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Lexikon der Biologie: Acanthocephala

Acanthocephala [von *acantho –, griech. kephalē = Kopf], Kratzer, Klasse der Nemathelminthes (Schlauchwürmer) mit 3 Ordnungen ( vgl. Tab. ). Die Tiere leben im erwachsenen Zustand ausschließlich als Darmparasiten in Wirbeltieren, vornehmlich Landtieren, Vögeln und Süßwasserfischen, selten in Meeresfischen und Robben, während sie als Larven in der Körperhöhle von Arthropoden und Schnecken, die als Zwischen- und Ausbreitungswirte dienen, zu finden sind. Sie sind von wurmförmiger Gestalt ( vgl. Abb. ) und gewöhnlich farblos weiß. Ihr Körper ist bilateralsymmetrisch gebaut und unsegmentiert, wenngleich bei manchen Formen oberflächlich geringelt. Kennzeichnend ist ein einstülpbarer, dicht mit Reihen feiner Widerhäkchen besetzter Rüssel (Praesoma) am Vorderende, mit dessen Hilfe sich die Tiere in die Darmwand des Wirts einbohren und dort festsetzen können. Auch der Rumpf (Metasoma) ist bei einzelnen Arten mit Dornen besetzt. Die Tiere sind zwischen wenigen Millimetern und 1 m (Macracanthorhynchus) groß.
Anatomie ( vgl. Abb. ): Die Körperwand besteht aus einer etwa 2 μm dicken porenreichen Mucopolysaccharidcuticula (Schutz vor den Verdauungsenzymen des Wirts), einer bis zu 20 μm dicken syncytialen und vielkernigen Epidermis und – durch eine derbfaserige Basallamina von dieser abgegrenzt – einem ebenfalls syncytialen Muskelschlauch aus äußerer Ring- und innerer Längsmuskellage, der dem Wurm eine allseitige Beweglichkeit verleiht. Das Muskelsyncytium umschließt ohne epitheliale Abgrenzung eine ungegliederte flüssigkeitserfüllte Leibeshöhle (Pseudocoel), in die von der Rüsselbasis (Hals) her eine muskulöse Tasche (Rüsselscheide) hineinragt. Durch den Zug paariger Muskelstränge, die beidseits aus der Rüsselspitze und von der Halsregion zur Rumpfmuskulatur ziehen, kann der Rüssel in seine Scheide hineingestülpt werden, während seine Ausstülpung hydraulisch durch die Kontraktion von Rüsselscheiden- und Rumpfmuskulatur erfolgt. Dabei können die Rüsselstacheln wie Katzenkrallen in die plastische und je nach Körperbinnendruck dickenveränderliche Epidermis eingezogen werden. Mit einer Grundplatte in der Basallamina verankert, durchbrechen sie nämlich die epidermale Plasmaschicht, sind aber wie diese von der Cuticula überzogen, die sich in einer tiefen Falte um den Stachel legt und ihn wie eine Gelenkhaut verschieblich in der Epidermis einbettet. Die Würmer sind zeitlebens darmlos und nehmen ihre Nahrung über die gesamte Körperoberfläche auf. Entsprechend seinen Funktionen als Stoffwechselorgan und Körperabdeckung, weist das epidermale Syncytium eine lichtmikroskopisch sichtbare Schichtung auf: Einer oberflächennahen stark verdichteten Plasmazone kommen wohl überwiegend Skelettfunktionen zu; diese Schicht ist von zahlreichen Plasmalemmeinstülpungen durchbrochen, die sich als reich verzweigte intracytoplasmatische Kanälchen in das Syncytium einsenken und in der Tiefe der Epidermis zu einem weitlumigen Lakunensystem vereinigen. Dieses durchzieht mit Längsgefäßstämmen und Querverbindungen in einer für die einzelnen Ordnungen typischen Anordnung die gesamte Epidermis. Es ersetzt den Darm und dient ebenso der Aufnahme und Verarbeitung von Nährstoffen wie – anstelle eines eigenen Gefäßsystems – ihrer Verteilung. Im Halsbereich bildet das epidermale Syncytium 1–3 Paare langer Aussackungen, die durch die Muskulatur hindurch weit in die freie Leibeshöhle ragen (Lemnisken). Sie werden als Organe vornehmlich des Fettstoffwechsels gedeutet. – Vom Hinterende der Rüsselscheide beginnend und caudal in die Umhüllung des Geschlechtsapparats übergehend, durchzieht ein zarthäutiger Schlauch (Ligamentsack) die Körperhöhle in ihrer ganzen Länge. Er besteht aus einer epithellosen Bindegewebsmembran und ist bei Eoacanthocephala und Archiacanthocephala gewöhnlich durch einen soliden axialen Bindegewebsstrang (Ligamentstrang) unvollständig in eine dorsale und ventrale Tasche unterteilt. Der Ligamentsack wird als Darmrudiment gedeutet. Im Ligamentsack entwickeln sich am Ligamentstrang die Keimorgane – beim Männchen paarige Hoden, die über einen gemeinsamen Samenleiter caudal zusammen mit den paarigen "Zementdrüsen" in den Penis münden, beim Weibchen kompakte Ovarien, die im Verlauf der Entwicklung in einzelne Keimballen zerfallen und frei im Ligamentsack flottieren (Archiacanthocephala und Eoacanthocephala) oder nach dessen Auflösung (Palaeacanthocephala) die