Lexikon der Biologie: epidermal growth factor
epidermal growth factorm [engl., = Wachstumsfaktor der Epidermis], Abk. EGF, β-Urogastron, Urogastron, in den meisten Körperflüssigkeiten und in vielen Organen nachweisbarer Polypeptid-Wachstumsfaktor. Die Wirkungen des EGF sind sehr heterogen. Während der Embryonalentwicklung ist der EGF an der Musterbildung und Organogenese beteiligt. Er steigert den Glucose- und Ionentransport in die stimulierten Zellen, verändert deren Morphologie, steigert die DNA-Synthese-Aktivität und die Expression verschiedener Gene (Genregulation). Außerdem wirkt EGF als Mitogen für Zellen ektodermalen oder mesodermalen Ursprungs, es stimuliert die Proliferation von Fibroblasten, Glia-Zellen (Glia), Schilddrüsenzellen und anderen epidermalen oder epithelialen Zellen und ist an der Angiogenese und Wundheilung beteiligt. Manche Zellen werden durch EGF in ihrem Wachstum gehemmt. EGF moduliert die Produktion und Sekretion von Hormonen und inhibiert die Säureproduktion des Magens (Magensäure). Die Produktion des EGF kann durch Testosteron stimuliert und durch Östrogen inhibiert werden. Der EGF besteht aus 53 Aminosäuren und hat eine relative Molekülmasse von 6400, besitzt drei intramolekulare Disulfidbindungen, die für die biologische Aktivität des Faktors von größter Wichtigkeit sind, und wird durch proteolytische Spaltung aus einem glykosylierten, in der Membran verankerten, 1168 Aminosäurereste umfassenden Vorläufermolekül (einem Prä-Pro-Protein) freigesetzt. Der EGF ist stark konservativ. Das für den EGF codierende Gen ist 110 kb lang, enthält 24 Exonen und ist beim Menschen auf Chromosom 4 lokalisiert. Aufgrund großer Sequenzhomologien (vor allem in den extrazellulär gelegenen, repetitiven Sequenzmotiven) wird EGF gemeinsam mit so unterschiedlichen Proteinen wie TGFα (TGF), dem 19 kDa-Protein (Vaccinia-Virus-Wachstumsfaktor, vaccinia virus growth factor, VVGF), Delta und Notch (Faktoren der Organentwicklung bei Drosophila; delta), Lin-12 (Faktor der Organentwicklung bei Caenorhabditis elegans), Amphiregulin (AR) und anderen Faktoren in der Familie der EGF-ähnlichen Faktoren zusammengefaßt.
Der EGF-Rezeptor ist eine glykosylierte Polypeptidkette aus 1186 Aminosäureresten, die eine relative Molekülmasse von 170000 besitzt und die Membran einmal durchquert. Pro Zelle kommen ca. 20000–50000 dieser Rezeptoren vor. Bisher sind eine high- und eine low-affinity-Form des EGF-Rezeptors nachgewiesen worden. Die extrazelluläre, reich glykosylierte Domäne, an die der Ligand (EGF oder TGFα) bindet, besteht aus 621 Aminosäuren, darunter 51 Cysteinreste (Cystein). Durch die Ligand-Bindung wird der EGF-Rezeptor dimerisiert und damit die Autophosphorylierung des Rezeptors durch die auf der cytoplasmatischen Seite gelegene Tyrosin-Kinase-Aktivität (Tyrosin-Kinase) ausgelöst. Phosphorylierte Tyrosinreste bilden mit Aminosäuren benachbarter Bereiche Motive aus, die Substratproteine mit SH2-Domäne (von src homoloy 2; SH-Domäne) binden, wodurch deren Phosphorylierung eingeleitet wird. Phosphotyrosyl-Proteinphosphatasen katalysieren die Rückreaktion, die Phosphotyrosin-spezifische Dephosphorylierung des Rezeptors und anderer Substratproteine, was einen wichtigen Regelmechanismus des Systems darstellt. Ein weiterer Regelmechanismus ist die Aufnahme von EGF und Rezeptor in die Zelle über rezeptorvermittelte Endocytose und deren Abbau in den Lysosomen. Damit wird EGF aus dem Organismus entfernt und mit der reduzierten Anzahl an Rezeptoren die Empfänglichkeit der Zelle für EGF-Signale vermindert. Der Signaltransduktionsmechanismus ist vielschichtig, zell- und gewebeabhängig. Er verläuft entweder über eine Kaskade unter Bildung von second messengern des Phosphatidylinositol-Metabolismus oder unter Einbeziehung von Phosphorylierungskaskaden des Ras/Raf-Systems.
Das für den EGF-Rezeptor codierende Gen ist ca. 50 kb lang und beim Menschen auf Chromosom 7 lokalisiert. Der für die intrazelluläre Domäne codierende Genbereich zeigt große Ähnlichkeit mit dem v-erbB-Onkogen, dem transformierenden Gen des avian erythroblastosis virus (AEV) und dem neu-Gen (Onkogene [Tab.]). – In Tumorzellen konnten eine Amplifikation des Rezeptorgens und eine verstärkte Expression des Rezeptors beobachtet werden. Dabei wurde festgestellt, daß maligne Tumoren um so aggressiver sind, je mehr EGF-Rezeptoren von den Tumorzellen exprimiert werden. Das Wachstum der Tumoren konnte in Gewebekulturen und im Tierexperiment durch Zugabe von spezifischen, gegen EGF gerichteten Antikörpern gehemmt werden. Klinisch wird EGF zur Wundheilung nach schweren Verbrennungen und zur Ulkustherapie verwendet. Chromosomenkarte ( Chromosomenkarte I
Chromosomenkarte II
Chromosomenkarte III
Chromosomenkarte IV
), Cohen (S.), Cytokine, Levi-Montalcini (R.), Signaltransduktion.
S.G./M.B.
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