Lexikon der Biologie: Cyanobakterientoxine
Cyanobakterientoxine, verschiedene für Tier und Mensch potentiell tödliche Giftstoffe (Neurotoxine und Lebertoxine) von vielen Cyanobakterien, die überall auf der Welt in Gewässern vorkommen. Die Toxine finden sich normalerweise in den Zellen und werden erst nach dem Absterben der Cyanobakterien frei. Sie sind besonders für Wild- und Nutztiere gefährlich, wenn die Tiere toxische Cyanobakterien bei einem Massenvorkommen (Wasserblüte, "grüner Schaum") beim Trinken aufnehmen. Die tödliche Dosis liegt zwischen wenigen Millilitern und einem Liter. Toxische Stämme finden sich in vielen Gattungen, z. B. bei Microcystis,Anabaena,Oscillatoria,Lyngbya, Aphanizomenon,Cylindrospermum,Nodularia. Wichtige Nervengifte (Neurotoxine), die z. B. von Anabaena flos-aquae oder Oscillatoria-Stämmen produziert werden, sind Anatoxin und Saxitoxin (Neosaxitoxin). Sie stören auf verschiedene Weise die Signalübertragung von Nervenfasern zu den Muskelzellen. Anatoxin a, ein Nicotinsäure-Antagonist, "imitiert" Acetylcholin. Seine Wirkung beruht auf einer Blockierung der postsynaptischen Depolarisierung in Muskelzellen. Anatoxin a ist strukturell ein Organophosphat, das die Cholinesterase hemmt. Lebertoxine (Hepatotoxine), die auch von vielen Stämmen gebildet werden, sind ringförmige Peptide, z. B. Microcystin (über 50 Varianten) von Microcystis und Nodularin von Nodularia. Diese Toxine sind Proteinphosphatasen und wirken auf Bestandteile des Cytoskeletts, besonders auf die Mikrofilamente der Zellen. – In verunreinigten Badegewässern können durch die Toxine beim Menschen Hautjucken und Ausschläge hervorgerufen werden; auch verursachen sie vorübergehende Funktionsstörungen und Schädigungen von Magen, Darm, Leber und Niere sowie von Mund- und Nasenschleimhäuten. Tödliche Vergiftungen sind normalerweise kaum zu erwarten, da die beim Baden und Schwimmen aufgenommenen Wassermengen zu gering sind. Möglicherweise wirken Lebertoxine, in subletalen Dosen aufgenommen (z. B. mit Trinkwasser), auch als Krebspromotoren mit bei der Entstehung von Krebs. Andererseits wird geprüft, ob diese Toxine als Medikamente eingesetzt werden können, z. B., um ein Tumorwachstum zu unterdrücken. Es wird angenommen, daß die Nerven- und Lebertoxine den Cyanobakterien als Schutz vor Freßfeinden dienen, da sie auch extrem schädlich für planktische Kleinlebewesen sind. – Cyanobakterien werden seit alters her als Nahrungsmittel verwendet, heute auch als Appetitzügler und Reformkost. Die normalerweise genutzten Spirulina-Arten (Spirulina) bilden keine Toxine. Vorsicht ist aber bei Cyanobakterien-Präparaten unbekannter Herkunft und Zusammensetzung geboten, da heute auch Produkte mit Anabaena und Aphanizomenon angeboten werden – Gattungen, in denen hochtoxische Stämme zu finden sind. – Vergiftungen treten häufig im Spätsommer und Frühherbst in eutrophierten Gewässern auf, an heißen und relativ windstillen Tagen, wenn erhöhte Temperaturen und alkalische bis neutrale pH-Werte im Wasser vorliegen. In jüngster Zeit (1998) wurden tierpathogene Cyanobakterien der Gattung Oscillatoria sogar in oligotrophen alpinen Seen der Schweiz nachgewiesen: sie waren die Ursache für eine Reihe von Vergiftungsfällen bei Almvieh. Die dortigen standörtlichen Gegebenheiten (Nährstoffknappheit, niedrige Wassertemperaturen) sind gänzlich verschieden von jenen, die bisher als förderlich für eine Massenproduktion von Algengiften angesehen wurden. – Die erste eindeutige wissenschaftliche Beschreibung einer Cyanobakterien-Vergiftung stammt aus dem Jahre 1878 (G. Francis). Im Mündungsbereich des Murray (Australien) hatten sich dicke grüne Schaumschichten (wahrscheinlich von Nodularia spumigena) ausgebreitet. Vieh und andere Tiere, die dort tranken, starben innerhalb von Stunden. Algengifte.
G.S.
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