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Lexikon der Biologie: Geschlechtsorgane

Geschlechtsorgane, 1) Botanik: bei Pflanzen die geschlechtszellbildenden Organe. Bei Algen und vielen Pilzen sind es einzellige Gametangien (Gametangium, Gametangiogamie), in denen die Geschlechtszellen (Gameten) in Ein- oder Mehrzahl ausgebildet werden. Das weibliche Geschlechtsorgan wird als Gynogametangium bezeichnet, als Oogonium, wenn es nur eine unbewegliche Geschlechtszelle enthält (= Eizelle); das männliche Geschlechtsorgan wird Androgametangium oder Andrangium genannt; das vielkernige Gynogametangium vieler Ascomyceten (Echte Schlauchpilze) heißt Ascogon. Bei Höheren Pflanzen sind die Geschlechtsorgane mehrzellig; das weibliche Geschlechtsorgan der Moose und Farne ist das Archegonium, das männliche Geschlechtsorgan das Antheridium. Die Geschlechtsorgane der Samenpflanzen (Bedecktsamer, Nacktsamer) sind morphologisch stark rückgebildet, lassen sich aber von denen der Moose und Farne ableiten. Blüte (Farbtafel); Bedecktsamer I
Bedecktsamer II
, Nacktsamer. 2) Zoologie: Genitalorgane, Genitalien, Generationsorgane, Geschlechtsteile, Sexualorgane, Reproduktionsorgane, umgangssprachlich auch Fortpflanzungsorgane. Die Geschlechtsorgane der Metazoa (bei Protozoen [Einzeller] kann es keine Geschlechtsorgane geben, weil ein Organ als abgegrenzte funktionelle Einheit aus verschiedenen Geweben definiert ist) haben folgende Aufgaben: Bildung und Ausleitung der Geschlechtszellen (Gameten), Begattung (nur bei Tiergruppen mit innerer Besamung), Schutz und gegebenenfalls Ernährung des sich entwickelnden Embryos (nur bei Ovoviviparie bzw. Viviparie; Embryonalentwicklung); gegebenenfalls Bildung von Geschlechtshormonen (Sexualhormone). Dementsprechend zeigen sie bei vielen Tiergruppen eine Gliederung in 3 Abschnitte, sind dann streng genommen sogar ein Organsystem: 1) Keim„drüsen“ (Gonaden) als Bildungsstätte der Gameten, und zwar mit Stadien der Spermatogenese und Oogenese und mit Somazellen (zum Teil Hormonproduktion) im Hoden (Testis) bzw. Eierstock (Ovar), selten in der Zwittergonade (Ovotestis). 2) Geschlechtsausführgänge (Gonodukte, „Geschlechtsleiter“), gegebenenfalls mit akzessorischen Drüsen (Geschlechtsdrüsen) und mit Organen zur Spermienspeicherung (Männchen: Samenblase, Weibchen: Receptaculum) und zur Bildung der Eischalen bzw. zur Aufnahme des Embryos. 3) Begattungsorgane (vor allem bei Männchen), die vom Endabschnitt der Ausführgänge gebildet werden (= primäre Kopulationsorgane); auch Strukturen, die nicht direkt an der Geschlechtsöffnung liegen, können der Begattung dienen (sekundäre Kopulationsorgane); sie werden aber im allgemeinen nicht zu den Geschlechtsorganen gerechnet.
Gonaden-Struktur: Bei den niedersten Metazoen, den Schwämmen, entwickeln sich die Gameten im „Parenchym“ zwischen Archaeocyten, aus denen sie auch hervorgegangen sind; es gibt keine eigentlichen, sondern nur sog. „diffuse Gonaden“. Bei den Hohltieren sind die Bildungsstätten der Gameten zwar lokalisiert, aber kaum abgegrenzt gegen ihr Herkunftsgewebe, das Ektoderm (bei Hydrozoa) bzw. das Entoderm (bei Scyphozoa, Anthozoa und Rippenquallen); die Schlußphase der Gametogenese läuft bisweilen erst im Gastralraum ab (Enterocoeltheorie). Bei den übrigen Metazoen, also bei den Bilateria, sind die Gonaden im allgemeinen durch vom Mesoderm abstammendes Gewebe vom übrigen Körper getrennt; bei Wirbeltieren können es sogar feste Bindegewebskapseln sein. Bei vielen Tiergruppen stehen sie zumindest zeitweilig mit dem Coelom bzw. Coelomresten in Beziehung (Gonocoeltheorie). Die Gonaden sind, wie auch die meisten anderen Organe der Bilateria, im allgemeinen paarig (Ausnahme z.B. Vögel: meist nur linkes Ovar voll ausgebildet). In der Evolution hat mehrmals konvergent eine Reduktion der Zahl (viele Paare → nur ein Paar) stattgefunden (Beispiel für Konzentration). – Die Hoden sind oft in Tausende von Untereinheiten („Follikel“) geteilt (im geringeren Ausmaß auch die Ovarien); durch Cystenzellen (z.B. bei vielen Gliederfüßern) bzw. durch somatische Zellen wird eine weitere Untergliederung erreicht. Die Cystenzellen und im Ovar die Nährzellen stammen im allgemeinen aus der Keimbahn; sie sind also Geschwisterzellen von Spermatogonien bzw. Oogonien, was