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Kompaktlexikon der Biologie: Wachstum

Wachstum, Bez. für die Vermehrung der Gesamtmasse individueller Strukturen auf den Organisationsebenen von Zellorganellen, Zellen, Geweben, Organen und Gesamtorganismen, aber auch der Biomasse auf der Ebene von Populationen (Populationswachstum; z.B. mikrobielles Wachstum). W. ist eine an das Leben unabdingbar gekoppelte Eigenschaft. Vermehrung und Fortpflanzung nahezu aller Lebewesen werden damit überhaupt erst möglich. Als W. wird aber auch die Längenzunahme von biologischen Strukturen und Gesamtorganismen (Längen-W., Streckungs-W.) bezeichnet, die nicht mit einer Biomassenzunahme gekoppelt sein muss. I.d.R. liegen der Massenzunahme ein Zell-W. und eine Zellvermehrung durch Zellteilung (Cytokinese) zugrunde. Dazu müssen aus stetig aufgenommener Nahrung (Ernährung) zell- und körpereigene Stoffe aufgebaut werden (Stoffwechsel) bzw. aus aufgenommenen Mineralstoffen mit Hilfe von Chemosynthese und Fotosynthese solche synthetisiert werden. Die Masse extrazellulärer Substanzen (z.B. Zellwände, Knochen) wird durch gesteigerte Synthese und Sekretion der Baustoffe vermehrt. Ein Zellstreckungs-W., das hauptsächlich durch eine zeitlich begrenzte Erhöhung der plastischen Verformbarkeit der Zellwand und durch osmotische Aufnahme großer Wassermengen (Wasseraufnahme) in die Vakuole verursacht wird, bedingt das oft sehr schnelle Längen-W. pflanzlicher Organismenteile. Das W. einer Einzelzelle ist bereits ein hochkomplexer Vorgang. Bei vielzelligen Organismen muss darüber hinaus das W. der einzelnen Zellen mit demjenigen der anderen räumlich und zeitlich koordiniert werden. Dies geschieht durch hormonelle Kontrolle der Wachstumsaktivitäten der verschiedenen Zellen und/oder durch Kontaktinhibition der Zellteilung. Darüber hinaus ist bei den Vielzellern das W. stets mit Vorgängen der Differenzierung eng verflochten.

Entsprechend den großen Unterschieden in den Bauplänen zwischen den ortsfesten Pflanzen mit ihrer in den umgebenden Raum hineingreifenden, offenen Gestalt und den im umgebenden Raum umherstreifenden Tieren mit ihrem kompakten, nach innen hoch differenzierten, nach außen scharf abgegrenzten, geschlossenen Körperbau unterscheidet sich das W. bei Pflanzen und Tieren in wesentlichen Punkten. So behält die Pflanze als offene Form an ihrem Vegetationskörper dauernd gewisse begrenzte Bezirke embryonalen Gewebes bei und differenziert nur den Rest aus (Apikalmeristem, Meristem). Sie ist daher nie, bis auf spezielle Ausnahmen, völlig ausgewachsen, sondern stets in der Lage, unter gegebenen Umständen neu auszutreiben und neue Teile zu gestalten. Aus dem sich dabei stetig vergrößernden Kronenbereich der Landpflanzen ergibt sich die Notwendigkeit, durch ein Dickenwachstum der die Krone tragenden Sprossachsen dem Bedarf nach vermehrter Leitkapazität und vermehrten Stützelementen nachzukommen. Die das pflanzliche W. steuernden Phytohormone oder Wuchsstoffe (Auxine, Gibberelline, Cytokinine) können wegen Fehlens eines Kreislaufsystems nur durch polaren Transport im Vegetationskörper verteilt werden. Wie oben bereits erwähnt, erfolgt die Längenzunahme pflanzlicher Teile vor allem durch Zellstreckungs-W. Wegen des Besitzes einer festen Zellwand kann die Pflanze notwendige Bewegungen, wie z.B. Rankenbewegungen, Umlaufbewegungen (Nutation), Öffnen und Schließen von Blüten, Nachstellen von Blättern und Blüten entsprechend dem Sonnenstand, nur durch Wachstumsbewegungen (d.h. unterschiedlich starkes Streckungs-W. entsprechender Organseiten) ausführen.

