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Kompaktlexikon der Biologie: Wirbel

Wirbel, 1) Umbo, ältester Teil der Muschelschale, an dem oft die Embryonalschale erhalten ist und der sich durch Struktur und stärkere Wölbung meist deutlich von den jüngeren, konzentrisch zugewachsenen Klappenteilen unterscheidet.

2) Vertebrae, Spondyli (Singular Spondylus), Einzelelemente der Wirbelsäule von Wirbeltieren und Menschen, die aus Knorpel oder Ersatzknochen (Knochen) bestehen und durch Bandscheiben und Bänder miteinander verbunden sind. W. entstehen aus dem Sklerotom-Anteil der Somiten (Mesoderm), die während der Embryonalentwicklung beiderseits der Chorda dorsalis gebildet werden. Im Gegensatz zur unsegmentierten Chorda erfolgt die Anlage der Wirbel segmental. W. sind ein wichtiges Merkmal zur Klassifikation, vor allem bei Fischen, Amphibia, Reptilia.

Es gibt eine Vielzahl von Bildungsweisen und entsprechend viele Wirbeltypen. Bei den fossilen Agnatha und den zur Gruppe der Cyclostomata (Rundmäuler) gehörenden Myxinoidea fehlen Strukturen, die als W. oder als Teile davon angesprochen werden können. Bei den anderen Cyclostomen, den Petromyzonta (Neunaugen), treten pro Somit zwei Paar spangenartige, knorpelige Bögen dorsal der Chorda auf. Das vordere Bogenpaar wird als Interdorsalia bezeichnet, das hintere als Basidorsalia. Diesen Zustand des Achsenskeletts, mit vollständig vorhandener Chorda und höchstens dorsal vorhandenen Wirbelbögen, nennt man Chordastadium. Bei den Chondrostei (Knorpelganoiden) und den Dipnoi (Lungenfische) befindet sich das Achsenskelett im Bogenstadium. Die Chorda ist auch hier vollständig erhalten, aber an ihr setzen pro Somit dorsal und ventral je zwei Paar Wirbelbögen an, die Arcualia. Die vorderen, kleineren Paare sind die Interdorsalia und Interventralia, die größeren, hinteren Paare die Basidorsalia oder Neuralbögen (da sie das Rückenmark umfassen) sowie Basiventralia oder Ventralbögen (im Schwanzbereich Hämalbögen genannt, da sie dort Blutgefäße umfassen). Das Achsenskelett aller anderen Gruppen weist ein Wirbelkörperstadium auf, das verschiedene Ausprägung haben kann. Ein Wirbelkörper (Wirbelzentrum, Centrum) ist derjenige Teil des Achsenskeletts, der die Chorda umgreift; diese kann dabei erhalten bleiben oder rückgebildet werden. Die Bildung des Wirbelkörpers kann von verschiedenen Orten ausgehen: a) von eingewanderten Zellen innerhalb der Chorda, autozentrale Wirbelbildung (einige Knorpelfische, Knochenfische, einige Amphibien, die meisten Amniota); b) durch Skelettbildung in der Chordascheide, chordazentrale Wirbelbildung (einige Knorpelfische) und c) von den Wirbelbögen ausgehend arcozentrale Wirbelbildung (einige Knochenfische, einige Amphibien, einige Amnioten).

In Bezug auf die Ausbildung der Wirbelkörper unterscheidet man mehrere Zustände: Ist kein Wirbelkörper vorhanden (Chondrostei, Bogenstadium), liegt Aspondylie vor. Bei Hemispondylie umfassen pro Segment zwei hintereinander liegende knorpelige oder knöcherne Halbringe die Chorda. Der vordere, dorsal gelegene Halbring ist das Pleurozentrum, der hintere, ventral gelegene Halbring das Hypozentrum (Pycnodontoidea, ausgestorbene Familie der Holostei). Weist ein Segment zwei Wirbelkörper auf, die jeweils vollständig die Chorda umfassen, liegt Diplospondylie vor. Hier bilden Pleuro- und Hypozentrum jeweils einen geschlossenen Ring (Amia, Holostei). Bei Monospondylie tritt pro Segment nur ein Wirbelkörper auf. Er kann aus der Verschmelzung von Pleuro- und Hypozentrum entstanden sein (Knochenfische), oder es wurde eines der beiden Centra reduziert und das andere hat sich vergrößert. So bildet bei den Amphibien allein das Hypozentrum den Wirbelkörper, wogegen das Pleurozentrum reduziert ist. Umgekehrt dominiert bei den Amnioten das Pleurozentrum, und das Hypozentrum ist reduziert. (Von den jeweils reduzierten Elementen sind bei vielen Taxa Rudimente nachzuweisen; in der Bandscheibe der Säuger könnte ein Rest des Hypozentrums enthalten sein.) Daraus folgt, dass die W. der meisten Wirbeltiertaxa zueinander nicht homolog sind. In der Embryonalentwicklung der Wirbeltiere werden pro Segment je eine Muskelanlage (Myomer) und zwei Wirbelkörperanlagen (Pleuro- und Hypozentrum) gebildet. Die Segmentgrenzen von Muskulatur und Skelett sind zunächst deckungsgleich. Es verbindet sich aber jeweils die hintere Wirbelkörperanlage (Hypozentrum) eines Segments mit der vorderen Wirbelkörperanlage (Pleurozentrum) des dahinter liegenden Segments. Erst danach erfolgt die Verschmelzung der beiden Centra bzw. die Reduktion eines von ihnen, während zugleich das jeweils dominante Centrum auswächst. Das Resultat ist eine intersegmentale Lage des fertigen monospondylen W.

