Lexikon der Biologie: Farbenfehlsichtigkeit
Farbenfehlsichtigkeit, veraltete Bezeichnung Daltonismus (nach J. Dalton), umgangssprachlich (fälschlich) auch als „Farbenblindheit“ bezeichnet, Störungen des Farbensehens beim Menschen, die genetisch determiniert oder erworben sein können (z.B. durch Schädigungen der Netzhaut, der Verbindungen zwischen Netzhaut und Sehrinde oder durch deren pathologische Veränderungen im Alter, Nebenwirkung von Medikamenten). Lediglich ein Bruchteil der Betroffenen ist wirklich farbenblind, die meisten erkennen durchaus Farben (Farbe), verwechseln je nach Ausprägung jedoch bestimmte Farben. Farbenfehlsichtigkeit tritt in verschiedenen Formen auf: Man unterscheidet Dichromasien (Anopien), bei denen nur noch 2 Zapfentypen (Zapfen) funktionstüchtig sind, Trichromasien (Anomalien), bei denen zwar alle 3 Zapfentypen in Funktion sind, die Betroffenen sich in ihrem Farbunterscheidungsvermögen aber vom farbtüchtigen Trichromaten unterscheiden, und Achromatopsien, bei der keine Farbwahrnehmung mehr möglich ist ( vgl. Abb. ). – Bei Dichromasien weisen die Betroffenen nur 2 funktionierende Zapfentypen auf. Neben dem eingeschränkten Empfindlichkeitsbereich besitzen alle Dichromaten einen neutralen Punkt λn (Schnittpunkt der beiden Absorptionskurven; Farbensehen), in dessen Wellenlängenbereich achromatisches Grau gesehen wird. Bei der Protanopie fehlt das für langwelliges (rotes) Licht empfindliche L-(long-)Zapfenpigment (Photorezeptoren, Sehfarbstoffe). Protanope (ca. 1% der männlichen Bevölkerung in Europa) haben daher ein reduziertes Farbunterscheidungsvermögen in diesem Spektralbereich. Bei der Deuteranopie fällt dagegen der M-(middle-)Zapfentyp mit maximaler Empfindlichkeit im Grünbereich aus (ca. 2% der männlichen Bevölkerung). Deuteranope haben Schwierigkeiten, Rot und Grün voneinander zu unterscheiden. Protanopie und Deuteranopie werden im Sprachgebrauch oftmals als Rot-Grün-Blindheit zusammengefaßt; sie besitzen neutrale Punkte bei 492 nm bzw. 498 nm Wellenlänge. Bei Wellenlängen darunter nehmen beide ein Blau, darüber ein Gelb wahr. Die äußerst seltene Tritanopie (Ausfall des kurzwelligen S-(short-)Zapfentyps; λn = 570 nm) wird dominant vererbt und kann durch Mutationen an einer von 2 Stellen im Blauzapfen-Gen auf Chromosom 7 entstehen. Unterhalb des Neutralpunkts wird ein grünliches Blau, darüber ein Rot wahrgenommen. Bei den weitaus milderen Trichromasien oder Farbanomalien sind die Betroffenen zwar trichromatisch, ihr Farbunterscheidungsvermögen ist aber mehr oder weniger stark beeinträchtigt. Selbst was gemeinhin als normales Farbensehen definiert wird, ist lediglich die am häufigsten vorkommende Form der verschiedenen trichromatischen Varianten, die beim Menschen auftreten können. Man unterscheidet je nach verändertem Zapfentyp Protanomalie, Deuteranomalie und Tritanomalie. Bei der Protanomalie (ca. 1% der männlichen Bevölkerung) ist die Sensitivität der L-Zapfen verändert, so daß sie bei einer Farbmischung meistens mehr Rot als normal benötigen. Die am häufigsten auftretende Form der Farbenfehlsichtigkeit ist die Deuteranomalie, bei der die M-Zapfen eine veränderte Empfindlichkeit besitzen (ca. 4% der männlichen Bevölkerung). Die Ausprägung der Anomalie kann, je nach Grad der Rekombination der beiden direkt benachbarten Gene für das Rot- und das