Das W. der Tiere beruht auf Zellvermehrung und damit plasmatischem W. und z.T. auf Sekretionsvorgängen bei der Vergrößerung des Skeletts (Hydroskelett, Außenskelett, knorpeliges oder knöchernes Innenskelett). Dadurch erfolgt tierisches W. im Vergleich zum pflanzlichen W. langsam und ist zudem zeitlich begrenzt. Es endet häufig mit dem Eintritt in das Erwachsenenstadium und in die Geschlechtsreife oder verlangsamt sich dann zumindest sehr stark. Während Vögel, Säuger, Insekten und Spinnen mit dem Erreichen des Adultstadiums zu wachsen aufhören, können eine Reihe von Vertretern der Fische, Amphibien und Reptilien sowie der Wirbellosen während der gesamten Lebensspanne noch wachsen, aber dann nur noch stark verlangsamt. Beim kompakten Bau der Tiere vergrößert sich die Masse und damit das Gewicht und das Volumen während des W. schneller als die Oberfläche (erstere wachsen mit der dritten Potenz, letztere wächst mit der zweiten Potenz des Radius), sodass die tierischen Organismen bedeutend mehr als die Pflanzen allometrisches Wachstum zeigen, d.h., dass sich während der Wachstumsphase die Wachstumsraten einzelner Teile gegeneinander verändern. Tiere mit Außenskelett (Exoskelett) wachsen, äußerlich gesehen, in Schüben, indem nach Abwurf des alten Außenskeletts das noch weiche, neue vor der Erhärtung durch Wasser- oder Luftaufnahme gedehnt wird und diese Volumenzunahme durch plasmatisches W. dann allmählich durch Körpersubstanz ersetzt wird (Häutung). Aber auch sonst erfolgt das tierische W. des Gesamtorganismus nicht linear mit der Zeit. Bei den Säugern und den Tieren mit dotterreichen Eiern trifft man ein schnelleres embryonales W. an, dem ein langsameres postembryonales W. folgt. Bei einer Vielzahl von Tierarten wird das W. als Massenzunahme von einem verhältnismäßig einfach organisierten Larvenstadium ausgeführt. In einer Metamorphose werden dann erst viele Strukturen der geschlechtsreifen und viel komplexer gestalteten Adultform durch Wachstumsvorgänge und Differenzierung, oft auf Kosten larvaler Strukturen, ausgebildet. Bei Tieren wird das W. ebenfalls durch Hormone gesteuert, die aber durch ein Kreislaufsystem zu den Zielgeweben und -organen transportiert werden. Je nach Tierstamm sind es verschiedene Stoffe (u.a. somatotropes Hormon, Thyroxin).

Für Tier und Pflanze ist wiederum gemeinsam, dass der einzelne Wachstumsvorgang der Zellen (sowohl plasmatisches wie Streckungs-W.) und damit der von ihnen aufgebauten Teile nicht linear mit der Zeit erfolgt, sondern, unabhängig davon, welcher Parameter vermessen wird, in der graphischen Darstellung gegen die Zeit einen sigmoiden Kurvenverlauf zeigt (Wachstumskurve), d.h. es nimmt zunächst beständig zu, verlangsamt sich dann und kommt ganz allmählich zum Stillstand (bei Pflanzen nicht absolut, s.o.). Der Ablauf des W. ist bei allen Organismen von vielen Erbanlagen abhängig. Daher sind Größe und Gestalt der Körper artspezifisch. Diese genetische Fixierung der Körpergröße und -gestalt ist nur als Vorgabe einer Reaktionsbreite zu verstehen, innerhalb derer aber Ernährungsqualität und Temperatur die Körpergröße (bei Poikilothermen) mitbestimmen. Fehler im Hormonhaushalt können zu anormalem Wachstum führen (Gigaswuchs, Riesenwuchs, Zwergwuchs).

Phänomene wie Wundheilung und Regeneration sind immer mit einem Wiederaufleben von Wachstumsvorgängen verbunden. Je komplexer ein pflanzlicher oder tierischer Organismus differenziert ist, mit um so größerer Wahrscheinlichkeit werden mit zunehmendem Alter in einzelnen Zellen die Gene für Zellteilung und plasmatisches W. wieder aktiv. Es kommt zu einem entarteten und letztendlich den Organismus zerstörenden W. (Krebs), das allerdings auch durch spezifische Viren (Tumorviren) und Bakterien sowie durch Umweltgifte ausgelöst werden kann. (Akzeleration, Wachstumsfaktoren)

  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
Dr. Barbara Dinkelaker
Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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