reifenden Eier in die freie Leibeshöhle entleeren. Die Würmer sind generell getrenntgeschlechtlich. – Das in Anpassung an die entoparasitäre Lebensweise einfache Nervensystem besteht aus einem Gehirn in der Wand der Rüsselscheide (Festlegung der Dorsiventralebene) und von diesem ausgehenden paarigen und unpaaren Nerven, die die Rüsselspitze (Sinnesorgan) und Muskulatur innervieren. Die Männchen besitzen zusätzlich am Körperende eine Gruppe von Ganglien, die über Längsnerven mit dem Gehirn und durch eine Querkommissur untereinander verbunden sind und der Innervation der Kopulationsorgane dienen. Nur bei den Archiacanthocephala wird ein eigenes Exkretionssystem in Form zahlreicher Protonephridien mit gemeinsamem Ausführungsgang angelegt.
Entwicklung: Die männlichen Kopulationsorgane bestehen aus einer ausstülpbaren Tasche am Körperende (Bursa), in die neben dem Penis auch eine Klebdrüse (Saefftigensche Tasche) und – so vorhanden – der Exkretionskanal münden. Die Bursa wird zur Begattung ausgestülpt, legt sich um die weibliche Geschlechtsöffnung und verklebt dort zeitweilig durch das Klebdrüsensekret. Nach vollzogener Kopulation wird die weibliche Geschlechtsöffnung durch einen Sekretpfropf der Zementdrüsen verschlossen. Nach der Befruchtung entwickeln sich die Eier schon in der Leibeshöhle des Weibchens über eine abgeleitete Spiralfurchung zu infektionsfähigen Primärlarven (Acanthor) mit ausstülpbarem Hakenrüssel, die sich mit einer cuticulären Schale umgeben. Bereits in diesem Stadium bilden die larvalen Gewebe einen syncytialen Verband. Im Gegensatz zu den rundlichen Eiern sind die encystierten Acanthorlarven schlank, reiskornförmig. Erst in dieser Form können sie über den muskulösen Uterus nach außen abgegeben werden. Dazu dient ein im Tierreich einzigartiger Eiersortierapparat (Uterusglocke), ein enghalsiger Trichter, der nur die ablegereifen schlanken Acanthorlarven, nicht aber die rundlichen Eier passieren läßt. Wie bei vielen Parasiten ist die Eiproduktion sehr hoch: Weibchen des Riesen-Kratzers (Macracanthorhynchus hirudinaceus) können täglich etwa 80 000 Larvencysten freisetzen. Mit dem Wirtskot nach außen gelangt, müssen die encystierten Acanthorlarven von einem Zwischenwirt (Insekt, Krebs, Schnecke) aufgenommen werden. Nach dem Schlüpfen in dessen Darm bohrt sich die Larve durch die Darmwand und entwickelt sich in dessen Leibeshöhle zur Zweitlarve (Acanthella) mit ein- und ausstülpbarem Rüssel und allen Organanlagen des erwachsenen Wurms. In encystiertem Zustand (Cystacantha) verharrt sie, bis der Zwischenwirt von einem möglichen Endwirt gefressen wird, in dessen Darm der Parasit zum geschlechtsreifen Wurm heranwächst. In einem als Endwirt ungeeigneten Wirbeltier (Wirtsspezifität) vermag diese Larve nach vorübergehender Aktivität (Einbohren in dessen Darmwand und Neuencystierung) infektiös zu überdauern, bis sie schließlich doch über die Nahrungskette in den passenden Endwirt gelangt. Die Pathogenität der Würmer ist im allgemeinen gering. Lediglich bei großer Populationsdichte der Wirte (Fischzuchtanstalten, Hausgeflügelhaltung, Käfigvögel und Terrarien) kann ein Massenbefall zu blutigen Darmentzündungen und zum Absterben der befallenen Tiere führen. Auch der Mensch kann in einzelnen Fällen als Endwirt dienen (Moniliformis, Macracanthorhynchus).
Die phylogenetische Verwandtschaft der Würmer ist umstritten, und wie bei allen Pseudocoelomata ist die Frage ungeklärt, ob die Coelomlosigkeit primär oder durch Reduktion eines ursprünglich vorhandenen Coeloms entstanden ist. Die bilaterale Furchung der Tiere ist vermutlich auf eine Spiralfurchung zurückzuführen. Wie alle obligatorischen Parasiten leiten sich die Acanthocephalen wohl von ursprünglich freilebenden, und zwar aquatischen Vorfahren her. Ihre somatische Zellkonstanz (Eutelie) und die amitotische Kernvermehrung in der syncytialen Epidermis legen nahe, daß es sich bei den Vorfahren um mikroskopisch kleine Formen handelt, wie man heute annimmt, bdelloide Rädertiere (Bdelloidea). Mit ihnen verbindet die Acanthocephalen eine Reihe synapomorpher Merkmale, so der ungewöhnliche Aufbau der Epidermis, der gemeinsame Besitz von Lemnisken, die Anatomie und Ultrastruktur des Rüssels und der Rüssel-Retraktormuskeln; schließlich entspricht der Ligamentsack in Bau und Verlauf dem Darmrudiment männlicher, monogononter Rotatorien. Früher zuweilen vermutete Verwandtschaftsbeziehungen zu den Priapulida oder Kinorhyncha werden heute nicht mehr erwogen.

