Lexikon der Biologie: Alzheimersche Krankheit
Alzheimersche Krankheit, Alzheimersche Demenz, Morbus Alzheimer, eine progrediente Erkrankung des Gehirns mit irreversiblen morphologischen und biochemischen Veränderungen von Gehirnarealen, besonders im Bereich des Hippocampus und des Assoziationscortex. Die Krankheit wurde erstmals im Jahre 1907 von dem Neurologen A. Alzheimer beschrieben. Schätzungen zufolge leiden 0,3% der 60–69-Jährigen, 3,2% der 70–79-Jährigen und 10,8% der 80–89-Jährigen an dieser Krankheit. Von den beobachteten Demenzen alter Menschen sind ca. 60% Demenzen vom Alzheimer-Typ. Die Pathogenese gliedert sich in drei Phasen: 1) Gedächtnisschwund und vermindertes Lernvermögen; 2) Sprachstörungen, Sinnestäuschungen und Orientierungslosigkeit; 3) vollständiger Verlust der Sprache, des Gedächtnisses und der Körperkontrolle. – Symptomatisch gleicht die Alzheimersche Krankheit anderen Demenzen, wie z. B. der Multiinfarkt-Demenz. Zwischen dem Auftreten der ersten Zeichen der Erkrankung und dem Tod liegen meist 8 bis 15 Jahre. Seit 1997 ist bekannt, daß Schlaganfälle (Schlaganfall) das Risiko einer Erkrankung erhöhen. Weitere, 1998 neu beschriebene Risikofaktoren sind ein erhöhter Cholesterinspiegel und der bei Frauen in der Menopause erniedrigte Östrogenspiegel. Die unspezifische Symptomatik verhindert eine frühe und sichere Diagnostik, welche am Lebenden praktisch nur durch Ausschlußverfahren möglich ist. Dazu zählen Computertomographie, Encephalographie (Elektroencephalogramm), Wahrnehmungs- und Lerntests, Hirnbiopsie sowie Untersuchungen der Cerebrospinalflüssigkeit. Neuerdings verspricht man sich von neuroradiologischen Untersuchungen und Positronenemissionstomographie (PET) eine bessere Diagnose. In den betroffenen Gehirnarealen lebender und Alzheimer-gefährdeter Personen wurde mittels PET ein reduzierter Glucosestoffwechsel nachgewiesen. Dies ist möglicherweise zur frühzeitigen Beurteilung des Krankheitsbildes relevant. – Mit Hilfe von fluoreszenzmarkiertem löslichem Amyloid, das sich schnell an die Amyloid-Plaques (s. u.) anlagert, eröffnet sich ebenfalls die Möglichkeit einer früheren Diagnose. Ein völlig neuartiger Weg zur Erforschung der Krankheitsursachen wird mit der Isolierung einzelner Gehirnzellen beschritten. Auf diese Weise können gesunde und kranke Zellen verglichen werden, die auch in fortgeschrittenem Alzheimer-Stadium nebeneinander vorkommen. Dies war in einem Homogenat aus Gehirngewebe bisher nicht möglich. Hiermit konnten Veränderungen bei einer Reihe von Genen, die in die Regulation des Zellzyklus und der Apoptose integriert sind, festgestellt werden. Da derartige Veränderungen auch bei Krebserkrankungen beobachtet wurden, ist es nicht ausgeschlossen, daß die Alzheimersche Krankheit eine dem Krebs ähnliche Erkrankung ist. Derzeit (1998) werden nahezu 100 Gene gleichzeitig auf Alzheimer-typische Aberrationen untersucht.