man auch daran erkennt, daß zwischen ihnen echte Zellbrücken bestehen. Die Follikelzellen, Sertoli-Zellen und andere „Hilfs“-Zellen sind dagegen ebenso wie die hormonproduzierenden interstitiellen Zellen (z.B. Leydig-Zellen) somatisch. Die Eientwicklung findet selten ohne Hilfszellen statt (solitäre Oogenese), meist ist sie alimentär mit Nährzellen (nutritiv; nutrimentäre Eibildung) oder Follikelzellen (follikulär) (beides kombiniert bei vielen Insekten). Bei vielen Ringelwürmern lösen sich die Spermatogonien bzw. Oogonien vom Coelomepithel und machen die weitere Gametogenese frei in der Coelomflüssigkeit schwebend durch. – Bei wenigen Tiergruppen ist die Gametogenese synchron, d.h., in den Gonaden findet sich jeweils nur ein und dasselbe Stadium; meist jedoch läuft die Gametogenese kontinuierlich, bei langlebigen Arten mehr oder weniger zyklisch. Die Spermatogonien bzw. Oogonien liegen peripher („basal“) nahe den keimbereitenden Epithelien; diese Region wird als Germarium bezeichnet, falls die Gonade bipolar gebaut ist (z.B. Ovarien der Insekten). – Gonaden-Ontogenese: das prospektive Material der Keimbahn (Urkeimzellen) wird im allgemeinen schon früh in der Furchung abgesondert; die entsprechenden Cytoplasmabereiche sind bisweilen schon in der Eizelle erkennbar. Bei Chromosomendiminution (manche Fadenwürmer) sind die Urkeimzellen auch genetisch von den Somazellen abgehoben. Die Urkeimzellen bleiben in der Regel im Bereich des Entoderms liegen und nehmen erst sekundär Kontakt auf mit dem oft vom Coelomepithel gebildeten Mesoderm, aus dem sich der somatische Anteil der Gonade (sog. Gonadenstroma, d.h. Hilfszellen usw.) einschließlich der Gonadenhüllen bildet. Die Wanderung der Urkeimzellen ist besonders auffällig und daher gut untersucht bei Amnioten (Amniota; bei Vögeln und Reptilien sogar im Blutstrom).
Die Gonodukte werden im Männchen ganz allgemein Samenleiter (Ductus deferens, Vas deferens, Mehrzahl Vasa deferentia) genannt. Gibt es direkt am Hoden eine Vielzahl kleinerer ableitender Kanälchen, z.B. bei Wirbeltieren, spricht man von Vasa efferentia (Ductuli efferentes) (Hoden). Ein Ductus ejaculatorius („Ejakulationskanal“; Ejakulation) ist der muskulöse Endabschnitt eines Samenleiters ( vgl. Abb. 1/1a ). Die weiblichen Gonodukte sind die Eileiter (Ovidukte), oft unterteilt in Ovidukt i.e.S., Uterus und Scheide (Vagina). Im Uterus werden die Eier (Ei) gespeichert und machen bei gewissen Tiergruppen die ersten Furchungsteilungen durch (Prädisposition zur Ovoviviparie); ein Uterus im wörtlichen Sinne (Gebärmutter) ist der entsprechende Abschnitt bei viviparen Tieren, z.B. bei allen Säugetieren (außer Kloakentieren), Haien, einigen Stummelfüßern (Onychophoren) und auch bei der Tsetsefliege. – Die Gonodukte entstehen relativ spät, oft erst im Zusammenhang mit der Metamorphose bzw. letzten Häutung. Da die Gonaden im allgemeinen paarig sind, sind es die Gonodukte zwangsläufig auch. Auch die Geschlechtsöffnung (falls eng = Gonoporus, beim Weibchen oft Vulva genannt) ist primär paarig, und zwar bei segmentierten Tieren bei den relativ ursprünglichen Vertretern für jedes Genitalsegment einzeln, bei den höherentwickelten jedoch nur ein Paar (Konzentration). Im Zusammenhang mit der über 20fach konvergent evolvierten inneren Besamung mit Begattung hat es einen Selektionsdruck auf nur eine einzige Geschlechtsöffnung gegeben; dies mußte selbstverständlich in beiden Geschlechtern geschehen, ein Grenzfall von Synorganisation. Die männliche Geschlechtsöffnung dient nur der Ausleitung der Spermien („Einbahnstraße“). Die weibliche Geschlechtsöffnung bei Tieren mit innerer Besamung hat im allgemeinen jedoch 2 Aufgaben: 1) Aufnahme der Spermien in Form von Samenflüssigkeit (Sperma) bzw. Spermatophoren; 2) Eiablage bzw. Geburt. Mehrmals konvergent sind dafür getrennte Öffnungen evolviert, z.B. bei den meisten Schmetterlingen (Untergruppe Ditrysia: Begattungsöffnung im 8., Eiablageöffnung im 9. Abdominalsegment), aber auch bei vielen Spinnen und Plattwürmern und gewissen Schnecken. Ebenfalls ohne Benutzung der Eiablageöffnung erreichen die Spermien das Ovar im Falle der dermalen Kopulation. – Der Spermienspeicherung im Männchen dienen manche Abschnitte des Samenleiters, z.B. der Nebenhoden (Epididymis) bei Wirbeltieren (mäanderartig gewundener Abschnitt, Hoden) oder die Samenblasen ( vgl. Abb. 1 ) vieler Wirbelloser. Im Weibchen können Spermien bei einigen Tiergruppen im Uterus gespeichert werden (mehrere Monate bei Fledermäusen); meist ist dafür jedoch ein besonderes Receptaculum ausgebildet: entweder als Erweiterung zwischen Ovidukt und Uterus ( vgl. Abb. 1/1b : dort werden also Oocyten durch das Receptaculum gepreßt) oder als seitliche Blindsäcke oder Bläschen ( vgl. Abb. 1/2–4 ). Königinnen von Bienen und Ameisen können darin nach einmaligem Hochzeitsflug lebenslang, also viele Jahre, Spermien speichern! Die Bursa copulatrix („Samentasche“, Begattungstasche) ist ein meist näher an der weiblichen Geschlechtsöffnung liegender Blindsack, der in der Regel nur der zwischenzeitlichen Spermienspeicherung dient. – Akzessorische Drüsen (Geschlechtsdrüsen i.e.S.) sind bei den meisten Tiergruppen mit innerer Besamung in beiden Geschlechtern vorhanden. Sie produzieren die Samenflüssigkeit (Sperma), gegebenenfalls das Hüllmaterial für Spermatophoren; oder es sind Eiweißdrüsen, die z.B. bei Vögeln das Eiweiß um die eigentliche Eizelle herum abscheiden, und Schalendrüsen. Bei der viviparen Tsetsefliege münden sog. Nährdrüsen in den Uterus. Gerade bei männlichen Insekten sind die Gonodukte und akzessorischen Drüsen um ein Vielfaches größer als die Gonaden selbst ( vgl. Abb. 1/3a ). Manche akzessorischen Drüsen sondern Flüssigkeiten ab, die den Kopulationsorganen eine größere Geschmeidigkeit verleihen.
Kopulationsorgane (Begattungsorgane) sind vor allem im Männchen ausgebildet. Als männliches Kopulationsglied („Rute“, Penis i.w.S.) gelten alle rohr- oder rinnenförmigen Strukturen, die eine direkte Fortsetzung der Samenleiter sind (primäre Kopulationsorgane). Dieser Penis ist meist unpaar, sehr selten paarig (z.B. Eintagsfliegen). Ragt der Penis nur während der Begattung über die Körperperipherie, wird er bisweilen als Cirrus (Cirren) bezeichnet (insbesondere Plattwürmer). Die Vagina (Scheide) ist der den Penis aufnehmende Abschnitt der weiblichen Genitalwege. Penis und gegebenenfalls benachbarte Hilfsstrukturen (Aedeagus, Genitalfüße) und die äußerlich sichtbaren Abschnitte von Vagina und gegebenenfalls Clitoris gelten als Genitalien i.e.S.
Vergleichende Betrachtung:
Die Geschlechtsorgane stehen oft im engen räumlichen und funktionellen Zusammenhang mit den Exkretionsorganen. Oft dienen Metanephridien (Nachniere), bisweilen stark abgewandelt, der Ausleitung der Geschlechtsprodukte; besonders ausgeprägt ist dies bei den Wirbeltieren (Urogenitalsystem). Bei fast allen Wirbeltieren (zumindest embryonal) mündet das Urogenitalsystem in den Enddarm und bildet somit eine Kloake. Ebenfalls als Kloake wird der Enddarm der männlichen Fadenwürmer bezeichnet ( vgl. Abb. 1/1a ). Es gibt aber auch wenige Tiere, bei denen Gonodukte völlig fehlen, so bei Branchiostoma (Lanzettfischchen, also bei der vermutlichen Schwestergruppe der Wirbeltiere): dort gelangen die Geschlechtsprodukte durch Platzen der Gonadenwände in den Peribranchialraum und von dort ins freie Meerwasser. – Mit der Verwendung gleicher Termini bei verschiedenen Tiergruppen (z.B. Prostata bei Säugetieren, Mollusken [Weichtiere] und anderen) wird keine Homologisierung gemacht (Homologie); dies ist auch bei über 20fach konvergenter Entstehung der inneren Besamung nicht gerechtfertigt.
Die Geschlechtsorgane des Menschen entsprechen im Prinzip denen der Primaten ( vgl. Abb. 2 ). Komplizierter ist die Situation im männlichen Geschlecht durch die auch bei vielen anderen Säugetieren eingetretene Verlagerung der beiden Hoden aus der Bauchhöhle heraus (Descensus testiculorum). Die Besamung findet gewöhnlich im Ovidukt statt, also jenseits des Uterus ( vgl. Abb. 2 ; zur Umgestaltung der weiblichen Geschlechtsorgane im Zusammenhang mit der Schwangerschaft: Embryonalentwicklung III ). – Die äußeren Geschlechtsorgane beim Mann und bei der Frau lassen sich aufgrund der Lagebeziehungen homologisieren, vor allem aber aufgrund der Entstehung aus gleichen Vorstufen in der Embryonalentwicklung ( vgl. Abb. 1/6 ). Die Homologisierung berechtigt aber nicht zur Annahme, die Ur-Säugetiere seien zwittrig gewesen. Androgene, Embryonalentwicklung, Genitalpräsentation; Nervensystem II, Wirbeltiere I.

