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Lexikon der Astronomie: mittelschwere Schwarze Löcher

Die Schwarzen Löcher können anhand ihrer Masse klassifiziert werden. Als wohl etablierte Klassen gelten die stellaren Schwarze Löcher (ca. 3 bis 100 Sonnenmassen), die aus dem Gravitationskollaps massereicher Sterne hervorgehen und die supermassereichen Schwarzen Löcher (ca. 1 Mio. bis 10 Mrd. Sonnenmassen), die sich in den Zentren von Galaxien, insbesondere von Aktiven Galaktischen Kernen befinden. Die mittelschweren Schwarzen Löcher sind nun solche, die soviel Masse haben, dass sie zwischen die Massendomänen von stellaren und supermassereichen Schwarzen Löchern fallen, nämlich 100 bis 1 Mio. Sonnenmassen. In den letzten Jahren haben astronomische Beobachtungen die Existenz dieser in der Fachsprache auch intermediate-mass black holes (IMBHs) genannten Löcher nahe gelegt. Dabei ist eine Häufung im Massenbereich zwischen 1000 und 10000 Sonnenmassen festzustellen. Gibt es wirklich mittelschwere Schwarze Löcher?

Refugien mittelschwerer Löcher

Die Systeme, in denen mittelschwere Schwarze Löcher enthalten sein sollen, sind junge Sternhaufen, Kugelsternhaufen und Zwerggalaxien. Die Löcher verraten sich aus der Bewegung der Sterne im Haufen bzw. der Galaxie oder durch ultrahelle Röntgenquellen. Im Folgenden sollen diese Beobachtungen vorgestellt werden.

zwei Sternhaufen im Röntgen- und Infrarotlicht

Junge Sternhaufen in M82

Der junge Sternhaufen MGG 11 ist etwa 200 pc vom Zentrum der Starburstgalaxie M82 entfernt. Dieser Haufen enthält eine helle Röntgenquelle. Die beste Erklärung dafür ist ein Schwarzes Loch mit mindestens 350 Sonnenmassen – ein IMBH. Simulationen mit dem japanischen Supercomputer GRAPE-6 konnten zeigen, dass dynamische Reibung im Sternhaufen (kein Kugelsternhaufen!) dazu führen kann, dass die Sterne (typischerweise Hauptreihensterne mit 30-50 Sonnenmassen) ins Haufenzentrum auf kreisförmigen Bahnen absinken und zusammenstoßen (Zwart et al. 2004). In der Astrophysik heißen solche Verschmelzungsprozesse runaway mergers. Dabei kann ein supermassereicher Superstern von 800 bis 3000 Sonnenmassen entstehen. Supersterne mit mehr als 260 Sonnenmassen explodieren ohne großen Massenverlust in Supernovae (Heger et al. 2003), so dass der Superstern in MGG 11 direkt zu einem IMBH kollabierte. Akkretierte diese mittelschwere Schwarze Loch nun Gas oder Sterne, so kann die ultrahelle Röntgenquelle zünden. Dieser so genannte ULX (engl. ultraluminous X-ray source) wurde tatsächlich bei MGG 11 mit Chandra beobachtet. ULXs haben ihrer Definition nach Röntgenleuchtkräfte zwischen 1039 und 1041erg/s im Band zwischen 0.2 und 10 keV. Die Bezeichnung M82 X-1 ('hellste Röntgenquelle in M82') ist somit plausibel.
Die Simulationen erklären auch, dass der Nachbarhaufen MGG 9 kein IMBH produzieren kann, weil er zu groß ist: Dadurch ist die Zeitskala für dynamische Reibung deutlich größer, so dass die massereichen Sterne in Supernovae explodieren, noch bevor sie das Zentrum erreichen. MGG 9 enthält daher kein IMBH und keine helle Röntgenquelle (Zwart et al. 2004).
Das Beobachtungsfoto oben (Credit: CXC/NASA 2004) zeigt in orange die Zentralregion von M82 wie sie mit dem US-amerikanischen Röntgenteleskop Chandra beobachtet wurde (Credit: Matsumoto et al. 2001; Detektion des ULX in M82). Die Quadrate entsprechen den Positionen der beiden jungen, etwa 10 Millionen Jahre alten Sternhaufen MGG 9 und MGG 11, die in den Ecken vergrößert und in blau im Licht der Wärmestrahlung zu sehen sind (Credit: McCrady et al. 2003).
M82 X-1 zeigt außerdem Quasi-periodische Oszillationen und eine relativistisch verbreiterte Eisenlinie (Strohmayer & Mushotzky 2003). Der QPO weist darauf hin, dass M82 X-1 tatsächlich sehr kompakt sein muss: aus der gemessenen QPO-Frequenz folgt eine Ausdehnung von höchstens vier Sonnenradien! Nimmt man an, dass die höchste QPO-Frequenz mit einer Keplerbahn auf dem marginal stabilen Orbit um ein Schwarzschild-Loch assoziiert sei, folgt die Lochmasse zu höchstens 18700 Sonnenmassen. Die Diskrepanz zur oben angegebenen kleineren Lochmasse verwundert – und in der Tat werden QPOs in diesem Fall nicht als zuverlässige Massenindikatoren angesehen.

