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Lexikon der Astronomie: Poynting-Fluss

Der Poynting-Fluss ist ein elektromagnetischer Energie-Fluss, der durch Magnetfelder getrieben wird. Die Astrophysiker rechnen in der Theorie Poynting-Flüsse aus, um die Plasmaphysik diverser kosmischer Objekte zu verstehen.

Wozu braucht man das?

Generell hängen Poynting-Flüsse mit einer physikalischen Disziplin zusammen, die Magnetohydrodynamik (MHD) heißt. Hier werden die physikalischen Gesetze der Fluiddynamik und Elektrodynamik verknüpft – das klingt kompliziert, und das ist es leider auch. Zur Lösung der MHD-Differentialgleichungen sind die Physiker fast ausnahmslos auf Computer angewiesen.

Beispiele: Plasmaphysik der Sonne und der Schwarzen Löcher

Wesentliche Anwendungen sind die Sonnenphysik, genauer gesagt die solare MHD, sowie die Physik Schwarzen Löchern, hier die allgemein relativistische MHD auf der Kerr-Geometrie. Der Poynting-Fluss wird im Falle der Sonne von der Photosphäre emittiert. Bei rotierenden Schwarzen Löchern gibt es um den Ereignishorizont den Bereich der Ergoregion, den nach außen durch die Ergosphäre begrenzt ist. Ragt die innere Akkretionsscheibe bis in die Ergoregion herein, sprechen Astrophysiker von ergosphärischen Akkretionsscheiben. Der Poynting-Fluss kann unter dieser Voraussetzung von der inneren Scheibenoberfläche abgestrahlt werden. In beiden Fällen – Sonne und Kerr-Loch – betrachten Astrophysiker magnetische Flussröhren (engl. flux tubes). Im Prinzip sind das Magnetfeldlinien, die von den elektrischen Ladungen im Plasma erzeugt (induziert) werden. Die Dynamik und Wechselwirkung der Flussröhren bestimmt gerade, wie Plasma aus der Oberfläche der Sonne bzw. Akkretionsscheibe gerissen wird.

magnetische Energie wird Bewegungsenergie

Nun kommt ein Mechanismus ins Spiel, der in der MHD Rekonnexion genannt wird. Dies meint gerade den Vorgang, bei dem Magnetfeldlinien entgegengesetzter Polarität vernichtet werden. Dabei wird magnetische Energie frei, die in den Feldlinien gespeichert ist: sie wird in kinetische Energie des Plasmas umgewandelt. Die Magnetfeldlinien durchstoßen die Oberfläche des Plasmas. Bei der Sonne bilden sich an diesen Stellen gerade die Sonnenflecken aus. Das Plasma wird entlang der Magnetfeldlinien aus der Oberfläche extrahiert und durch magnetische Wellen, so genannte Alfvén-Wellen, weiter getrieben (siehe auch Alfvén-Geschwindigkeit). Dadurch entsteht ein ausfließender Partikelstrom. Bei der Sonne nennen das die Astrophysiker den Sonnenwind, ansonsten sprechen sie generell von einem Teilchenwind.
Die Beschreibung der Flussröhren mit sieben Erhaltungsgrößen führt schließlich über die Betrachtung der Vierer-Geschwindigkeiten auf die Wind-Gleichungen, die in der solaren MHD den Sonnenwind beschreiben und in der MHD magnetisierter Akkretionsscheiben einen Teilchenwind liefern (siehe dazu auch Blandford-Payne-Szenario).

MHD bei aktiven Galaxien

Solche Winde sind wichtig bei besonders aktiven Zentren von Galaxien, den Aktiven Galaktischen Kernen (AGN), z.B. bei Quasaren oder Radiogalaxien. Denn allgemein nehmen Astrophysiker an, dass die Scheibenwinde und Poynting-Flüsse das Jetplasma speisen. Ein weiterer Effekt, der dabei eine Rolle zu spielen scheint, ist der Blandford-Znajek-Mechanismus. Die zentralen Ausflüsse des AGN werden auf der großen Längenskala in Anwesenheit von Magnetfeldern durch Lorentzkräfte zu den relativistischen Jets der AGN gebündelt. Diese Bündelung breiter Plasmaausflüsse nennen die Physiker Kollimation. Sie vollzieht sich erst bei viel größeren Abständen zum Schwarzen Loch, typischerweise ab 100 Schwarzschildradien.

generelle Bedeutung

Das mag sich nun insgesamt sehr theoretisch und kompliziert anhören, aber diese magnetischen Prozesse sind von Bedeutung – für den kosmischen Materiekreislauf und letzten Endes auch für Menschen. Weshalb? Nun, die Materiestrahlen, die von Akkretionsscheibe und Schwarzem Loch herausgeschossen werden, können sich unglaublich weit von ihrem Entstehungsort entfernen: bis zu kpc und Mpc! Auf einer ganz großen Längenskala, die vergleichbar ist mit dem Durchmesser ganzer Galaxien und Galaxienhaufen, finden hier Umwälzungsprozesse von Materie statt. Die verschiedenen Elemente, die sich im Materiekonglomerat befinden, werden durchmischt. Die Metallizität verteilt sich gleichmäßig. Das ist aber gerade die unabdingbare Voraussetzung für die Bildung komplexer Moleküle, die aus verschiedenen Elementen bestehen – und damit für Leben. Aus der Vogelperspektive betrachtet wird klar, das aktive, supermassereiche Schwarze Löcher entscheidend an unserer Existenz beteiligt waren.

  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

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