Lexikon der Biologie: Chaetognatha
Chaetognatha [von *chaeto –, griech. gnathos = der Kiefer], Borstenkiefer, Pfeilwürmer, Homalopterygia, artenarmer Stamm wirbelloser Coelomaten von meist geringer Größe (6 bis etwa 100 mm). Sie leben ausschließlich im Meer, in der großen Mehrzahl als pelagische Beutejäger. In allen Weltmeeren verbreitet, treten sie häufig in solchen Massen auf (5–10% der marinen Biomasse), daß sie eine bedeutende Rolle in der Nahrungskette des marinen Ökosystems spielen. Die Tiere, deutsch treffend als Pfeilwürmer bezeichnet, sind glasklar durchsichtig und von schlanker, fischähnlicher Gestalt. Ihr bilateralsymmetrischer Körper gliedert sich in einen muskulösen, mit Greifhaken bewehrten Kopf (wissenschaftlicher Name; vgl. Abb. ), von diesem durch einen kurzen Hals abgesetzt einen schlanken Rumpf von quer-ovalem Querschnitt und einen kurzen, in einer fächerförmigen waagerechten Schwanzflosse endenden Schwanzabschnitt. Zusätzlich zur Schwanzflosse sind an den Rumpfflanken 1–2 Paar schmaler Seitenflossen ausgebildet. Alle Flossen sind selbst unbeweglich und bestehen aus einfachen Cuticula-überzogenen Epithelfalten, die zusätzlich durch starre cuticuläre Radien versteift sind. Sie dienen den gewöhnlich reglos im Wasser schwebenden Tieren ebenso als Lagestabilisatoren und Schwebefortsätze wie als Ruder (Schwanz) und Leitflächen, wenn diese etwa zu Beutefang oder Flucht durch rasche vibrierende Rumpfbewegungen pfeilschnell vorwärts schießen oder durch langsames Schlängeln in der Dorsoventralebene aktive tagesrhythmische Vertikalwanderungen unternehmen. Der Beutefangapparat der Pfeilwürmer besteht aus zwei Reihen scharfer Zahnleisten an den Kopfseiten ventrolateral der Mundöffnung und, beidseits hinter diesen, je einer Gruppe von 7–14 langen, spitzen Greifhaken aus Chitin, die durch kräftige Muskeln wie Baggerschaufeln geöffnet und abgespreizt und blitzschnell vor dem Mund zusammengeschlagen werden können. In Ruhestellung werden sie seitlich dem Kopf angelegt und unter einer kapuzenartigen Hautfalte (Praeputium) verborgen (Verringerung des Schwimmwiderstands). Verschiedene Drüsengruppen rund um das Mundfeld sondern ein starkes Nervengift (Tetrodotoxin) ab, das die mit den Greifhaken erfaßten und verletzten Beutetiere augenblicklich lähmt. Als Nahrung dienen Planktonorganismen zum Teil erheblicher Größe, besonders Fischlarven und Krebschen. Bisher sind etwa 120 Arten bekannt, die sich auf 2 Ordnungen (Phragmophora und Aphragmophora) mit insgesamt etwa 10 Gattungen verteilen ( vgl. Tab. ), unter ihnen eine einzige zu benthischer Lebensweise übergegangene und an allen europäischen Küsten verbreitete Form (Spadella). In allen Meeren überaus häufig, zeigen manche Arten aber eine ausgeprägte Präferenz für bestimmte Salzgehalts-, Temperatur- oder Tiefenzonen. Da sie als Planktonten passiv mit Meeresströmungen verfrachtet werden, dienen sie in der Ozeanographie häufig als Indikatororganismen zum Nachweis großräumiger Wasserbewegungen. Die Gattung Sagitta ist weltweit verbreitet und umfaßt etwa 65% aller bekannten Arten. Anatomie ( vgl. Abb. ): Das Integument besteht aus einer zellulären, meist mehrschichtigen Epidermis – eine für Wirbellose ungewöhnliche Epithelform, die eher an die Körperbedeckung der Chordatiere erinnert; nur in einzelnen eng begrenzten Körperbereichen (ventrale Kopfseite, Praeputium und Flossen) ist die Epidermis einschichtig. Die gesamte Körperoberfläche ist von einer dünnen, zähen Gallertschicht überzogen; nur an Kopfunterseite und Flossen ist diese zu einer derberen Cuticula verdickt. Die Leibeshöhle stellt ein echtes Coelom dar und wird von einem lückenhaften, begeißelten Coelothel ausgekleidet, aus dem sich auch die Muskulatur differenziert. Zwischen Coelothel und Epidermis liegt eine derbe Basalmembran. Quersepten gliedern die Körperhöhle der äußeren Körpergliederung entsprechend in drei Abschnitte, ein rudimentäres, von Muskulatur und Nervensystem fast verdrängtes Kopfcoelom, das sich auch in das Praeputium hinein erstreckt, ein weiträumiges Rumpf- und ein kurzes Schwanzcoelom. Sonstige Anzeichen einer Segmentierung fehlen. Die Rumpfmuskulatur beschränkt