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Kompaktlexikon der Biologie: Atavismus

Atavismus, bei einzelnen Individuen innerhalb einer Art auftretende Abweichungen, die der Merkmalsausprägung von Ahnenformen entsprechen. Beispiele für morphologische Atavismen sind: Entwicklung von Dreihufigkeit beim rezenten Pferd (Equidae), das von dreizehigen Vorfahren abstammt; das Auftreten radiärsymmetrischer Blüten (aktinomorph) bei Arten mit zygomorphen Blüten, so die Bildung von Pelorien (Blüte) beim Löwenmaul ( vgl. Abb. ); Atavismen beim Menschen sind u.a.: Ein kleiner, äußerlich hervortretender Schwanzfortsatz am Ende der Wirbelsäule, fellartige Ausbildung der Körperbehaarung, Ausbildung überzähliger Milchdrüsen entlang einer Linie, die von der Achselhöhle bis zur Leistenregion reicht.

Bezüglich der Entstehung können verschiedene Formen des A. unterschieden werden. Beim mutativen A. werden durch spontane Mutationen entweder eine genetische Situation wie bei einer Ahnenform wiederhergestellt (Rückmutation) oder dadurch bislang reprimierte (latente) Gene wieder aktiviert (Genregulation). Beim Hybrid-A. entstehen durch die Bastardierung nahe verwandter Arten Genkombinationen, die die Merkmalsausbildung von Ahnenformen bedingen. Atavismen in Form von Hemmungsmissbildungen entstehen durch Störungen in der Embryonalentwicklung. Dabei können nur vorübergehend auftretende Organbildungsstadien, die ursprüngliche Merkmale rekapitulieren (Rekapitulation, Biogenetische Grundregel), an der weiteren Differenzierung gehindert werden und so am fertigen Organismus erhalten bleiben. Hierher gehören beim Menschen z.B. gelegentlich auftretende Halsfisteln, die den „Kiemenspalten“ eines embryonal angelegten Kiemendarms entsprechen.

Neben Atavismen aus dem morphologischen Bereich kommen auch Verhaltens-A. vor, die den Hybrid-A. zugeordnet werden. Hierbei treten bei Artbastarden Verhaltensweisen auf, die bei den jeweiligen Elternarten nicht vorkommen, sondern von ursprünglicheren, verwandten Arten gezeigt werden. Verhaltens-A. sind z.B. bei Haussperlingen bekannt: Diese bauen ihre Nester normalerweise in Nischen, können aber auch zum Bau von Kugelnestern übergehen, einer Bauweise, die von ursprünglicheren Arten der Webervögel genutzt wird.



Atavismus: Die linke Abb. zeigt die Pelorienbildung beim Gemeinen Leinkraut (Linaria vulgaris), darüber eine normale Blüte; rechts daneben der linke Vorderfuß eines Hauspferdes, der anstelle eines Griffelbeins (Rudiment eines seitlichen Zehenstrahls) als Atavismus auf einer Seite eine wohlentwickelte Zehe mit einem kleinen Huf trägt

  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
Dr. Barbara Dinkelaker
Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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