Neuropathologische Untersuchungen nach dem Tod der Erkrankten belegen eine Gehirnatrophie des Cortex (Hirnrinde), besonders in den frontalen, temporalen und parietalen Bereichen. Ferner sind die inneren und äußeren Liquorräume erweitert. Am auffälligsten sind Einlagerung von Plaques (βA4-Amyloid-Plaques) und veränderte Neurofibrillen (Neurofibrillenbündel). Der Begriff "Amyloid" stammt von Robert Koch, der die histologisch anfärbbaren Plaques fälschlicherweise als Abkömmlinge von Kohlenhydraten (Amylum = Stärke) deutete. Hauptbestandteil der Plaques ist aber ein Protein, das sog. βA4-Protein. Es entsteht bei der Prozessierung eines Vorläuferproteins, des Amyloid Precursor Protein (APP). Das APP wird in den verschiedensten Körperzellen, also nicht nur im Gehirn, synthetisiert, zur Membran transportiert und als integrales Transmembranprotein dort eingebaut. Alternatives Spleißen ergibt bis zu 8 Isoformen mit erhaltener βA4-Sequenz. Letztere zeigt von der Membranmitte nach außerhalb der Zelle. Durch Sekretasen katalysiert werden verschieden lange Bruchstücke mit 39–40 bzw. 42–43 Aminosäuren aus dem APP abgespalten. Eine α-Sekretase spaltet das APP in der Mitte der βA4-Region. Das Produkt dieser Spaltung wird als sekretorisches APP bezeichnet und besitzt – zumindest nach in-vitro-Studien – neurotrophe und neuroprotektive Eigenschaften. Offenbar ist hierin eine natürliche Funktion des APP zu sehen. Andere Befunde sprechen für eine Rolle des APP bei der Wundheilung und bei Reparaturprozessen. β- und γ-Sekretasen spalten das APP vor bzw. hinter der βA4-Region, wodurch das βA4-Protein (synonym: Amyloid-b.Peptid ; Ab) freigesetzt wird. Sowohl aus der α- als auch der γ-Sekretase-Spaltung resultiert ein weiteres Teilstück, das sog. p3-Fragment. Es kann mit dem βA4-Protein in frühen Amyloidplaques nachgewiesen werden. Die Annahme, daß durch die "korrekte" Spaltung mittels der α-Sekretase eine Amyloidbildung verhindert wird, kann demnach nicht mehr aufrechterhalten werden. Wahrscheinlich spielt eine gestörte Balance der einzelnen Sekretasen für die Ausbildung der Alzheimer-Krankheit eine zentrale Rolle. Im Zuge der Amyloidbildung aggregiert insbesondere das βA4-Protein im extrazellulären Raum zu Fibrillen – möglicherweise unter Beteiligung freier Radikale. Zusammengelagert ergeben diese Fibrillen die Amyloidplaques von etwa 0,2 mm Durchmesser. Für die Stabilität der Aggregate aus βA4-Protein ist eine β-Faltblattstruktur ausschlaggebend, innerhalb des APP ist der βA4-Bereich dagegen in Form einer Alpha-Helix gefaltet. Dieser Sachverhalt ist in neuester Zeit für einen therapeutischen Ansatz relevant geworden (s. u.). Es hat sich gezeigt, daß die abgelagerten Fibrillen neurotoxische Wirkungen (Neurotoxine) besitzen. 1997 wurde ein als ERAB-Protein ("endoplasmatic reticulum-associated Ab binding protein") bezeichnetes Protein entdeckt, das sich an das Amyloid bindet und dieses durch die Zellmembran transportieren kann. Wenn in Zellkulturen die ERAB-Synthese unterbunden wird, wirkt das Amyloid weniger toxisch. Die normale Funktion von ERAB ist noch unklar; möglicherweise ist das Protein als Dehydrogenase an der Steroidsynthese beteiligt. Unabhängig von diesen neueren Befunden konnte die zunächst vertretene Ansicht, daß sich "normal" alternde und Alzheimer-demente Personen in der Häufigkeit des Auftretens der Plaques unterscheiden, nicht aufrechterhalten werden. Die Neurofibrillenbündel als zweite Gruppe von Alzheimer-charakteristischen Gehirnstrukturveränderungen bestehen in der Hauptsache aus pathologisch veränderten, sog. Tau-Proteinen (τ-Proteine). Sie finden sich in aggregierter Form als "paarige helikale Filamente" mit einem Durchmesser von 10–22 nm in Ausläufern und im Cytoplasma der Nervenzellen. Tau-Proteine sind normalerweise für die Stabilität von Mikrotubuli verantwortlich. Das veränderte τ-Protein ist im Gegensatz zu der Normalform unlöslich, abnormal phosphoryliert und nicht an Mikrotubuli gebunden. Ob – wie bisher vermutet – die Phosphorylierung tatsächlich von Bedeutung in der Art ist, daß sie den aberranten τ-Proteinen eine besondere Festigkeit verleiht, ist neuerdings etwas fraglich geworden. Auch unverändertes τ-Protein kann nach Zugabe von Heparin oder Heparinsulfat im Reagenzglas zu helikalen Filamenten aggregieren. Möglicherweise ist die Phosphorylierung des τ-Proteins generell ein frühes Zeichen für den Untergang von Neuronen, zumal bisher kein genetischer Defekt im τ-Gen gefunden wurde, der zwangsläufig mit der Alzheimerschen Krankheit verknüpft ist, und andererseits neurofibrilläre Bündel gemeinsam mit