sich auf je zwei dorsale und ventrale Längsmuskelstränge und, bei der ursprünglicheren Ordnung der Phragmophora, eine transversale Muskellage zwischen den ventralen Längsmuskeln, die bei den Aphragmophora (Name!) fehlt. Aus dem Coelothel entstehen beim erwachsenen Tier auch Umhüllung und Ausleitungsgänge der zwittrigen sackförmigen Gonaden, der das Rumpfcoelom teilweise ausfüllenden paarigen Ovarien und der Hoden im Schwanzcoelom. Der Darm durchzieht die Leibeshöhle als gerades, abgesehen von mehreren seitlichen Blindtaschen in der Oesophagusregion wenig gegliedertes Epithelrohr und mündet unmittelbar vor dem Septum des Schwanzcoeloms ventral nach außen. Er ist von einem dünnen Muskelmantel umkleidet und durch je ein ventrales und dorsales Mesenterium an der Körperwand festgeheftet. Durch diese Mesenterien wird das Rumpfcoelom unvollständig in ein rechtes und linkes Fach geteilt. Ein Blutgefäßsystem fehlt ebenso wie anscheinend auch ein eigenes Exkretionssystem, wenngleich paarige cilienbesetzte Gruben in der Nackenregion und eine daran anschließende drüsenreiche Wimpernrinne (Corona ciliata) von manchen Autoren als Exkretionsorgan gedeutet werden. Vermutlich werden der Nähr- und Exkretstofftransport im Körper und die Umwälzung der Coelomflüssigkeit vom Cilienbesatz des Coelothels unterhalten. Das Nerven- und Sinnessystem ist entsprechend der planktonisch räuberischen Lebensweise wohlausgebildet. Es besteht aus einem großen unpaaren Gehirn (Cerebralganglion) über dem Mund, mit diesem über seitliche Kommissuren verbundenen paarigen Vestibularganglien mit dorsal diesen aufsitzenden Oesophagealganglien beidseits des Oesophagus und einem mächtigen unpaaren Ventralganglion im vorderen Drittel der Bauchwand, das durch paarige Nervenstränge mit Hirn und Vestibularganglien verbunden ist, und von dem zwei ventrale Nerven zur motorischen Innervation der Rumpfmuskulatur ausgehen. Paarige Augen auf dem Hinterkopf, jedes aus mehreren Pigmentbecherocellen zusammengesetzt, und über den ganzen Körper verstreute Gruppen von Sinneszellen mit langen Rezeptorborsten (Tastborsten?) werden unmittelbar vom Gehirn innerviert. Manche Autoren betrachten auch die zuvor erwähnte Corona ciliata aufgrund ihrer Innervation als (chemorezeptorisches) Sinnesorgan. Chaetognathen sind in der Regel proterandrische Zwitter, d. h., sie durchlaufen zuerst eine männliche Geschlechtsreifephase, ehe in den Ovarienanlagen die Eier reifen. Über die Fortpflanzung und Entwicklung gibt es nur wenige Beobachtungen, hauptsächlich an Spadella. Nach ihnen kommt Selbstbefruchtung ebenso wie wechselseitige Fremdbegattung vor. Die Eier – von pelagischen Arten am Körper getragen oder zu schwimmenden Floßen verklebt, von der benthischen Spadella an Steinen und Tangen festgeheftet – entwickeln sich über eine totale und äquale Furchung und eine Invaginationsgastrula unmittelbar, ohne eingeschaltetes Larvenstadium, zu Jungtieren von Aussehen und Lebensweise der erwachsenen Tiere. Der Urmund stellt den späteren Hinterpol dar und wird im Laufe der Entwicklung verschlossen, während Mund und After neu nach außen durchbrechen. Die Pfeilwürmer sind also Deuterostomier. Die Bildung von Kopf- und Rumpfcoelom erfolgt durch Abfaltung einer ringförmigen Tasche aus dem Vorderarm. Diese wächst in die Leibeshöhle vor, während Kopf- und Rumpfcoelom durch eine Mesodermfalte voneinander getrennt werden. Das Schwanzcoelom gliedert sich erst weit später vom Rumpfcoelom durch ein Coelothelseptum ab, das von der Umhüllung der Gonaden auswächst. Die Gattung Spadella zeigt ein erstaunliches Regenerationsvermögen (Regeneration) selbst größerer amputierter Rumpfabschnitte. – Zur Verwandtschaft der Chaetognathen: vgl. Infobox. – Chaetognathen scheinen eine erdgeschichtlich sehr alte Tiergruppe zu sein. Ein in den kambrischen Schiefern von Britisch-Kolumbien gefundener fossiler Organismus, Amiskwia sagittiformis, ähnelt in seiner Körperform und dem Besitz zweier kurzer Kopftentakel sehr der rezenten Gattung Spadella, die unter den heute lebenden Pfeilwürmern auch als urtümlichste Form gilt. Archicoelomatentheorie.
P.E.
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