Kompaktlexikon der Biologie: Hunger
Hunger, eine durch Nahrungsmangel hervorgerufene angeborene physiologische Allgemeinempfindung, die beim Menschen subjektiv auf die Magengegend projiziert wird und einem vernetzten System neuronaler, hormoneller und metabolischer Ereignisse (Hungerstoffwechsel) entspringt. Bei höheren Tieren und dem Menschen ist H. mit psychischen Erscheinungen wie Unruhe und Unlust verknüpft, die im Zustand der Sättigung nicht auftreten. Abzugrenzen von H. ist die Empfindung Appetit, d.h. der Wunsch, eine bestimmte Nahrung aufzunehmen.
Steuerzentrale für die Regulation der Nahrungsaufnahme ist bei Wirbeltieren der Hypothalamus. Dort ist im ventromedianen Bereich neben einem „Sättigungszentrum“ ein „Hungerzentrum“ lokalisiert, wobei letzteres andauernd aktiv ist und über einen Hemm-Mechanismus die ständige Nahrungsaufnahme verhindert werden muss.
Über die Faktoren, die H. auslösen, gibt es verschiedene Theorien. Mit Hinblick auf eine längerfristige Regulation zur Erhaltung der Energiebilanz und der Reservestoffe werden folgende zwei Signale diskutiert: Nach der lipostatischen Hypothese wird die Nahrungsaufnahme durch Signale aus dem Fettgewebe kontrolliert. Das im Fettgewebe gebildete Peptidhormon Leptin wird in umso größerer Menge ins Blut ausgeschüttet, je mehr Energiedepots im Fettgewebe sind. Im Hypothalamus bindet Leptin an spezifische Rezeptoren und hemmt darüber die Nahrungsaufnahme. Nach der ponderostatischen Hypothese übernimmt das Körpergewicht die Regulation der Nahrungsaufnahme, indem ein genetisch vorprogrammiertes Zielgewicht nach kurz- oder langfristiger Gewichtsveränderung durch Fasten und bei erneutem Nahrungsangebot wieder erreicht wird. Für eine kurzfristige Regulation ist nach der der glucostatischen Hypothese die Glucosekonzentration im Blut entscheidend für die Auslösung von H. Über Glucosesensoren im Hypothalamus, in der Bauchspeicheldrüse und in der Leber wird die Blutglucosekonzentration gemessen und bei abnehmender Verfügbarkeit ein Hungergefühl ausgelöst, das zu einer steigenden Nahrungsaufnahme führt. Erst nach Normalisierung des Blutzuckerspiegels tritt ein Sättigungsgefühl ein. Insulin ist ein weiteres afferentes Signal an das Zwischenhirn, das über die im Blut zirkulierende Glucose informiert. Je höher die Blutglucosekonzentration ist, desto mehr Insulin wird in den Blutkreislauf ausgeschüttet. Einerseits fördert Insulin die Speicherung von Energie in Muskel und Fettgewebe, andererseits bindet es im Hypothalamus an spezifische Rezeptoren und hemmt darüber mittelfristig das Hungergefühl.
Eine vorausplanende Nahrungsaufnahme ohne H. kommt bei den meisten Warmblütern vor, um den zu erwartenden Energieaufwand bis zur nächsten Mahlzeit zu decken. Dabei wird die Nahrungsaufnahme beendet, lange bevor es zur Resorption der aufgenommenen Nährstoffe kommt (präresorptive Sättigung). Die daran beteiligten Faktoren sind zum einen der Kauakt selbst, aber auch Geruchs-, Geschmacks- und Mechanorezeptoren des Nase-Mund-Rachenraums sowie die Dehnung des Magens. Als hormonelles Sättigungssignal an den Hypothalamus wirkt auch das im Dünndarm synthetisierte Cholecystokinin.
Ein gut ernährter Mensch erträgt H. über bis zu 50 Tage (ohne Flüssigkeitszufuhr nur zwölf Tage), bis schließlich nach Glykogen und Fettdepots das Organprotein abgebaut wird. Dies führt in kurzer Zeit zum Tod (Kachexie). Zehn bis 15 % der Weltbevölkerung leiden derzeit ständig an H., wobei es zu akuten oder chronischen Störungen des Stoffwechsels, der inneren Sekretion, Hungerödemen sowie Atrophien des Körpergewebes kommt (Kwashiorkor, Marasmus).
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.