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Kompaktlexikon der Biologie: Pilze

Pilze, Pilze i.w.S., Mycota, Mycophyta, eukaryotische, Kohlenstoff-heterotrophe (chlorophyllfreie) Organismen, die i.d.R. einen wenig differenzierten Thallus (Lager) besitzen, aber mindestens in einem Lebensabschnitt Zellwände ausbilden und sich geschlechtlich und/oder ungeschlechtlich mit Sporen als Ausbreitungs- und Dauerorganen fortpflanzen. Meist wird die Nahrung in gelöster Form aus der Umgebung resorbiert; einige Schleimpilze nehmen statt dessen oder zusätzlich Nahrungspartikel auf. Von den autotrophen Pflanzen unterscheiden sie sich hauptsächlich durch die heterotrophe Lebensweise (keine Plastiden, keine Fotosynthese), von den i.d.R. zellwandlosen Protozoen und Tieren durch ihre Zellwände und von den prokaryotischen Bakterien und Cyanobakterien durch ihre eukaryotische Zellorganisation mit echtem (membranumgebenem) Zellkern, Mitochondrien und anderen Organellen; wenn Geißeln vorhanden sind, entsprechen sie dem eukaryotischen Typ mit 9 + 2 Fibrillen (Flagellen). Nach einer neueren Zusammenfassung (1999) der Daten molekulargenetischer, biochemischer und morphologischer Untersuchungen bilden die Pilze ein eigenständiges Reich, das neben den Stramenopiles, den roten Pflanzen und grünen Pflanzen aus dem ehemaligen Pflanzenreich ausgegliedert wurde. Nach diesen Ergebnissen stehen darüber hinaus die P. den Tieren näher als den Pflanzen. Die P. werden in zwei Gruppen unterteilt, die sehr heterogenen pilzähnlichen Protisten (pilzähnliche Protoctista = Niedere P.) und die „echten“ P. (Fungi, Pilze i.e.S., Eumycota).

Vorkommen und Stoffwechsel. Pilze gehören zu den am weitesten verbreiteten Organismen auf der Erde. Sie leben als Saprophyten (Saprobier), als Parasiten oder Perthophyten (nekrophile Pilze). Echte Anaerobier sind die P. der Gatt. Neocallimastix im Pansen der Wiederkäuer. Außerdem bilden sie eine Reihe wichtiger symbiontischer Lebensgemeinschaften. Es sind ca. 120000 P. bekannt; man schätzt aber, dass mindestens 250000 – 300000 Arten (etwa soviel wie Samenpflanzen) vorkommen. P. leben vor allem (im Gegensatz zu den Algen) auf dem Land; nur ca. 2 % sind Wasserbewohner, dann meist im Süßwasser, seltener im Meerwasser. Sie sind überall anzutreffen, vorausgesetzt, es leben gleichzeitig oder es lebten dort vorher andere Organismen. P. lassen sich in warmer (bis ca. 60 °C), aber auch in kalter Umgebung (unter –3 °C) nachweisen. Die Mehrzahl findet man unter sauren Bedingungen (pH 6,5 bis 3,5, z.B. in Waldböden oder auf sauren Äckern). Allg. bevorzugen sie feuchte Bedingungen, einige kommen aber auch mit geringem Wassergehalt aus. In Symbiose mit Algen, als Flechten (Lichenes), sind sie sogar befähigt, extreme Standorte zu besiedeln, z.B. in arktischer Kälte, tropischer Hitze, selbst in Wüsten und auf nacktem Gestein.

P. nehmen eine Schlüsselstellung im Haushalt der Natur ein. Als Saprobier sind sie entscheidend an der Zersetzung (Mineralisation) einer Vielzahl von organischen, besonders pflanzlichen Stoffen beteiligt, die vorwiegend im aeroben Atmungsstoffwechsel abgebaut werden (Aerobier); es gibt auch fakultative Anaerobier, die vor allem Zucker vergären (z.B. viele Hefen); echte Anaerobier scheinen dagegen äußerst selten zu sein. Besonders wichtig für den Kohlenstoffkreislauf in der Natur sind sie durch ihre Beteiligung am Aufschluss von polymeren Naturstoffen (Cellulose, Lignin, Proteine, Pektine, Lipide, Keratin u.a.). Die organischen Substrate dienen als Energie- und Kohlenstoffquelle. Die Mehrzahl der Saprobier (wie auch viele Parasiten) lassen sich auf geeigneten Nährböden kultivieren. Es wird geschätzt, dass die jährliche CO2-Produktion aller P. ca. 6 % (= 3 x 109 t) der Gesamtproduktion aller C-heterotrophen Organismen beträgt. P. sind in Gestalt und Entwicklung außerordentlich mannigfaltig und noch unzureichend erforscht. Viele wachsen unauffällig und sind nur mikroskopisch zu erkennen (Größe wenige μm); andere bilden, vom unscheinbaren, den Boden durchziehenden Mycel ausgehend, bis metergroße Fruchtkörper (umgangssprachlich die „Pilze“ schlechthin; z.B. Ständerpilze, Basidiomycetes). In der vegetativen Phase können zellwandlose (ungegliederte) Protoplasten, vielkernige Plasmodien, Sprosszellen, Einzelhyphen, Mycelien oder andere Hyphengeflechte mit differenzierten Hyphen ausgebildet sein (aber keine echten Gewebe). Starke Differenzierungen und vielfältige Formen finden sich oft bei den fruktifizierenden Organen (z.B. Fruchtkörper von Bauchpilzen, Lycoperdanae, und Blätterpilzen, Agaricales). Wichtiges taxonomisches Merkmal ist der Aufbau der Zellwände, die meist als Hauptkomponente Chitin enthalten, seltener Cellulose (Oomycetes, Oomycota) u.a. Polysaccharide. Als Speicherstoffe werden hauptsächlich Glykogen und Fett angehäuft, aber keine Stärke.

