Lexikon der Biologie: Flugmuskeln
Flugmuskeln, 1) Flugmuskeln bei Vögeln: die als Heber und Senker des Vogelflügels wirkenden Muskeln. Der kräftigste Flugmuskel ist der Musculus pectoralis major (großer Brustmuskel). Er setzt einerseits am Brustbein und dem stark entwickelten Brustbeinkamm an, andererseits an der Unterseite des Oberarms (Extremitäten). Seine Kontraktion bewirkt ein rasches, kräftiges Absenken des Flügels. Sein Antagonist ist der Musculus supracoracoideus (kleiner Brustmuskel). Da er unterhalb des Musculus pectoralis major am Brustbein liegt, kann er den Flügel nur heben, indem seine Sehne durch das Schultergelenk zur Oberseite des Oberarms zieht. Die Sehne verläuft dabei durch das Foramen triosseum, eine Lücke zwischen den 3 Schultergürtelknochen (Schultergürtel) Scapula, Pro-Coracoid und Clavicula. Bei (sekundär?) flugunfähigen Vögeln (z.B. Straußen, Kiwivögeln und anderen) ist die Flugmuskulatur (und entsprechend der Brustbeinkamm) reduziert. 2) Flugmuskeln bei Insekten: diejenigen Muskeln des Mesothorax und Metathorax (Hinterbrust, Pterothorax), die an der Bewegung der Flügel der Insekten (Insektenflügel) beteiligt sind. Es handelt sich um die in spezielle Stränge aufgelöste Muskulatur des ursprünglichen Hautmuskelschlauches (Gliederfüßer). Neben den Extremitätenmuskeln müssen die Pterothoraxmuskeln funktionell in solche getrennt werden, die zur Faltung des Flügels führen (Neoptera), und solche, die den Flügelschlag bewirken. Der Flügelfaltmuskel erstreckt sich zwischen Pterale 3 und der Pleuralleiste. Als Antagonisten dienen Epipleuralmuskeln. Kontrahieren sich diejenigen, welche am Basalare inserieren, so ziehen sie den frontalen Winkel des Flügels mit dem Humeralsklerit nach vorn: der Flügel wird ausgebreitet. Die Bewegungen, die dann den Flug ermöglichen, sind sehr vielfältig (Flugmechanik, Abb.). Für die verschiedenen Bewegungen (Schlag-, Rotations-, Translations-, Verwindungs- und Faltungsbewegungen) sind einerseits die Pterothoraxsegmente besonders gestaltet, andererseits sind sehr verschiedene Muskeln beteiligt. Die außerordentlich komplexen Bewegungsweisen und die beteiligten Muskeln sind erst bei wenigen Insekten genauer analysiert. Die wichtigsten Muskeln für Auf- und Abwärtsschlag der Flügel sind bei den meisten Pterygoten die indirekten Flugmuskeln ( vgl. Abb. ). Zu ihnen gehören die dorsalen Längsmuskeln und die Tergo-Sternalmuskeln. Kontrahieren sich letztere, dann flachen sie das Tergit (Scutum) ab. Dies ist möglich, weil die steif sklerotisierten Pleuren und ihre inneren Verstrebungen über die Pleuralarme mit den Furcaästen eine Abflachung des gesamten Segments oder das Einbeulen des Sternums verhindern. Der Flügel wird daher über dem pleuralen Gelenkkopf (Fulcrum) nach oben geschlagen. Daran beteiligt sind oft auch laterale dorsale Längsmuskeln im hinteren Bereich des Scutums. Erschlaffen diese Flügelheber und kontrahiert der zwischen zwei Phragmata ausgespannte mediane dorsale Längsmuskel, so wird das gesamte Notum wieder ausgebeult. Der Flügel wird nach unten geschlagen. Durch alternierende Kontraktionen dieser beiden Haupttypen der indirekten Flugmuskeln gerät der größte Teil des Tergits (Alinotum) in Vibrationen, die über bestimmte Leisten auf die Flügel übertragen werden. Die Vibrationen können bei langsamer fliegenden Formen synchron mit den die Muskeln bewegenden motorischen Nervenimpulsen (neurogen) sein. Sie können aber bei höheren Frequenzen (z.B. 200 Hz bei cyclorrhaphen Dipteren [Deckelschlüpfer, Fliegen] bzw. 1500 Hz bei sehr