R.B./U.W.

Geschlechtsorgane

Die Größe der Gonaden ist, ganz stark vereinfacht, umgekehrt proportional zur Körpergröße: während z.B. beim Menschen das Hodengewicht weniger als 1 Promille des Körpergewichts beträgt, füllen bei vielen kleinen Wirbellosen die Gonaden einen beträchtlichen Teil der Körperhöhle aus; der Extremfall ist das Hummelälchen (Tylenchida), bei dem das Weibchen am Ende der Entwicklung nur noch ein winziger Anhang am ausgestülpten Uterus ist.
Hinsichtlich der Komplexität ist zu betonen, daß gerade manche umgangssprachlich als „niedrig“ geltende Wirbellose (z.B. Plattwürmer) besonders komplizierte Geschlechtsorgane haben. Bei ihnen werden Nähreier in besonderen, abgesetzten Dotterstöcken (Vitellarien) produziert (morphologisch einem Ovar, funktionell einer Eiweißdrüse entsprechend).



Geschlechtsorgane

Abb. 1: Geschlechtsorgane einiger Tiergruppen mit innerer Besamung (stark vereinfacht) und Geschlechtsorgane des Menschen
1 Fadenwürmer, 2 Plattwürmer, 3 Insekten, 4 Lungenschnecken, 5 Höhere Säugetiere (♂: Harnblase weggelassen, ♀: gilt für Primaten), 6 Entwicklung der äußeren Geschlechtsorgane beim Menschen
Af After, Ba Bauchhöhle, Bl Bläschendrüse („Samenblase“), Ci Cirrus, Cl Clitoris, Da Darm, Dm Damm, Do Dotterstock, Ei Eiweißdrüse, Ej Ejakulationskanal, Ge Germarium, Gf Geschlechtsfalte, Gh Geschlechtshöcker, Go Gonoporus, gS große Schamlippe, Gw Geschlechtswulst, Ha Harnröhre, HaS Harnröhrenschwellkörper, Hb Harnblase, HG gemeinsamer Harn- und Geschlechtsweg, Ho Hoden, Hs Hodensack, Kb Kreuzbein, Kl Kloake, kS kleine Schamlippe, Li „Liebespfeil“ im Pfeilsack, Md Mastdarm, Mu Muttermund, Ni Niere, Od Ovidukt, Ov Ovar, Pa Parameren, Pe Penis, PeS Penisschwellkörper, Pr Prostata, Re Receptaculum (♀), Sa Samenblase (♂), Scha Schambein, Ub vorderes rechtes Uterusband, Ut Uterus, Va Vagina bzw. Vulva, Vd Vas deferens (Samenleiter), Zw Zwittergonade.

Pfeile: Ort der Besamung, Strichelung: Spermienspeicherung (♂: in Samenblase, ♀: in Receptaculum), Pünktelung: akzessorische Drüsen, schwarze Bereiche: Gonaden



Geschlechtsorgane

Abb. 2: Geschlechtsorgane des Menschen.

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