Grünpigment, unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Das Rotpigment-Gen liegt direkt vor dem Grünpigment-Gen, so daß es durch Crossing over bei der Meiose zu unterschiedlich starken „Mischgenen“ kommen kann. Als Ergebnis rückt oftmals das Spektrum für den L- Rezeptor weiter an den M-Rezeptor heran und erschwert dadurch eine Farbdiskriminierung. – Sowohl die Proto- als auch die Deutero-Farbenfehlsichtigkeiten werden X-chromosomal rezessiv vererbt (Geschlechtschromosomen-gebundene Vererbung). Aufgrund der Möglichkeit der Kompensation durch das zweite X-Chromosom tritt eine erbliche Farbenfehlsichtigkeit bei Frauen nur im homozygoten Fall auf (Homozygotie). Daher leiden wesentlich mehr Männer unter diesem Defekt als Frauen (ca. 8% Männer gegenüber 0,4% der Frauen). Die Farbenfehlsichtigkeit kann z.B. von Müttern, die selbst zwar keine Störung zeigen, aber heterozygote Übeträgerinnen sind, in 50% aller Fälle auf ihre Söhne übertragen werden (Heterozygotie). Allerdings haben genaue Untersuchungen ergeben, daß auch in der Retina heterozygoter weiblicher Überträgerinnen mosaikartig Flecken anoper bzw. anomaler Farbenfehlsichtigkeit auftreten, die das Farbensehen geringfügig beeinträchtigen, im Alltag aber keine Auswirkungen haben (Lyon-Hypothese). – Die äußerst selten vorkommende genetisch determinierte totale Farbenblindheit (Achromasie, Achromatopsie, Monochromasie) tritt in 2 Formen auf: Beim sog. Zapfen-Monochromaten findet man nur 1 funktionierenden Zapfentyp. Bis auf das Fehlen des Farbensinns sind hier die Sehleistungen normal. Jedes Signal, das Licht einer Wellenlänge auslöst, kann durch Intensitätsanpassung einer beliebigen anderen Wellenlänge erreicht werden (Univarianzprinzip). Die sog. Stäbchen-Monochromaten (Häufigkeit ca. 1 von 300000) besitzen überhaupt keine funktionstüchtigen Zapfen mehr. Sie sehen nur mit den Stäbchen (Dämmerungssehen), besitzen daher ein zentrales Skotom (keine Lichtempfindung in der Fovea) und werden vom Tageslicht geblendet. Diese Störung ist zusätzlich mit geringer Sehschärfe (nur 10% eines Normalsichtigen) und einem Pendel-Nystagmus verbunden. – Es gibt zahlreiche Tests auf Defizite des Farbensehens. Sogenannte pseudoisochromatische Tafeln, z.B. Ishihara-Tafeln, bestehen aus isoluminanten Farbpunkten, die für den Normalfarbsichtigen leicht erkennbare Muster (z.B. Zahlen) bilden, jedoch für Dichromaten nicht erkennbar sind. Mit Hilfe eines Anomaloskops (z.B. Nagel-Anomaloskop) kann man zudem zwischen Dichromaten und Farbanomalen unterscheiden. Erbkrankheiten, Horner (J.F.); Farbensehen IFarbensehen II .
F.St./H.H.
Farbenfehlsichtigkeit
Spektrale Empfindlichkeiten der 3 menschlichen Zapfentypen (oberste Abb.) der Netzhaut und darunter die 4 häufigsten erblichen Störungen des Farbensehens. Die Absorptionsspektren der Zapfen (Wellenlänge λ in nm) sind mit S, M und L bezeichnet, die anomalen entsprechend mit M' und L'. Bei der Protanopie ist das L-Pigment funktionsuntüchtig, bei der Deuteranopie das M-Pigment; die Betroffenen sind dichromatisch. Die Anomalien können unterschiedlich ausgeprägt sein, jedoch ist immer das Empfindlichkeitsspektrum eines Zapfentyps verändert. Oftmals hat dies zur Ursache, daß die Spektren für das M- und L-Pigment sowohl bei der Protanomalie als auch der Deuteranomalie, wie oben gezeigt, näher zusammenrücken.
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