P.E.


Acanthocephala

1 zwei Acanthocephalen aus Fischdarm; 2 Halsregion eines Acanthocephalen mit ausgestülptem Rüssel
1




2





Acanthocephala

Bauplan eines Archiacanthocephalen-Männchens (links) und eines Palaeacanthocephalen-Weibchens (rechts).
1 ausgestülpter bzw. eingestülpter Hakenrüssel, 2 Halsregion, 3 Rüsselscheide, 4 Rüsselrückziehmuskeln, 5 Cuticula, 6 Epidermis, 7 Ringmuskulatur, 8 Längsmuskulatur, 9 Hals-Rückziehmuskeln, 10 Lemnisken, 11 Ligamentsack (beim Weibchen aufgrund der prallen Eifüllung aufgeplatzt, Ligamentstrang in Abb. nicht sichtbar), 12 Hoden, 13 Reste des Eierstocks, 14 Keimballen, 15 unreife Eier, 16 Acanthorcysten, 17 Uterusglocke, 18 Uterus, 19 Klebdrüse (Saefftigensche Tasche), 20 Zementdrüsen, 21 Bursa, 22 Penis, 23 Vagina, 24 Protonephridienkomplex, 25 Gehirn, beim Männchen mit eingezeichneten Nerven (punktiert) zum Rüssel und zur Körperwand, 26 Genitalganglien
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