Direkt zum Inhalt

Kompaktlexikon der Biologie: Altern

Altern, eine irreversible zeitabhängige Veränderung von Struktur und Funktion lebender Systeme, die allgemein geprägt ist durch die Abnahme der Adaptationsfähigkeit des Organismus gegenüber Umwelteinflüssen. Physiologische Mechanismen, die der Aufrechterhaltung des inneren Milieus dienen, laufen nicht mehr mit genügender Schnelligkeit und Präzision ab, die Homöostase ist gestört. Als Konsequenz des A. steigt die Mortalitätsrate und die Vitalität (wird z.T. mit „biologischem Alter“ gleichgesetzt) sinkt. Grundsätzlich sollte der Begriff Altern in seiner Definition von Krankheit getrennt werden. Ein verwandter, aber auch von A. definitorisch zu trennender Begriff ist der der Seneszenz. Bei tierischen Organismen wird darunter der Prozess einer graduellen und langsamen Akkumulierung schädlicher Effekte beschrieben. A. kann also von Seneszenz begleitet sein, wie dies bei Säugetieren generell der Fall ist, wenn sie überhaupt den entsprechenden Lebensabschnitt erreichen. Sowohl Wirbeltiere als auch Wirbellose zeigen Seneszenzerscheinungen (z.B. Anhäufung des Alterungspigments Lipofuscin lange vor Ende der Fortpflanzungszeit), wobei diese nicht unbedingt mit dem Ende der Fortpflanzungszeit gekoppelt sind. So zeigen Wasserflöhe Seneszenz, legen aber bis zu ihrem Lebensende fruchtbare Eier. Im Unterschied zur Seneszenz bei Tieren, handelt es sich bei der Seneszenz (dem Altern) bei Pflanzen um einen klar definierten Prozess, der durch ein spezifisches Seneszenzsignal ausgelöst wird.

Max Bürger (1885-1966), der Begründer der medizinischen Alternsforschung in Deutschland, hatte erstmalig erkannt, dass Entwicklung und Altern eine Einheit bilden und dass Altern das Ende der Entwicklung eines Lebewesens einleitet, ohne dass klar abgrenzbar wäre, wann dieser Prozess beginnt. Er definierte A. als jede irreversible Veränderung lebender Substanz als Funktion der Zeit und führte auf den Menschen bezogen den Begriff der Biomorphose ein, als eine Folge von dauernden Veränderungen, denen Körper, Geist und Seele des Menschen unterliegen.

Zurzeit existieren mehr als 300 verschiedene Alternstheorien, die in folgenden Gruppen zusammengefasst werden können: 1) Theorien, die auf der Beschreibung von Alternsveränderungen basieren und versuchen, daraus den Alternsprozess zu erklären. Beispiele sind post-translationale Modifikationen der Struktur und Funktion von Enzymen u.a. Proteinen sowie ihre quantitativen Veränderungen oder auch ganz spezifische Organ- und Gewebeveränderungen wie z.B. die der Augenlinsenproteine oder der Knochen- und Zahnverfall. 2) Theorien, die A. auf wenige endogene und exogene Faktoren zurückführen und die beobachteten irreversiblen Veränderungen im Alter als die Folgen derartiger Schädigungen ansehen. Ein Beispiel ist die Theorie, dass die Alternsrate eines Lebewesens direkt zusammenhängt mit der Rate unreparierter Molekülschäden, die durch endogene oder exogene freie Radikale hervorgerufen werden und die umgekehrt korreliert ist mit der Wirksamkeit von Antioxidations- und Reparaturmechanismen. 3) Theorien, die ein genetisches Alternsprogramm postulieren, sprechen vom Alternsprozess als einer Fortsetzung der Entwicklung. Dabei können einerseits pleiotrope Gene eine Rolle spielen, deren Expression die Vitalität in frühen Entwicklungsstadien erhöht und damit einen hohen Fortpflanzungserfolg garantiert, die sich aber schädlich auf die Überlebenschance in späteren Stadien auswirken. Es wird aber auch über die Existenz spezifischer Gene diskutiert, die als Regulatorgene für Langlebigkeit verantwortlich sind. Sowohl bei Pflanzen als auch bei Tieren finden sich spektakuläre Beispiele für streng genetisch kontrollierte Lebensabläufe (annuelle Pflanzen; Fortpflanzungstod). 4) Die mathematischen Theorien erarbeiten Modelle, die den Einfluss verschiedener exogener und endogener Faktoren auf die Alternsstruktur und die Dynamik von Populationen beschreiben und prognostizieren. Die einzelnen Stoffwechselvorgänge sind netzartig miteinander verknüpft und es ist zunächst unmöglich zu sagen, dass ein Teilaspekt wichtiger sei als ein anderer. A. wird hier als ein sehr komplexer Prozess beschrieben, der sich aus vielen verschiedenen, die Lebenszeit begrenzenden Ereignissen, zusammensetzt und daher in seiner ganzen Komplexität erfasst werden muss. 5) Die Evolutionstheorien des A. beschäftigen sich mit der Frage, welche Möglichkeiten es gibt, unter verschiedenen Umweltbedingungen (biotischen und abiotischen Faktoren) eine möglichst hohe reproduktive Fitness zu erlangen, d.h. möglichst häufig im Genpool der nächsten Generation vertreten zu sein.

