Lexikon der Biologie: Brennessel
Brennessel, Nessel, Urtica, Gattung der Brennesselgewächse mit ca. 40, vor allem in den gemäßigten Breiten der Erde vorkommenden Arten. Neuere molekulargenetische Untersuchungen zeigen eine enge Verwandtschaft mit den Rosengewächsen. Ein- oder mehrjährige, meist mit Brennhaaren (Brennhaar) besetzte Kräuter mit vierkantigen Stengeln, gegenständigen, meist gezähnten oder gelappten Blättern und unscheinbaren grünlichen Blüten in kätzchenförmigen Blütenständen. Im Innern besitzt die Brennessel unverzweigte und ungegliederte Milchröhren, die Absonderungszellen (Absonderungsgewebe) darstellen. Die in Eurasien und Nordamerika heimische Große Brennessel (Urtica dioica;vgl. Abb. und Europa XVI ) ist eine bis 150 cm hohe, ausdauernde, meist diözische Pflanze mit kurzem, ästigem Rhizom und bis 15 cm langen, grob gesägten Blättern. Die Brennhaare ( vgl. Abb. ) bestehen aus einem balgförmigen, in einen sockelartigen Auswuchs des Blattgewebes eingesenkten unteren und einem spitz zulaufenden, in einem Köpfchen endenden oberen Teil. Bei Berührung bricht die Spitze des durch Kieselsäureeinlagerung spröden Haares ab, und der Zellsaft, der unter anderem Natriumformiat, Acetylcholin und Histamin enthält, wird in die Haut injiziert. Ein sofort auftretender Schmerz und die Ausbildung einer zunächst blassen, später roten, stark juckenden Quaddel sind die Folge. Die von Juni bis September blühende Große Brennessel wächst an Wegen, Gräben und Zäunen, auf Schuttplätzen und in Auenwäldern. Sie zählt zu den Stickstoffzeigern (Nitrophyten, Bodenzeiger) und Ruderalpflanzen und ist im gemäßigten Europa am Aufbau siedlungsbedingter Ruderalgesellschaften, z. B. dem Brennessel-Giersch-Saum (Glechometalia), beteiligt. Eine weitere bei uns heimische Brennesselart ist Urtica urens, die Kleine Brennessel ( vgl. Abb. ), eine nur ca. 50 cm hohe, einjährige, monözische Pflanze mit bis 5 cm langen rundlich-eiförmigen Blättern, die wie die Große Brennessel zu Heilzwecken genutzt und als Wildgemüse verzehrt wird. In Südeuropa beheimatet ist die Römische Nessel oder Pillen-Brennessel (Urtica pilulifera;vgl. Abb. ), die sich von den zuvor genannten Arten insbesondere durch ihre kugeligen Blütenstände unterscheidet. – Schon seit dem Altertum gilt die Brennessel als Heilpflanze. Frische Pflanzen wurden zu sog. Urticationen (Auspeitschungen) als unspezifische Reiztherapie bei chronischen Erkrankungen angewendet. Aus frischem Kraut gewonnene Essenzen werden äußerlich als Haarwuchs- oder Gurgelmittel sowie als Heilmittel bei Hauterkrankungen und Verletzungen benutzt; innerlich sollen sie bei chronischer Bronchitis, Anämie und Muskel- wie Gelenkrheumatismus wirksam sein. In pharmakologischen Studien zeigten Präparate aus Brennesselblätterextrakt eine ähnlich gute Wirkung wie die häufig verwendeten nichtsteroidalen Antirheumatika. In Kombination mit diesen konnte bei der Mehrzahl der Patienten eine Dosisreduzierung oder das Absetzen der konventionellen Rheumamittel erreicht werden. Vor Einführung der Baumwolle in Europa spielte die Große Brennessel zudem eine bedeutende Rolle als Faserpflanze. Die reißfesten, langen Bastfasern des Stengels wurden durch Kochen in Lauge isoliert und zu sog. Nesseltuch (heute auch Bezeichnung für Baumwollgewebe mit Leinwandbindung) verarbeitet, das z. B. für die Herstellung von Hemden und Bettwäsche verwendet werden kann. Der bei der Gewinnung der Fasern anfallende Holzanteil kann zur Papierherstellung genutzt werden. Mit einigen erhaltenen Zuchtnesseln wurde Anfang der 1990er Jahre die nach dem 2. Weltkrieg eingestellte Züchtung besonders faserreicher Brennessel-Sorten wieder aufgenommen. Ihr Fasergehalt liegt bei 12–15% gegenüber 4–5% bei den Wildnesseln. Neue Anwendungsgebiete ergeben sich im Ersatz von Glasfasern in Verbundwerkstoffen, z. B. bei Formteilen für die Autoindustrie. Auch als Wildgemüse wird die Große Brennessel vermehrt genutzt: ihre jungen Triebe werden im Frühjahr wie Spinat zubereitet oder als Zusatz in verschiedenen Käsesorten verwendet. Ein Wasserextrakt der Brennessel wird in Landwirtschaft und Gartenbau als Insektizid und Fungizid eingesetzt (Brennessel-Inhaltsstoffe).
N.D./A.Se.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.