IMBH in Kugelsternhaufen

Michele Trenti hat die Dynamik von Kugelsternhaufen und die Signaturen von IMBHs darin untersucht (Arbeiten von 2006). Er vermutet, dass ähnliche Sternzusammenstöße wie in den jungen Sternhaufen auch in alten Sternhaufen wie den Kugelsternhaufen geschehen. Dabei arbeiten zwei Prozesse gegeneinander: Das Haufenzentrum heizt sich durch die Sternzusammenstöße auf; durch die Expansion des Haufens gibt es eine Dissipation dieser Wärme, d.h. eine Abkühlung. Ob sich nun im Haufen ein IMBH bildet, hängt davon ab, welcher der beiden Prozesse dominiert.
Trenti konnte zeigen, dass das Verhältnis zweier charakteristischer Haufenradien, dem Kernradius rc über dem Halbmassenradius rh, sich nach einiger Zeit immer bei etwa 0.3 einstellt, falls im Haufen ein IMBH existiert. Das geschieht mehr oder weniger unabhängig vom Dichteprofil der Sterne im Haufen. Numerische Untersuchungen auf der Basis von N-Körper-Simulationen zeigen, dass das Radienverhältnis ohne IMBH deutlich abweichende Werte annimmt: rc/rh ~ 0.02, falls der Haufen aus Einzelsternen besteht oder rc/rh ~ 0.05, falls der Haufen aus Doppelsternen besteht. Deutlich größere, beobachtete Quotienten rc/rh > 0.5 könnten sogar auf ein Binär-IMBH hinweisen! Trenti kommt mithilfe des Radienkriteriums zu dem Schluss, dass mehr als die Hälfte der 57 Kugelsternhaufen im betrachteten Sample innerhalb der Milchstraße ein mittelschweres Loch enthalten sollten. Es ist nicht leicht, diese Zahl zu verallgemeinern, weil sicherlich Auswahleffekte involviert sind – stimmt diese Überlegung jedoch, so haben wir es mit einer nicht unbedingt erwarteten Zahl mittelschwerer Löcher allein in der Milchstraße zu tun.
Es gibt zwei Kugelsternhaufen, die als sehr gute Kandidaten für Wirte mittelschwerer Schwarzer Löcher gelten, nämlich M15 und G1. Unsicherheiten, die eine klare Aussage über ein IMBH beeinträchtigen, liegen einerseits in der präzisen Bestimmung der Sternkinematik im jeweiligen Haufen begründet; andererseits ist die Lokalisierung von Röntgenquellen schwierig.
M15 ist ein galaktischer Kugelsternhaufen, der im Sternbild Pegasus liegt. Er sitzt wie alle Kugelsternhaufen der Milchstraße im galaktischen Halo und ist von der Erde etwa 9.8 kpc entfernt. Aus den Sternbewegungen folgt hier kinematisch eine Lochmasse von etwa 3400 Sonnenmassen innerhalb einer Zentralregion von nur 0.05 pc (van den Bosch et al. 2005).
Der andere Kugelsternhaufen G1 gehört hingegen nicht zur Milchstraße, sondern bewegt sich im Halo der Andromedagalaxie. Es verwundert daher nicht, dass G1 mit 720 kpc deutlich weiter weg ist – entsprechend schwieriger gestaltet sich die Auflösung des Haufens in Einzelsterne. Dieser Kugelsternhaufen ist mit 10 Mio. Sonnenmassen der massereichste Kugelsternhaufen überhaupt. Aus den Sternbewegungen um das Zentrum folgt hier sogar eine Lochmasse von etwa 18000 Sonnenmassen (Gebhardt et al. 2005).