Inzwischen ist den meisten Gerontologen bewusst, dass das A. nicht auf eine einzige Ursache zurückzuführen ist. Die verschiedenen Theorien beschreiben verschiedene Prozesse des A. Theorien, die versuchen, die einzelnen Prozesse zu einem Gesamtbild zu fügen, können derzeit nicht mehr leisten, als die Überschneidungsbereiche der Einzeltheorien zu charakterisieren und Methoden zu formulieren, nach denen dieser oder jener Aspekt getestet werden kann.

Alternsmechanismen tierischer Organismen: Aus der unterschiedlichen Länge der maximalen Lebensdauer von Organismen (Lebensspanne) ergibt sich, dass dem A. eine genetische Komponente zugrunde liegt. Durch genetische Manipulation kann die maximale Lebensspanne von Drosophila melanogaster und Fadenwürmern (Caenorhabditis elegans) um mehr als 40 % verlängert werden. Besonders gut untersucht ist der Alterungsprozess von Fibroblasten. Sie teilen sich etwa 50 mal und durchlaufen dabei auffällige morphologische Veränderungen, die in definierte Stadien eingeteilt werden können. Nach Stillstand der Zellteilungen überleben die Zellen als „postmitotische“ Zellen noch etwa drei Monate und sterben dann ab. Dieser Zelltod ist ebenfalls streng programmiert (programmierter Selbstmord; Apoptose). Mit der genauen Untersuchung der genfreien Schutzkappen an den Enden der Chromosomen, die als Telomere bezeichnet werden, wurde ein Zugang zur Antwort auf die Frage gewonnen, wie die Anzahl der Zellteilungen im Organismus registriert wird. Bei jeder Zellteilung verkürzen sich die Telomere um ein definiertes Stück. Sind sie weit genug verkürzt, erhält die Zelle das Signal zur Apoptose. Diese Telomerverkürzung kann nur durch das Enzym Telomerase rückgängig gemacht werden, das aber normalerweise nur in embryonalen Zellen aktiv ist. Klone von Fibroblastenzellen, die aktive Telomerasen besitzen, durchlaufen mindestens 20 weitere Teilungsschritte und behalten eine Zellstruktur wie die einer jugendlichen Zelle – und nicht etwa einer Krebszelle.