Die Form der Wirbel wird nach der Wölbung ihrer kranialen und caudalen Flächen benannt: a) amphicoele W. sind an beiden Enden konkav (Fische, einige Amphibien, Schnabelköpfe, Geckos); b) procoele W. sind kranial konkav, caudal konvex (die meisten Froschlurche und Reptilien); c) opisthocoele W. sind kranial konvex, caudal konkav (Schwanzlurche, einige Froschlurche, Knochenhechte); d) bei acoelen oder biplanen W. sind beide Enden eben, allenfalls schwach konkav (Säuger); e) bei heterocoelen W. besitzen beide Enden sattelförmig gewölbte Flächen (Vögel).

Vom Wirbelkörper gehen mehrere Fortsätze ab, die allg. als Apophysen bezeichnet werden. Nach dorsad ragen die Neuralbögen (Neurapophysen, Basidorsalia), die sich zum unpaaren Dornfortsatz (Processus spinosus) vereinigen. Sie schließen zwischen sich und der Dorsalseite des Wirbelkörpers den Neuralkanal (Rückenmarkskanal, Rückenmark) ein. In diesem verlaufen auch, außerhalb der Rückenmarkshäute, die dorsalen Längsbänder der Wirbelsäule. Die nach ventrad ragenden Hämalbögen (Hämapophysen) sind die Ansatzstellen der ventralen Rippen (Brustkorb). Zu den Seiten ragen die paarigen Querfortsätze (Processus transversus), an denen der obere Gelenkkopf der Rippen ansetzt. Als Parapophyse wird die kleine Gelenkfläche am Wirbelkörper bezeichnet, an der der untere Gelenkkopf der Rippen ansetzt. Paarige Gelenkfortsätze an der Basis der Neuralbögen sind die Zygapophysen. An der cranialen Seite des Neuralbogens liegen die Präzygapophysen, deren Gelenkflächen nach kraniad-dorsad weisen; an der caudalen Seite liegen die Postzygapophysen, deren Gelenkflächen nach caudadventrad weisen. Zygapophysen sind typisch für die Tetrapoda; analoge Bildungen zeigen aber auch die Knochenhechte (Lepisosteidae).

Zusätzliche Gelenkfortsätze, cranial an den W. die Metapophysen, caudal die Anapophysen, brachten der Säugerordnung Xenarthra (Nebengelenktier) ihren Namen ein. Auch bei Schlangen (Serpentes), für die eine hohe Beweglichkeit der Wirbelsäule besonders wichtig ist, treten zusätzliche Gelenke an den W. auf. Das kraniale Zygosphen des einen Neuralbogens bildet mit dem caudalen Zyganthrum des davorliegenden Neuralbogens ein Zapfengelenk.

  • Die Autoren

Redaktion:
Dipl.-Biol. Elke Brechner (Projektleitung)
Dr. Barbara Dinkelaker
Dr. Daniel Dreesmann

Wissenschaftliche Fachberater:
Professor Dr. Helmut König, Institut für Mikrobiologie und Weinforschung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Professor Dr. Siegbert Melzer, Institut für Pflanzenwissenschaften, ETH Zürich
Professor Dr. Walter Sudhaus, Institut für Zoologie, Freie Universität Berlin
Professor Dr. Wilfried Wichard, Institut für Biologie und ihre Didaktik, Universität zu Köln

Essayautoren:
Thomas Birus, Kulmbach (Der globale Mensch und seine Ernährung)
Dr. Daniel Dreesmann, Köln (Grün ist die Hoffnung - durch oder für Gentechpflanzen?)
Inke Drossé, Neubiberg (Tierquälerei in der Landwirtschaft)
Professor Manfred Dzieyk, Karlsruhe (Reproduktionsmedizin - Glück bringende Fortschritte oder unzulässige Eingriffe?)
Professor Dr. Gerhard Eisenbeis, Mainz (Lichtverschmutzung und ihre fatalen Folgen für Tiere)
Dr. Oliver Larbolette, Freiburg (Allergien auf dem Vormarsch)
Dr. Theres Lüthi, Zürich (Die Forschung an embryonalen Stammzellen)
Professor Dr. Wilfried Wichard, Köln (Bernsteinforschung)

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