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Kompaktlexikon der Biologie: Extremitäten

Extremitäten, Gliedmaßen, Körperanhänge von Tieren und Mensch, die primär der Fortbewegung dienen und meist lateral bis ventral am Rumpf angebracht sind.

Bei Wirbellosen kommen E. vor allem bei den Gliedertieren (Articulata) vor und befinden sich primär an allen Segmenten: So bei den Ringelwürmern (Annelida) als Parapodien, bei den Stummelfüßern (Onychophora) als Oncopodien, bei den eigentlichen Gliederfüßern (Euarthropoda) als Arthropodien mit echten Gelenken zwischen den gegeneinander beweglichen Teilen. Ihre Gliederung ist für die einzelnen Gliederfüßergruppen spezifisch, lässt sich aber weitgehend auf einen gemeinsamen Grundbauplan zurückführen. ( vgl. Abb. ) Es wird angenommen, dass diese E. primär ein Spaltfuß war, der aus einem an der Körperwand gelenkig ansetzenden Protopoditen bestand, mit einem an seiner Spitze außen anhängenden Exopoditen und innen anhängenden Endopoditen. Der Protopodit kann außerdem (insbesondere bei Crustacea) äußere Anhänge (als Kiemen) tragen (Epipodite) sowie innere Anhänge (Endite). Der Endopodit zeigt eine typische Gliederung, deren Einzelteile bei den Gliederfüßergruppen unterschiedlich benannt wurden. Der Protopodit ist nur bei höheren Krebsen dreigeteilt in Praecoxa, Coxa (Hüftglied) und Basis (Basipodit). Alle landlebenden Formen haben den Schwimmast (Exopodit) abgebaut und laufen auf dem Endopoditen.

Die E. der Arthropoda sind in Anpassung an sehr unterschiedliche Funktionen in vielfältiger Weise abgewandelt. Im Kopfbereich sind sie bei allen Gruppen zu Fühlern bzw. Antennen (Ausnahme Arachnida) und Mundgliedmaßen umgebildet. Ursprünglich waren die dem Kopf folgenden E. des Rumpfes alle gleich gebaut. Sie bildeten eine ventrale Nahrungsrinne zwischen ihren Protopoditen. In der Evolution der Arthropoda erfolgte mit der Bildung der Tagmata eine entsprechende Anpassung der beteiligten E. Es entstanden Thorakalbeine (Crustacea, Insecta), Prosoma- und Opisthosoma-E. (Chelicerata), Abdominalbeine (Crustacea, Myriapoda). Bei Insekten sind letztere nur als Rudimente oder abgewandelte E. erhalten, wie auch die Opisthosoma-E. bei den Chelicerata (z.B. als Fächerlungen oder als Spinnwarzen). Bei vielen Krebsen werden die ersten, bei Ausbildung eines Cephalothorax oder eines Carapax auch die zweiten Thorakalbeine (Thorakopoden) als Maxillipeden (Kieferfüße) den Mundgliedmaßen des Kopfes angegliedert.

Die E. der Insecta unterliegen einer mannigfaltigen Abwandlung. Im ursprünglichen Fall zeigen die Thorakalbeine eine typische Gliederung: Coxa, Trochanter, Femur, Tibia, Tarsus und Praetarsus. Häufig wird der Tarsus in eine Reihe Tarsalia unterteilt. Bei Imagines finden sich zwei bis fünf solcher Tarsusglieder. Sie haben nicht selten an ihrer Unterseite membranöse, dicht mit Drüsenhärchen besetzte Sohlenläppchen oder -bläschen, die der besseren Haftung auf glatten Flächen dienen. Gelegentlich können Drüsenhärchen zu Saugnapfborsten umgebildet sein, sodass ein Haftbein entsteht. Speziell der Praetarsus (Klaue) mit seiner meist paarigen Kralle weist bei den verschiedenen Insektengruppen weitere Hilfsstrukturen auf. Einige Insekten (Collembola, Larven der Schmetterlinge oder der Polyphaga) haben eine unpaare Klaue. Diese ist meist mit einer unvollständigen Beingliederung korreliert; so besitzen diese Gruppen nicht getrennte Tibia und Tarsus (Tibiotarsus). Die unpaare Klaue der übrigen Insekten gilt als reduziert und durch die paarigen Krallen ersetzt. Die Tibia (Schiene) trägt meist an ihrer Spitze ein bis zwei Endsporne, die beim Aufsetzen auf dem Untergrund dem Abstoßen während des Laufens dienen. Der Femur (Schenkel) ist meist kräftig und besonders bei Sprungbeinen mit einer starken Muskulatur versehen. Die Thorakalbeine unterliegen mannigfaltigen Anpassungen an die Lebensweise. So findet man Laufbeine, Haftbeine, Klammerbeine, Sprungbeine, Schwimmbeine, Ruderbeine, Fangbeine, Grabbeine u.a. Am Abdomen haben die Insekten nur noch modifizierte Reste der E. So sind z.B. bei Springschwänzen (Collembola) die abdominalen E. in die Sprunggabelanteile umgewandelt. Bei geflügelten Insekten sind vor allem die E. des achten und neunten Abdominalsegments als Eilegeapparat ausgebildet. Die Cerci sind die abgewandelten E. des 11. Segments; sie können auch zu Greifzangen umgewandelt sein (z.B. Ohrwürmer, Dermaptera). Ebenfalls abgewandelte abdominale E. sind die Tracheenkiemen der Larven u.a. der Eintagsfliegen (Ephemeroptera). Auch die Bauchfüße z.B. der Schmetterlingsraupen sind abdominale E.