Im Mittelpunkt der Frage nach molekularen Schädigungen im Verlauf des Alternsprozesses und ihrer Reparatur stehen die freien Sauerstoffradikale, die für zahlreiche degenerative Erkrankungen und den Alternsprozess mit verantwortlich sind. Endogen entstehen freie Radikale spontan häufig als instabile Zwischenprodukte des normalen aeroben Zellstoffwechsels (besonders in der Atmungskette). Die exogenen Quellen reichen von ionisierenden Strahlen über Tabakrauch bis hin zu zahlreichen Nahrungsinhaltsstoffen. Insgesamt führen freie Radikale mit zunehmendem Alter zu einer vermehrten Sauerstoffbelastung. Hierbei sind die Mitochondrien in der Zelle besonders betroffen, da in ihnen die Atmungskette abläuft und somit eine lokal relativ hohe Konzentration an freien Radikalen vorliegt. Dazu kommt, dass Mitochondrien-DNA im Unterschied zur Kern-DNA keine funktionslosen Bereiche aufweist und darüber hinaus keine DNA-Reparatursysteme besitzt. Tatsächlich scheinen die mitochondrialen Enzymaktivitäten mit steigendem Alter des Untersuchungsobjekts stark abzunehmen, wie Messungen ergaben. Im Zellmilieu zeigt sich der oxidative Stress in einer Verschiebung des Redoxzustandes zur mehr oxidierten Seite hin, was die Stabilität von Zellproteinen ebenso beeinflusst wie die allosterische Regulation von Enzymen und somit den gesamten Zellstoffwechsel. Zudem verändert sich im Alter das in der jugendlichen Zelle sehr fein ausbalancierte System von enzymatischen und nicht-enzymatischen Antioxidantien (z.B. Superoxid-Dismutase, Katalasen, Glutathion) so, dass die Aktivität der genannten Enzyme i.d.R. sinkt und der Anteil an Substanzen, die auf zunehmende Oxidationsprozesse schließen lassen, ansteigt.

Zahlreiche hormonelle Veränderungen begleiten den Alternsprozess oder sind für ihn verantwortlich. Besonders spektakulär ist dies beim Fortpflanzungstod von Lachsen und australischen Beutelmäusen. In beiden Fällen stellt die Fortpflanzung einen derartigen Stress dar, dass die Tiere große Mengen an Cortisol produzieren, was voraussagbar zur Bildung von Geschwüren und zum Zusammenbruch des Immunsystems führt. Im Bereich der humoralen Regulation von Alternsprozessen des Menschen lag das Augenmerk zunächst vornehmlich auf den Geschlechtshormonen. Beim gesunden männlichen Individuum kann keine ausgeprägte Abnahme des Plasma-Testosteronspiegels (Testosteron), wohl aber von Nebennierenrinden-Androgenen, festgestellt werden. Außerdem verringert sich die Hemmung der Geschlechtshormone auf den Hypophysenvorderlappen, sodass luteinisierendes Hormon und follikelstimulierendes Hormon vermehrt produziert werden. Im weiblichen Geschlecht vermindert sich die Sekretionsrate von Estrogen im Zusammenhang mit dem Funktionsverlust der Ovarien und leitet damit die Menopause (Wechseljahre) ein. Der Estrogenmangel wird, neben Ursachen im Calciumstoffwechsel selbst, mitverantwortlich gemacht für die bei Frauen im Alter verstärkt auftretende Osteoporose. Veränderungen der hormonalen Regulation finden sich auch bei den Bauchspeicheldrüsenhormonen (Abnahme der Glucosetoleranz) und den Mineralocorticoiden. Letzteres führt zu einer Störung der Homöostase des Wasser- und Mineralhaushaltes mit einem erhöhten Natrium- und Wasserverlust, dem durch vermehrtes Trinken begegnet werden muss.

Das A. des Immunsystems geht einher mit einer Verlangsamung der Selbstreplikation und der Differenzierung der Stammzellen (Blutbildung). Dies hat zur Folge, dass Infektionen erst verzögert mit einer adäquaten Immunantwort bekämpft werden. Auch spielen Autoimmunprozesse in höherem Alter eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Literatur: Ahlert, G.: Altern. Ergebnis ökologischer Anpassung, Freiburg 1996. – Funkkolleg Altern, Bd. 1 u. 2, Wiesbaden 1999. – Höpflinger, F. u. Stuckelberger, A.: Demographische Alterung und individuelles Altern. Ergebnisse aus dem Nationalen Forschungsprogramm „Alter/Viellesse/Anziani“, Genf 1999. – Ricklefs, R.E. u. Caleb, E.F.: Altern. Evolutionsbiologie und medizinische Forschung, Heidelberg 1995.

  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
Dr. Barbara Dinkelaker
Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.