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Lexikon der Astronomie: Quantengravitation

Hinter dieser Bezeichnung (oft abgekürzt mit QG) verbirgt sich der Versuch, eine quantisierte Theorie der Gravitation zu formulieren. Die Gravitation ist die letzte der vier fundamentalen Naturkräfte, zu der eine bewährte Quantenfeldtheorie (QFT) fehlt. Aber es gibt aussichtsreiche Anwärter auf eine Quantengravitation: Stringtheorien und Loop-Quantengravitation.

Motivation: Erfolge mit Quantenfeldtheorien

Der Siegeszug des Quantisierungsapparats der Quantenfeldtheorien begann mit der Beschreibung der elektromagnetischen Kraft (QuantenElektroDynamik), starken Kraft (QuantenChromoDynamik) und schließlich der schwachen Kraft und mündete in Vereinigungstheorien, wie elektroschwacher Theorie und Grand Unified Theories. Eine Vereinheitlichungaller Wechselwirkungen gelang bisher trotz jahrzehntelanger Anstrengungen nicht: Die Physiker suchen immer noch fieberhaft nach der Unified Theory (UT) oder auch Theory Of Everything (TOE) genannt.

Einsteins Gravitation

Das beste theoretische Konstrukt für die Gravitation ist bisher Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie (ART). Sie ist jedoch eine klassische Theorie und trägt der Quantennatur der Materie nicht Rechnung. So gibt es keine Unschärfe von Ort und Impuls, keine Wahrscheinlichkeitsinterpretation (siehe auch Kopenhagener Deutung), keine Dekohärenz, keine Wellenfunktion in der Relativitätstheorie. Ihre Welt ist vierdimensional (drei Raum- und eine Zeitdimension) und die zentrale Aussage ist, dass Masse (=Energie) die Raumzeit krümmt. Das 'Wie?' beschreiben die Einsteinschen Feldgleichungen: die linke Seite enthält die gekrümmte Raumzeit in Form des Einstein-Tensors, die rechte Seite die Energieformen in der Raumzeit in Gestalt des Energie-Impuls-Tensors.

Was soll sie haben, die Quantengravitation?

Die Physiker postulieren in einer Quantenfeldtheorie der Gravitation ein Tensorboson als Austausch- und Botenteilchen, das Graviton. Tensoriell heißt, dass es Spin 2 aufweist. Immer wenn die Gravitationskraft (in der Sprache der Newtonschen Gravitationsphysik) zwischen massebehafteten Teilchen wirkt, wird das Graviton ausgetauscht. Der Kern des Problems ist die Renormierbarkeit einer solchen Theorie. Es tauchen Unendlichkeiten auf, die man nicht ohne weiteres los wird.