In allen Klassen der Tetrapoda zeigen die Vorder- wie Hinterextremitäten einen einheitlichen Bauplan. ( vgl. Abb. ) Sie bestehen aus drei gegeneinander beweglichen Hebeln, deren körpernaher (proximaler) Teil mit dem jeweiligen Extremitätengürtel (Schultergürtel, Beckengürtel) gelenkig verbunden ist. Der proximale Hebel, das Stylopodium (Oberarm, Oberschenkel), enthält jeweils nur ein Skelettelement, in der Vorderextremität den Humerus (Oberarmknochen), in der Hinterextremität das Femur (Oberschenkelknochen). Der mediale Hebel, das Zeugopodium (Unterarm, Unterschenkel), enthält jeweils zwei Skelettelemente: in der Vorderextremität Ulna und Radius (Elle und Speiche), in der Hinterextremität Fibula und Tibia (Wadenbein und Schienbein). Der distale Hebel, das Autopodium (Hand bzw. Vorderfuß und Hinterfuß), enthält jeweils eine taxonspezifische Anzahl von Knochen. Das Autopodium wird nochmals in drei Abschnitte unterteilt: Das Basipodium ist die Handwurzel (Carpus) als Gesamtheit der Handwurzelknochen (Carpalia) bzw. die Fußwurzel (Tarsus) als Gesamtheit der Fußwurzelknochen (Tarsalia). Bei ursprünglichen Tetrapoden bestand das Basipodium aus zwölf Skelettelementen; deren Zahl wurde im Laufe der Evolution in den verschiedenen Tetrapodengruppen reduziert und ihre Form und Anordnung verändert. Das Metapodium bildet die Mittelhand (Metacarpus) aus den Mittelhandknochen (Metacarpalia) bzw. den Mittelfuß (Metatarsus) aus den Mittelfußknochen (Metatarsalia). Das Akropodium ist der distale Abschnitt des Autopodiums und besteht aus der Gesamtheit der Finger bzw. Zehen, deren Knochenelemente gleichermaßen als Phalangen bezeichnet werden. Die E. der Kronengruppe der Tetrapoda sind ursprünglich fünfstrahlig (pentadactyl). In Anpassung an verschiedene Lebensweisen wurden sie mannigfaltig variiert. Je nach den Funktionen (Laufen, Graben, Klettern, Greifen, Beute schlagen, Schwimmen, Fliegen) ist ihr Bauplan abgeleitet. Dabei sind die morphologischen Veränderungen des Autopodiums i.d.R. am auffälligsten. Die E. sind als Flossen (Fische, Wale, Pinguine), Arm, Bein oder Flügel (Vögel, Fledertiere) ausgebildet oder weitgehend bis ganz reduziert (z.B. Schlangen, Schleichen).



Extremitäten: Gliederung des Endopoditen und Benennung der Einzelteile bei den Gruppen der Gliederfüßer (Arthropoda)



Extremitäten: Extremitätenformen bei verschiedenen Wirbeltieren. Linke Hinterextremitäten: a Mensch, b Hirsch, c Pferd, d Vogel: Linke Vorderextremitäten: e Wal, f Vogel, g Fledermaus. E Elle (Ulna), Ig Intertarsalgelenk, Ks Kniescheibe (Patella), La Lauf (Tarsus), Mf Mittelfuß (Metapodium), Ok Oberschenkelknochen (Femur), Sp Speiche (Radius)

  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
Dr. Barbara Dinkelaker
Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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