IMBH in Zwerggalaxien

Die Lochmassen, die man in Kugelsternhaufen vermutet, sind schon beeindruckend, wie das letzte Beispiel G1 zeigt. Diese Massen können durch die mittelschweren Massen in Zwerggalaxien übertrumpft werden.
Ein Beispiel ist die Seyfert-ZwerggalaxieNGC 4395 im Sternbild Jagdhunde. Die Entfernung beträgt 4.2 Mpc. Die Masse des zentralen mittelschweren Schwarzen Loches beträgt etwa 10000 bis 100000 Sonnenmassen (Shih et al., 2003), maximal allerdings etwa 6.2 Mio. Sonnenmassen (Filippenko & Ho, 2003).
Die zweite elliptische, ebenfalls aktive Zwerggalaxie heißt POX 52 und ist etwa 93 Mpc entfernt. Die Sternbewegungen um den Galaxienkern deuten auf eine kompakte Zentralmasse von 160000 Sonnenmassen hin (Barth et al. 2003, 2004). Stimmt die Massenangabe tatsächlich, so würde POX 52 gerade an die Massengrenze reichen, die zu den supermassereichen Schwarzen Löchern führt.
Schließlich wurde vor kurzem ein weiterer IMBH-Kandidat in einer Zwerg-Seyfertgalaxie aus dem Sloan Digital Sky Survey gefunden. Die Zwerggalaxie hat den Katalognamen SDSS J160531.84+174826.1 und weist eine kosmologische Rotverschiebung von z = 0.032 auf. Die Lochmasse wurde in diesem Fall aus der Doppler-Verbreiterung der Spektrallinie Hα kinematisch zu 70000 Sonnenmassen bestimmt (Dong et al. 2006).

weitere Typen Schwarzer Löcher

Physiker und Astronomen spekulieren über die Existenz Schwarzer Löcher am unteren Ende der Massenskala. Dafür haben sich die Namen Mini-Löcher (siehe dazu unter Schwarze Löcher) und primordiale Schwarze Löcher eingebürgert. Es bestehen allerdings derzeit noch berechtigte Zweifel an deren Existenz.

wissenschaftliche Publikationen & Quellen

  • Matsumoto et al.: Discovery of a Luminous, Variable, Off-Center Source in the Nucleus of M82 with the Chandra High-Resolution Camera, ApJ 547, L25, 2001
  • Zwart et al.: Formation of massive black holes through runaway collisions in dense young star clusters, Nature 428, 724, 2004
  • Strohmayer & Mushotzky: Discovery of X-ray quasi-periodic Oscillations from an Ultraluminous X-ray source in M82: Evidence against Beaming, ApJ 586, L61, 2003
  • Trenti, M.: Dynamical evidence for intermediate mass black holes in old globular clusters, Preprint unter astro-ph/0612040
  • Trenti et al.: Star Clusters with Primordial Binaries: III. Dynamical Interaction between Binaries and an Intermediate Mass Black Hole, Preprint unter astro-ph/0610342
  • Dong et al.: SDSS J160531.84+174826.1: A Dwarf Disk Galaxy With An Intermediate-Mass Black Hole, Preprint unter astro-ph/0610145
  • Web-Artikel: Kompakte Objekte des Himmels mit mehr Einzelheiten zu diesen und weiteren Himmelsobjekten
  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

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