'pusten' es zu hohen, galaktischen Breiten. Astronomen nennen die aufsteigenden, extrem schnellen Gaswolken Superblasen (engl. superbubbles). Sie werden auch im Radiobereich beobachtet. In der Milchstraße geht es ziemlich turbulent zu!
Bei den höheren Wellenlängen sind die Magellanischen Wolken viel besser zu sehen, als im Beispiel oben und erscheinen hier als weiße Flecken rechts unten. Außerdem fällt eine blaue, S-förmige Struktur auf, die sich von links unten durch das Zentrum der Milchstraße nach rechts oben zieht. Wir erinnern uns: blau ist die kürzeste Wellenlänge von 60 Mikrometern. Das ist gerade interplanetarer Staub, der sich im Sonnensystem befindet (siehe auch Zodiakallicht). Dieser 'Staub vor unserer Haustür' trübt die Sicht ins Weltall. Wir sehen hier in blau also nichts anderes als die Ebene der Ekliptik! Entlang des blauen Bands ordnen sich die zwölf Tierkreiszeichen an. Genau in der Mitte, im Galaktischen Zentrum, befindet sich das Sternbild Schütze (Sagittarius, Sgr).
Das Monster im Zentrum der Milchstraße
Im Galaktischen Zentrum (Sgr A*) befindet sich wie in (nahezu) jeder Galaxie eine hochkompakte, dunkle Masse. Sie ist dunkel, weil die Gravitation das Licht einfängt. Dieser Gravitationsrotverschiebungseffekt kann nur mit Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie verstanden werden.
Eine genaue Analyse der Sternbewegungen im Zentrum der Milchstraße mithilfe von Nahinfrarotbeobachtungen (Infrarotgruppe um Reinhard Genzel, MPE) ergibt, dass die kompakte Masse ein supermassereiches Schwarzes Loch von etwa 3.6 Millionen Sonnenmassen sein muss!
Ein dritter Blick: Die Milchstraße im Röntgenlicht
Der unter deutscher Führung betriebene Röntgensatellit ROSAT war von 1990 bis 1999 aktiv. Das MPE Garching ist das wichtigste Datenzentrum für ROSAT. Die erfolgreiche ROSAT-Mission hat die Röntgenastronomie mit vielen neuen Erkenntnissen bereichert. Der Röntgenhimmel bildet spektakuläre und sehr energiereiche, kosmische Prozesse ab. In der Milchstraße sind prominente Röntgenquellen heißes Gas, Supernovaremnants und Röntgendoppelsterne; in der extragalaktischen Röntgenastronomie kommen vor allem die hellen Zentren anderer Galaxien, die Aktiven Galaktischen Kerne (AGN), und das sehr heiße, intergalaktische Plasma dazu.
Die folgende Himmelskarte fasst die ROSAT-Daten zu einem Bild des ganzen Röntgenhimmels zusammen:
Es handelt sich dabei um diffuse, weiche Röntgenstrahlung zwischen 0.1 und 2 keV Strahlungsenergie, die als Falschfarbenbild dargestellt wurde (Credit: Röntgengruppe MPE; große Version): das Energieband zwischen 0.1 und 0.4 keV wurde rot, zwischen 0.5 und 0.9 keV gelbgrün und das energiereichste Band zwischen 0.9 und 2 keV blau dargestellt. Das galaktische Halo trägt zum energieärmsten Band bei und erscheint rot. Heiße Gasblasen mit einigen Million Kelvin Temperatur erscheinen gelbgrün. Die energiereichste Emission stammt von Supernovaüberresten und dem Zentrum der Milchstraße. Die weiße, extrem helle Quelle innerhalb der galaktischen Ebene rechts ist der Vela-Supernovaüberrest, der intensiv mit ROSAT untersucht wurde (siehe auch Velapulsar). Die weiße, helle Punktquelle in der galaktischen Ebene links vom Zentrum ist Cygnus X-1, ein Röntgendoppelstern, der ein stellares Schwarzes Loch mit etwa 10 Sonnenmassen enthält. Einige blaue Punkte sind extragalaktische Punktquellen wie AGN – viele Punktquellen wurden jedoch zur Erstellung des Bildes abgezogen. Die dunklen Streifen sind Artefakte von der Datenauswertung.
Ein vierter Blick: Gammahimmel der Milchstraße
Ein bestimmtes Isotop des Elements Aluminium (Al-26) ist radioaktiv und ein β+-Strahler: ein Proton im Atomkern verwandelt sich durch Beta-Zerfall in ein Neutron, ein Positron und ein Antineutrino, so dass aus Aluminium das neue Element Magnesium wird. Dabei entsteht ein hochangeregter Magnesiumatomkern Mg∗, der sich durch Aussendung hochenergetischer Gammaphotonen der Energie 1809 keV abregt. Diese aus dem Gamma-Zerfall entstandene Strahlung hat eine so hohe Energie, dass sie mühelos alles durchdringt.
Was hat das mit der Milchstraße zu tun? Dieses Aluminium wird wie viele andere Elemente von massereichen Sternen in der Milchstraße erzeugt. Es reichert sich mit der Zeit im interstellaren Medium an, weil die Sterne es durch starke Winde (Wolf-Rayet-Phasen) in die Umgebung befördern. Da Al-26 mit einer Halbwertszeit von 720000 Jahren zerfällt, sollte die Gammastrahlung des angeregten Tochterkerns Mg-26 nachweisbar sein. In der Tat gibt es diese Strahlung und die folgende Abbildung zeigt den ganzen Himmel im Licht der hochenergetischen Aluminiumspektrallinie bei 1809 keV (Credit: CGRO/COMPTEL, Plüschke et al. 2001; große Version):
In dieser Spektrallinie stecken sehr viele Informationen: wie man auf der Himmelskarte sieht, gibt es offensichtlich eine Häufung von Aluminium in der Galaktischen Ebene und dort speziell nahe am Galaktische Zentrum. Das verwundert nicht, weil dort die meisten Sterne zu finden sind, die dieses Material in der stellaren Nukleosynthese hergestellt haben. Die Emission von Al-26 bildet also direkt die Population massereicher, junger Sterne ab. Ausgedehnte Sternentstehungsregionen mit vielen jungen, massereichen Sternen treten besonders hervor. Auf der Karte ist sind beispielsweise die Cygnus-Region (in der galaktischen Ebene, roter Fleck ganz links) und der Orionnebel (etwas unterhalb der galaktischen Ebene, grüner Fleck ganz rechts).
Aufgrund des Doppler-Effekts wird die Spektrallinie verändert, je nachdem wie sich das emittierende Material relativ zur Erde bewegt. Tatsächlich belegt die breite Linienform die galaktische Rotation der Milchstraße. Weiterhin konnte mit neuen, hochpräzisen Beobachtungsdaten des ESA-Teleskops Integral aus dem Linienfluss, zunächst auf die Gesamtmasse des Aluminiums und schließlich auf die Rate der Supernovae (Typen Ib, Ic, II) in unserer Heimatgalaxie geschlossen werden: die Rate liegt bei 1.9 ± 1.1 pro Jahrhundert (Diehl et al., Nature 2006). Dieses Ergebnis ist in Übereinstimmung mit anderen Methoden.
Weitere Literatur
- Web-Artikel: Das größte Schwarze Loch der Milchstraße
- ROSAT am MPE
- R. Diehl (MPE): Al-26 Radioaktivität in unserer Galaxis
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