Lexikon der Astronomie: Staubtorus
Der Staubtorus (engl. dusty torus oder molecular torus) ist ein sehr ausgedehntes, schlauchförmiges Gebilde, das sich in Aktiven Galaktischen Kernen (AGN) weiter außen, bei einigen 104Gravitationsradien bzw. typischerweise auf der pc-Skala befindet. Der Torus befindet sich weit genug weg vom supermassereichen Schwarzen Loch, so dass die Newtonsche Gravitationsphysik vollkommen ausreichend ist, um die Tori physikalisch zu beschreiben.
Eigenschaften des Staubtorus
Der Staubtorus ist recht groß: 104 (bei kleinen AGN wie den Seyfert-Galaxien) bis 108 Sonnenmassen (bei Quasaren und Blazaren) ist sein Anteil an der gesamten Galaxie. Allerdings findet man ihn nicht in allen Galaxien, wie bisherige Beobachtungen besagen: In elliptischen Galaxien (siehe auch Hubbletyp) beispielsweise ist der Staubtorus sehr schwach ausgeprägt.
Der Staubtorus besteht aus relativ kaltem Material: typische Temperaturen liegen zwischen 100 und 1500 Kelvin. Dieser Temperaturbereich ist so gering, dass sich hier nur einige Moleküle wie PAKs (Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe), Silikate (Silizium-Sauerstoffverbindungen) und Graphit (Kohlenstoff) nachweisen lassen. Dabei überwiegt der Anteil an Silikaten. Diese Spezies machen sich durch Moleküllinien und Infrarotemission bemerkbar. Die IR-Emission ist reprozessierte hochenergetische Strahlung (Ultraviolett-, Röntgen-, Gammastrahlung, kurz UVXGamma) aus dem Zentrum des AGN. Sie wird beim Strahlungstransport durch den Torus stark abgeschwächt (Extinktion). Dieses Szenario muss man sich so vorstellen, dass energiereiche Strahlung aus dem heißen Zentrum der aktiven Galaxie das kalte Material des Staubtorus erreicht und daran gestreut wird. Bei diesem Streuvorgang verlieren die harten Photonen Energie und werden zu weichen Infrarotphotonen.
Die obere Temperaturgrenze von etwa 1500 Kelvin markiert gerade die Sublimationstemperatur für Staub. Am Innenrand des Staubtorus bildet sich daher eine Sublimationskante aus: Die intensive, hochenergetische Strahlung sublimiert das Torusmaterial, d.h. der Aggregatszustand des Staubs ändert sich direkt von fest nach gasförmig (vergleiche Kometenschweif aus sublimiertem Material der Koma). Von einigen nahen Seyfert-Galaxien vom Typ 2 erhofft man sich die Abbildung einer X-förmigen Struktur, die gerade die innere Berandung des Staubtorus in Emission zeigt. Diese Aufnahme soll mithilfe interferometrischer IR-Teleskope (ISO, SIRTF=Spitzer-Teleskop) gemacht werden. Die Morphologie des Staubtorus wird unterschiedlich modelliert: In einem 'patchworkartigen Modell' (engl. patchy model) besteht er aus einzelnen, zerrupften Staubwolken, die eine gewisse Transparenz (selbst bei Typ 2) zulassen. Die Alternative besteht in einer axialsymmetrischen Verteilung, die eher opak ist.
Woher kommt der Staub?
Der Staub dieses toroidalen Objekts stammt von den Sternen: rote Riesen und AGB-Sterne (auf dem asymptotischen Riesenast – asymptotic giant branch – im HRD) blasen am Ende ihrer Sternentwicklung Materie in das interstellare Medium. Dabei bilden sich die farbenprächtigen Planetarischen Nebel. Viele dieser massearmen Sterne (Massen weniger als etwa 1.2 Sonnenmassen) einer Galaxie haben dieses Stadium bereits hinter sich und haben sich in Weiße Zwerge verwandelt. Die Astronomen gehen davon aus, dass typischerweise 10% aller Sterne Weiße Zwerge sind. Der Staub besitzt auch Drehimpuls weshalb sich unter Annahme eines konstanten, spezifischen Drehimpulses die Geometrie eines Torus ausbildet.
Staubtorus ist nicht stabil
Diese Konfiguration ist allerdings nicht stabil: Die Papaloizou-Pringle-Instabilität (PPI) besagt, dass nicht-axiale Störungen kleiner Ordnung jede Toruskonfiguration zerstören. Diese Instabilität wächst auf der dynamischen Zeitskala (Keplerrotation am Torusinnenrand, Schalllaufzeit vom Innenrand zum Zentrum) an. Das sind entsprechend für Staubtori Zeitskalen von etwa 100 Millionen Jahren. Tori sind daher generell keine stabilen Konfigurationen. Eine weitere Instabilität, die magnetische Rotationsinstabilität (engl. magneto-rotational instability, MRI oder Balbus-Hawley-Instabilität), sorgt ebenso für eine Störung des Torus. Bei dieser Instabilität sind schwache (interstellare) Magnetfelder involviert, die aufgrund der differenziellen Rotation magnetische Turbulenz treiben.