Fortpflanzung. P. können sich geschlechtlich fortpflanzen (sexuelle Fruktifikation, Teleomorphe, Hauptfruchtform, perfektes Stadium) und/oder ungeschlechtlich vermehren (asexuelle Fruktifikation, Anamorphe, Nebenfruchtformen). Bei der sexuellen Entwicklung kann zwischen Haplophase, Dikaryophase (Besonderheit!) und Zygophase (diploide Phase) unterschieden werden. Es gibt bei P. vielfältige Formen der Sexualität (z.B. Iso- und Anisogamie, Oogamie, Gametangiogamie, Somatogamie). Neben der chromosomalen Vererbung sind auch extrachromosomale Vererbung und Parasexualität nachgewiesen worden.

Krankheitserreger und wirtschaftliche Bedeutung. P. können bei Mensch und Tier schwerste Erkrankungen verursachen (Mykosen), tödliche Vergiftungen treten gelegentlich nach Verzehr von Giftpilzen (Knollenblätterpilze, Fliegenpilz) oder von mit Mykotoxinen vergifteten Nahrungsmitteln auf (Aflatoxine). Durch die Aufnahme von Sporen (Konidien) können zudem schwere Allergien ausgelöst werden. Die meisten Pflanzenkrankheiten werden durch Pilze verursacht (z.B. Uredinales, Peronosporales, Erysiphales, Ustilaginales). P. sind darüber hinaus die wichtigsten Zersetzer von Holz (Braunfäule, Weißfäule, Moderfäule, Hausschwamm). Alljährlich entstehen Milliardenschäden durch die Zerstörung von Holz, Leder, Textilien und Papier sowie den Verderb von Lebensmitteln. Andererseits werden sie seit Jahrtausenden zur Herstellung von Genuss- und Nahrungsmitteln genutzt und gehören zu den wichtigsten Mikroorganismen in der Biotechnologie, die zur Herstellung verschiedener Produkte genutzt werden.

Systematische Einteilung und Abstammung. P. sind keine homogene Verwandtschaftsgruppe. Die pilzlichen Protisten, die in ihrer Entwicklung amöboid oder durch Geißeln bewegliche Formen (Zoosporen, Planosporen) ausbilden, werden heute in sechs phylogenetisch voneinander unabhängige Abteilungen eingeordnet, die zum Reich der Protisten (Protoctista) gehören. Es sind ca. 2000 Arten bekannt, vielfältige Lebensformen, die meisten bereits zu Landbewohnern entwickelt. Sie stammen wahrscheinlich von verschiedenen Ahnen ab. Diskutiert werden pflanzliche und tierische Flagellaten, Amöben und chlorophyllose Abkömmlinge von Grün- und Braunalgen. Die „höheren Pilze“, Organismen, die keine beweglichen Stadien mehr ausbilden, werden als Abstammungsgemeinschaft angesehen und heute im Reich der Fungi (Eumycota, Pilze i.e.S.) zusammengefaßt. Sie haben sich im Laufe der Evolution aus Wasser bewohnenden, pilzähnlichen Protisten entwickelt. Möglicherweise stammen sie von Vorfahren der Chytridiomycetes ab, zu denen sie biochemisch große Ähnlichkeit zeigen. Die systematische Gliederung und Ord. der P. ist immer noch Gegenstand intensiver Forschung und wird in vielen Bereichen intensiv diskutiert Die früheren Klassen Urpilze (Archimycetes) und Algenpilze (Phycomycetes) wurden aufgegeben, da die dort zusammengefassten Ord. keine verwandtschaftlichen Beziehungen untereinander haben. Traditionell wurden die P. bis vor einiger Zeit den Pflanzen (i.w.S.) zugeordnet, doch in ihrer Gesamtheit nehmen sie eine Sonderstellung ein (wie auch molekular-biochemische Untersuchungen zeigen), die sie deutlich vom Pflanzenreich abgrenzt, wenn vielleicht auch einzelne Formkreise von Algen abstammen könnten. P. werden nach den internationalen Nomenklaturregeln der Botanik benannt (Nomenklatur). Es finden jedoch relativ häufig Umbenennungen statt, wobei sowohl der Gattungs- als auch der Artname verändert werden können.

Fossile P. sind selten zu finden. Eindeutige Pilzformen (Chytridiomyceten-ähnlich) lassen sich bereits im Kambrium (vor ca. 500 Mio. Jahren) in Schalen von Meerestieren nachweisen. Endosymbiontische Mykorrhiza-Symbiosen (Mykorrhiza) scheinen bereits im Devon (vor ca. 400 Mio. Jahren) ausgebildet worden zu sein (Endogonales). Rostpilz-ähnliche Formen sind auf Farnen aus dem Karbon (ca. 300 Millonen Jahre alt) gefunden worden, und im Steinkohlenwald traten bereits Schnallenmycelien auf, die denen heutiger Basidiomyceten entsprechen. Im Jura (vor ca. 200 Mio. Jahren) gab es vermutlich schon hoch entwickelte Schlauchpilze.

Lit.: Bresinsky, A., Besl, H.: Giftpilze. Stuttgart 1985. – Dörfelt, H.,Heklau, H.: Die Geschichte der Mykologie, Reinbeck1998. – Dörfelt, H.: Lexikon der Mykologie. Stuttgart 1989.- Müller, E., Loeffler, W.: Mykologie. Stuttgart 51992. – Schwantes, H.O.: Biologie der Pilze. Stuttgart 1996. – Weber, H.: Allgemeine Mykologie. Stuttgart 1993.

  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
Dr. Barbara Dinkelaker
Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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