kleinen Mücken) auch asynchron (myogen) sein. Die Nervenimpulse versetzen diese Muskeln nur in einen aktiven Zustand; das Signal für die Kontraktion ist jedoch ein plötzlicher mechanischer Zug, der von dem vibrierenden Alinotum ausgeht. Dieses automatisch arbeitende System muß bei Flugbeginn durch einen Startermuskel (Furco-Pleuralmuskel) in Betrieb gesetzt werden, der einen der asynchronen indirekten Flugmuskeln vorspannt. Die Nervenimpulse brauchen dann nur noch das oszillierende System durch „gelegentliche“ Anregung im Schwingen zu halten. Diese enorme mechanische Leistung wird durch die Einlagerung von Resilin in den Flügelgelenken unterstützt. Myogene (asynchrone) und neurogene (synchrone) Flugmuskeln unterscheiden sich auffällig in ihrer Feinstruktur. Da bei den neurogenen Flugmuskeln auf jeden Nervenimpuls eine Kontraktion erfolgt und die elektromechanische Koppelung durch das aus dem sarkoplasmatischen Reticulum austretende Ca2+ (Calcium) bewirkt wird, ist diese Struktur im Gegensatz zum myogenen Flugmuskel stark ausgeprägt. Ferner liegen beim neurogenen Flugmuskel die sehr großen Mitochondrien präzise gegenüber den Sarkomeren, beim myogenen Flugmuskel sind sie irregulär verstreut. Gemeinsam dagegen ist beiden Flugmuskeltypen ein Mitochondrien-Fibrillen-Verhältnis von etwa 1:1 und eine reiche Versorgung mit Tracheolen (im Gegensatz etwa zu einem Sprungmuskel, der wegen seiner anaeroben Kapazität mit wesentlich weniger Mitochondrien und Tracheolen auskommt). Beides sind histologische Belege für die hohen (aeroben) stoffwechselphysiologischen Leistungen, die diesem Organ abverlangt werden. Neben den indirekten Flugmuskeln besitzen die Insekten auch direkte Flugmuskeln (Epipleuralmuskeln). Am Basalare inserierende Muskeln ziehen den Flügel nach unten, die am Subalare fungieren als direkter Flügelheber. Sie sind wohl vor allem dazu da, den Neigungswinkel des Flügels zu verstellen, und bewirken die Rotations- und die Verwindungsbewegungen. Bei Libellen und Heuschrecken erfolgt der Flügelschlag durch die kombinierte Wirkung direkter und indirekter Muskeln. (Hierbei haben Libellen ausschließlich, Heuschrecken einen hohen Anteil direkt an den Flügeln angreifende Flugmuskeln.) Ihnen fehlen die dorsalen Längsmuskeln. Als Flügelsenker dienen Pleuro-Sternalmuskeln. Flügelheber sind dagegen die mediad aneinander gerückten Tergo-Sternalmuskeln. Atmungsorgane, Muskulatur, Myoglobin, Temperaturregulation, Thorax.
A.K./K.-G.C./H.P.
Flugmuskeln
Flugmuskeln der Insekten
1 indirekte Flugmuskeln (schematisch); 2 indirekte Flugmuskeln der Hornisse, Thorax median-sagittal halbiert; 3 Mesothorax der Hornisse, dorsal horizontal angeschnitten (schematisch); 4 direkte Flugmuskeln und ihre Anheftungsstellen, Frontansicht (schematisch); 5 Thoraxmuskulatur in Seitenansicht (schematisch), dorsale, ventrale, tergosternale und schräge Muskeln der rechten Seite; 6 Thoraxmuskulatur (schematisch), laterale und Beinmuskulatur der rechten Seite.
AP Axillario-Pleuralmuskel, Ba Basalare, Co Coxa, dL dorsaler Längsmuskel, Em Epipleuralmuskel, Fa Furcaast, Fl Flügel, Fp Furco-Pleuralmuskel (Pleuro-Sternalmuskel), Fu Fulcrum, mdL medianer dorsaler Längsmuskel, Pa Pleuralarm, Ph Phragma, pL pleuraler Längsmuskel, Pt2 Pterale 2, Sa Subalare, Sc Scutum, Scl Scutellum, St Sternum, Stg Sternalgrat des Mesothorax, T1, 2, 3 Pronotum, Mesonotum und Metanotum, IT, IIT Tergum vom 1. und 2. Abdominalsegment, TP Tergo-Pleuralmuskel, TS Tergo-Sternalmuskel, VL V-Leiste
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