Anwärter 1: Stringtheorien

Ein erster guter Ansatz besteht in den Stringtheorien bzw. der M-Theorie. Die M-Theorie ist ein übergeordnetes Konstrukt, für das es Anzeichen gibt, weil die fünf Stringtheorien mittels mysteriöser, mathematischer Relationen (den Dualitäten) verknüpft zu sein scheinen. Die M-Theorie ist bislang nur den Physikern nur ausschnittartig bekannt und hypothetisch. Diese Theorien enthalten 'automatisch' ein Spin-2-Teilchen – also das, was sich die Physiker für eine Quantengravitation gewünscht haben.
Die Stringtheorien haben noch eine weitere, faszinierende Eigenschaft: gegenüber der vierdimensionalen Raumzeit der ART sind weitere Dimensionen implementiert, die man als Extradimensionen bezeichnet. Das haben die Stringtheorien mit der Kaluza-Klein-Theorie gemein. Allerdings gibt es in der Natur bislang keine Evidenzen für weitere Raumdimensionen. Aus diesem Grund glauben die Stringtheoretiker, dass diese zusätzlichen Dimensionen auf kleinen Längenskalen kompaktifiziert sind. So macht sich ihr Einfluss erst bei kleinen Abständen bemerkbar. Z.B. wäre durch die Extradimensionen das klassische Newtonsche Gravitationsgesetz modifiziert und der charakteristische Abfall der Gravitationskraft mit r-2 könnte stattdessen einem r-4-Gesetz folgen. Dies versuchen Physiker experimentell mit verschiedenen Methoden (beschrieben unter dem Eintrag Extradimension) zu verifizieren – bislang erfolglos.
Eine noch erstaunlichere Konsequenz der Extradimensionen ist die Reduktion der fundamentalen Planck-Skala von 1019GeV auf den TeV-Bereich. Anschaulich würde die relative Stärke der Gravitation dann schon bei TeV-Energien derjenigen der starken Wechselwirkung entsprechen. In dieser so genannten TeV-Quantengravitation (engl. TeV quantum gravity), die die Stringtheoretiker mithilfe von Branen beschreiben, wird davon ausgegangen, dass die Gravitation in allen Dimensionen – den klassischen vier und den Extradimensionen – wirkt, während die Felder des Standardmodells der Teilchenphysik auf einen Unterraum, einer 3-Bran, beschränkt sind. Das hätte zur Folge, dass bereits bei TeV-Experimenten in modernen Teilchenbeschleunigern Gravitonen angeregt werden könnten und diese womöglich in die Extradimensionen entkommen könnten (im Fachjargon: escape to the bulk). Der Experimentator würde einen verletzten Energieerhaltungssatz messen, weil diese Gravitonen Energie fortgetragen hätten. Solche Signaturen werden in den Teilchenbeschleunigern der neusten Generation gesucht. Ihr Nachweis wäre deshalb sensationell, weil die Physiker eine Spur hätten, die sie zum Ziel Quantengravitation leiten würde.
Die Stringtheorien bieten eine Reihe theoretisch betrachtet attraktiver Eigenschaften, aber gibt es eine Reihe von Phänomen, für die die Natur bisher keine oder wenig Anhaltspunkte geliefert hat. Diese Bringschuld der Stringtheorien steht noch aus. Ein viel versprechendes Prinzip, das Gravitation und Stringtheorien verknüpft, ist die AdS/CFT-Korrespondenz.

Anwärter 2: Loop-Quantengravitation

Die Stringtheorien haben jedoch einen ernst zu nehmenden Konkurrenten: die Loop-Quantengravitation (LQG). Diese quantisierte Gravitationstheorie folgt allein aus den Konzepten der Allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantenmechanik. Sie wurde seit etwa 1986 (Ashtekar, Sen, Smolin, Jacobsen, Rovelli, Thiemann und andere) entwickelt und hat eine radikal neue Sichtweise der Welt. Die Quanten dieser Theorie sind Wilson-Loops bzw. Spin-Netzwerke. Mit dieser Basis lassen sich sämtliche physikalische Größen beschreiben. Gemäß dieser Theorie ist die Raumzeit tatsächlich quantisiert in Volumenquanten, die Größenordnungen im Bereich der (nicht reduzierten) Planck-Skala haben. Darüber hinaus ist auch die Zeit quantisiert, in diskrete Portionen der Planck-Zeit. Die LQG kommt ohne Extradimensionen aus, erfordert auch keine Supersymmetrie (SUSY) und zielt nicht auf eine Vereinheitlichung der Naturkräfte ab, was sie deutlich von den Stringtheorien unterscheidet. Sollten sich weitere Raumdimensionen und SUSY-Teilchen weiterhin als nicht verifizierbar erweisen, so könnte sich die Loop-Quantengravitation als besserer Kandidat für eine Quantengravitation erweisen. Aber auch hier gilt: die LQG bietet attraktive Eigenschaften, hat aber keine experimentellen Stützen.

Strings oder Loops oder...?

Die Physiker verfügen also noch nicht über eine bewährte Quantengravitation, aber sie arbeiten daran, dass sich die Konzepte testen, stützen oder widerlegen lassen, um der Natur dieses Geheimnis zu entlocken.

  • Die Autoren
- Dr. Andreas Müller, München

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