oder ohne Amyloid-Plaques auch im Zusammenhang mit anderen neurodegenerativen Krankheiten auftauchen. Eine hohe Konzentration von τ-Proteinen im Liquor (Cerebrospinalflüssigkeit), die häufig bei neurologischen Erkrankungen gefunden wird und wahrscheinlich von zerstörten Neuronen herrührt, ist also – ebenso wie die Amyloid-Plaques – kein Indikator für Alzheimersche Demenz. – Die Ursachen für die pathologischen Veränderungen sind bis heute unklar. So wurden unter anderem diskutiert: 1) Ein noch unbekanntes slow-Virus (slow-Viren), wie es früher bei der Kuru-Krankheit auf Neuguinea und der Creutzfeld-Jakob-Erkrankung vermutet wurde, bei denen ebenfalls Plaques und veränderte Neurofibrillen kennzeichnend sind; 2) Gehirnverletzungen; 3) Störungen im Hirnstoffwechsel, wobei durch Glucosemangel eine verstärkte Degeneration von Hirnzellen auftritt (s. u.). Die meisten dieser Vorstellungen über die Genese der Krankheit sind nur noch historisch interessant. So läßt sich auch die Hypothese von einer Aluminium-Intoxikation nicht mehr aufrechterhalten. Von einigen Autoren wird die Auslösung der Alzheimerschen Krankheit mit immunologischen Vorgängen, die durch Streß ausgelöst werden, in Verbindung gebracht. In Alzheimer-Gehirnen findet man eine erhöhte Konzentration des Cytokins Interleukin 6 (Il-6; Interleukine), das zusammen mit anderen Cytokinen eine Akutphasenreaktion auslösen kann. Innerhalb der Plaques von Alzheimer-Kranken wurden erhöhte Konzentrationen von Akutphasenproteinen gefunden. Nach dieser Vorstellung synthetisieren Mikroglia und Astrocyten, die immunkompetenten Zellen des Gehirns, Akutphasenproteine, unter anderem Proteasehemmer der α-APP-Sekretase. Dies führt letztendlich zu einer Anreicherung des pathogenen βA4-Proteins. Da bei anderen chronischen Krankheiten, wie der rheumatoiden Arthritis (Rheumatismus) oder der Psoriasis (Schuppenflechte), bei denen eine unkontrollierte Il-6-Produktion vorliegt, psychosomatische Komponenten eine wesentliche Rolle spielen, wird ein Zusammenhang zwischen psycho-physischem Streß und der gesteigerten Il-6-Produktion vermutet (Psychoneuroimmunologie). In Tierexperimenten wurde dies bereits nachgewiesen. Bei Studien mit Alzheimer-Patienten, die vor dem 65. Lebensjahr erkrankten, war ein Großteil der Patienten lang anhaltenden Streßepisoden ausgesetzt, bevor die ersten Symptome der Krankheit auftraten. In einer Placebo-kontrollierten Studie mit Indometacin, einem Antiphlogistikum (Antiphlogistika), konnten das Fortschreiten der Krankheit im Anfangsstadium gestoppt bzw. die Symptome leicht gemindert werden. Über die Bedeutung genetischer Faktoren bei der Alzheimer-Krankheit ist viel diskutiert worden ( vgl. Infobox ). – Alle Annahmen über die primären Ursachen der Alzheimerschen Krankheit besitzen noch hypothetischen Charakter und sind Gegenstand aktueller Forschung. Wünschenswert wäre ein brauchbares Tiermodell, an dem sich die zahlreichen pathologischen Effekte reproduzierbar nachvollziehen ließen. Mit der Herstellung einer transgenen Maus (PDAPP-Maus) ist man diesem Modell ein ganzes Stück näher gekommen. Die Maus überexprimiert im Gehirn ein mutiertes APP-Gen, was zu massiven Amyloid-Ablagerungen und Nervenuntergängen führt. Im Cortex vermindert sich die Synapsendichte. Es wurde daraus geschlossen, daß die Plaques Ursache und nicht Folge der Krankheit sind. Allerdings kommt es nicht zur Ausprägung neurofibrillärer Bündel. Therapieansätze könnten an diesem Modell erarbeitet werden, wenn es gelänge, die Amyloid-Ablagerung zu blockieren oder abgelagertes Amyloid zu mobilisieren. Bisherige Therapieansätze sind nur symptomatisch und umfassen z. B. die Gabe von Cholinesterase-Hemmern (Anticholin-Esterasen), um den Untergang cholinerger Neuronen zu kompensieren. Des weiteren gibt es Versuche, die cholinerge Wirkung der restlichen Neuronen durch Injektion genetisch veränderter Fibroblasten, die Cholinacetyl-Transferase exprimieren, zu verstärken. Entsprechende Versuche sind mit Nerve growth factor produzierenden Fibroblasten durchgeführt worden. In diesen Fällen konnte in Tierversuchen der Untergang cholinerger Neuronen verhindert werden. 1998 ist es gelungen, die β-Faltblattstruktur des Amyloids in den Gehirnen von Ratten durch ein künstlich hergestelltes Peptid ("beta-sheet breaker") von nur fünf Aminosäuren zu stören und damit die Amyloidbildung zu verhindern bzw. schon vorhandenes Amyloid aufzulösen. Welche therapeutische Bedeutung dieser Entdeckung zukommt, bleibt abzuwarten. neurodegenerative Krankheiten, Ubiquitin.
K.-G.C.
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