Die Instabilitäten bewirken letztendlich die Akkretion auf das zentrale Objekt, das supermassereiche Schwarze Loch. Denn eine wesentliche Konsequenz der Instabilitäten ist der effiziente Drehimpulstransport. Er ist Voraussetzung dafür, dass überhaupt Material ins Zentrum der Galaxie fällt. Sonst würde es nämlich an der Drehimpulsbarriere reflektiert werden. Als Folge dieser Prozesse bildet sich inwärts an den Staubtorus die so genannte Standardscheibe aus. Durch effiziente Strahlungskühlung ist sie vertikal kollabiert – Astrophysiker sagen geometrisch dünn – und optisch dick.
Staubtorus bewirkt zwei Galaxientypen: Typ-1 und Typ-2
Bei den AGN-Typen, vor allem den Seyfert-Galaxien und den Quasaren, sorgt der Staubtorus für die bekannte Zweiteilung (Dichotomie) in Typ 1 und 2: Bei Typ-1 schaut der Beobachter von oben, mehr oder weniger entlang der Symmetrieachse der Galaxie, in den Bereich verbreiterter Linien (engl. Broad Line Region, BLR). Die auffällige Linienverbreiterung ist kinematisch bedingt und stammt von turbulentem, schnell strömendem Plasma, das sich mit Geschwindigkeiten bis zu 10 000 km/s um das Zentrum bewegt. Die Neigung des Systems (Inklination) bewegt sich also von etwa 0° (engl. Fachbegriff face-on) bis etwa 35°. Bei Typ-2 schaut man genau auf den Staubtorus, so dass die BLR und das Zentrum der Galaxie verborgen sind und nicht optisch identifiziert werden kann. Nur die Gebiete enger Linien (engl. Narrow Line Region, NLR) kann beobachtet werden. Hier hat das Gas nur noch Geschwindigkeiten von 300 bis 1000 km/s. Die Inklinationen dieser Systeme sind von etwa 35° bis 90° (engl. Terminus edge-on). Astronomen unterscheiden auch intermediäre Typen von Seyfert-Galaxien (also z. B. 1.3 oder 1.7), je nach ihrem gemessenen Neigungswinkel.
Es handelt sich bei dem gerade beschriebenen Sachverhalt um eine geometrisches Unifikationsmodell der AGN, das auf Antonucci & Miller (1985) zurückgeht. Unter dem Eintrag Quasar wird diskutiert, dass es neuerdings Anzeichen gibt, dass diese geometrische Interpretation von Typ-1 und Typ-2 eine zu starke Vereinfachung sein könnte.
Belege für den Staubtorus
Der einwandfreie Nachweis des Staubtorus ist durchaus nicht so trivial. Es gibt ein schönes Musterbeispiel, wo der Nachweis gelungen ist. Die Abbildung rechts zeigt eine Beobachtung des Weltraumteleskops Hubble, die die Existenz des Staubes in der Spiralgalaxie M51 verrät. Die Staubinformation steckt in der auffälligen X-Struktur. Je ein Strich des X kommt von einer Staubscheibe/einem Staubtorus. Es ist nicht klar, weshalb mindestens einer der Staubtori so ungewöhnlich orientiert ist – nämlich senkrecht zur Scheibenebene der Spiralgalaxie. Auch ist nicht klar, warum überhaupt ein zweites großes Staubreservoir existiert.
Das zentrale supermassereiche Schwarze Loch (supermassive black hole, SMBH) sitzt vermutlich genau am Kreuzungspunkt des X. Es hat eine Masse von etwa einer Million Sonnenmassen und hat damit nur ein Drittel der Masse des Galaktischen superschweren Loches bei Sgr A* (Credit: Ford et al. 1992, STScI/NASA).
Im Jahr 2005 berichteten die Infrarotastronomen von Beobachtungen an Quasaren mit dem IR-Weltraumteleskop Spitzer, die das geometrische AGN-Unifikationsmodell stützen (Siebenmorgen et al., astro-ph/0504263). Sie untersuchten eine starke Spektrallinie des Elements Silizium, die bei 10 Mikrometern zu beobachten ist (10 micron feature). Die Spektrallinie kann entweder in Emission oder in Absorption beobachtet werden. Mit Spitzer detektierten die Infrarotastronomen die Linie bei AGN Typ-1 in Emission und bei AGN Typ-2 in Absorption. Das ist geometrisch leicht zu erklären: Je nach Orientierung des Staubtorus zum Beobachter wird die hochenergetische UVXGamma-Strahlung aus dem Zentrum des AGN am Staubtorus reflektiert, so dass die Siliziumlinie in Emission im Spektrum auftaucht; oder sie wird durch den Torus gestreut, so dass der Astronom sie in Absorption sieht. Es war nur eine kleine Anzahl von AGN, die untersucht wurden, aber die Beobachtungen unterstützen das geometrische Unifikationsmodell.
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