Lexikon der Biologie: Endosymbiontenhypothese
Endosymbiontenhypothesew [von Endosymbiose], Endosymbiontentheorie, sagt aus, daß die autoreduplikativen und genetisch semiautonomen Plastiden und Mitochondrien von ehemals freilebenden Einzellern abstammen, die auf einer sehr frühen Evolutionsstufe als Endosymbionten (Cytosymbionten) in Zellen aufgenommen wurden, die noch organellenfrei waren, aber bereits eukaryotische Organisationsmerkmale besaßen. In diesen Urkaryoten hätten sich die Cytosymbionten dann im Verlauf der weiteren Evolution zu echten Organellen entwickelt. Als stammesgeschichtliche Ahnen der Mitochondrien nimmt man aerobe Bakterien an, als die der Plastiden dagegen Cyanobakterien. Aus der Fülle von Daten zugunsten der Endosymbiontenhypothese seien einige wichtige genannt: Das bereits erwähnte genetische System der Organelle hat viele prokaryotische Eigenschaften; der zirkulären DNA fehlen die typischen Histone, die Transkription wird durch Rifamycine (Rifampicin) gehemmt. Die Ribosomen gehören dem prokaryotischen 70S-Typ an, die Chloramphenicol-sensitiv (Chloramphenicol), jedoch Cycloheximid-unempfindlich (Cycloheximid) sind. Die Initiationsfaktoren bei der Translation ähneln den entsprechenden in Prokaryoten. Mitochondrien und Plastiden sind von einer Doppel-Membran umgeben, wobei der Raum zwischen diesen Membranen ein nicht-plasmatisches Kompartiment darstellt. Dies spiegelt die Situation wider, wie sie sich bei rezenten Cytosymbiosen ergibt: den Symbionten mit seiner eigenen Plasmamembran umgibt eine äußere Membran, die der Plasmamembran der Wirtszelle entstammt. Diese parasitophore oder Symbionten-Vakuole entsteht bei der endocytotischen Aufnahme (Endocytose) des Symbionten. Es ist jedoch umstritten, ob die beiden Hüllmembranen der Plastiden und Mitochondrien wirklich auf die Cytoplasmamembran und die Symbionten-Vakuole zurückgehen. Zumindest bei Plastiden gibt es Hinweise, daß die Hülle von der inneren und äußeren Membran des Cyanobakteriums abstammt. Interessanterweise haben die inneren Membranen der Mitochondrien und Plastiden eine von der typischen Eucytenmembran abweichende Zusammensetzung. Bekanntes Beispiel ist der Cardiolipin-Gehalt (Cardiolipin) der inneren Mitochondrienmembran. Weiterhin ist das Fettsäuresynthese-System (Fettsäuren) der Plastiden typisch prokaryotisch organisiert: es setzt sich aus einzeln isolierbaren Enzymen zusammen, während das eukaryotische als Multienzymkomplex vorliegt. Am überzeugendsten wird die Endosymbionten-Natur dieser Organelle mit Hilfe moderner Sequenzstammbäume belegt. So sind z.B. die ribosomalen RNAs plastidärer Ribosomen denen von Cyanobakterien am nächsten verwandt. Viele weitere Nucleinsäure- und Proteinsequenzdaten zeigen, daß diese Organelle weit außerhalb des Eukaryoten-Stammbaums stehen, während enge verwandtschaftliche Beziehungen zu bestimmten Prokaryoten-Stämmen bestehen. Wenngleich die Endosymbiontenhypothese die genannten Befunde widerspruchsfrei vereint, gibt es einige Tatsachen, die offenbar im Widerspruch zu ihr stehen. So ist der größte Teil der organellspezifischen Proteine Kern-codiert; nur einen Bruchteil ihrer Proteine können sie selbst herstellen. Dieser Einwand gegen die Endosymbiontenhypothese läßt sich jedoch durch die Annahme eines Gentransfers (Genverlagerung) zwischen Organellen und Zellkern ausräumen. Beispiele für solche Genverlagerungen zwischen verschiedenen Zellkompartimenten sind tatsächlich nachgewiesen worden. Auch die geringe Komplexität der Organellengenome (verglichen mit denen von Prokaryoten) ließe sich so erklären. – Die Endosymbiontenhypothese findet indirekt auch darin eine Bestätigung, daß bei rezenten Organismen Cytosymbiosen zu finden sind. Bekanntes Beispiel hierfür ist das Pantoffeltierchen Paramecium bursaria (Pantoffeltierchen), das mehrere 100 Zoochlorellen enthält. Beide Partner der Symbiose sind noch getrennt kultivierbar, das Zusammenleben ist also noch nicht obligatorisch. Der Wirt erhält von den Chlorella-ähnlichen Symbionten Maltose, Glucose und Sauerstoff, der Symbiont Kohlendioxid und anorganische Ionen. – Eine Alternativvorstellung zur Endosymbiontenhypothese stellt die Hypothese der endogenen Kompartimentierung dar (Plasmidhypothese), die die autonome Entstehung DNA-haltiger Kompartimente innerhalb einer Urkaryotenzelle vorschlägt. Plasmide mit geclusterten Genen wären demnach in selbständige, membranumschlossene Räume eingeschlossen worden (Kompartimentierung), die sich dann zu Plastiden und Mitochondrien entwickelt hätten. Durch die geringeren Rekombinationsmöglichkeiten der Organell-DNA wäre dann ein prokaryotenähnliches Niveau konserviert worden, während die Kern-DNA eine wesentlich schnellere Evolution durchlaufen hätte. Sequenzdaten machen diese Hypothese unwahrscheinlich: die Sequenzunterschiede zwischen Plastiden und Mitochondrien sind zu groß, als daß beide derselben Urkaryoten-Stammform entstammen könnten. – Bereits A.F.W. Schimper beschrieb 1883 für die Plastiden, daß sie nur sui generis, also durch Teilung aus ihresgleichen, hervorgehen können. Dieses Postulat wurde bald auch auf die Mitochondrien ausgedehnt. 1890 erfolgte eine allgemeine Formulierung der Endosymbiontenhypothese (R. Altmann), die bald von weiteren Wissenschaftlern verfochten wurde (C. Mereschkowsky, 1905). Durch die Entdeckung extranucleärer Erbfaktoren in den Plastiden (E. Baur, C.E. Correns, 1909) wurde die Endosymbiontenhypothese gestützt. Dieses eigenständige genetische System innerhalb der Zelle wurde später Plastom genannt. Die genetische Semiautonomie der Mitochondrien wurde dann durch Untersuchungen an atmungsdefekten Hefen erbracht (B. Ephrussi, 1949). Eine moderne Formulierung der Endosymbiontenhypothese lieferte um 1970 L. Margulis. Endosymbiose, Evolution der Eucyte, komplexe Plastiden.
B.L./U.M.
Endosymbiontenhypothese
Die Abb. zeigt die Aufnahme von aeroben, heterotrophen Protocyten (hP, Vorläufer der Mitochondrien) und photosyntheseaktiven, autotrophen Protocyten (aP, Vorläufer der Chloroplasten) in eine Urkaryotenzelle (über Phagocytose). Nach der Endosymbiontenhypothese haben sich diese einst freilebenden Protocyten zu endosymbiontischen Organellen, den Mitochondrien (Mi) und Chloroplasten (Ch), entwickelt. Zk Zellkern, ER endoplasmatisches Reticulum.
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