Lexikon der Biologie: Hippocampus
Hippocampusm [von griech. hippokampos = Seepferdchen], 1) die Seepferdchen. 2)Pes hippocampi, Bezeichnungfür Bereiche der sich nach innen rollenden, medialen Ränder der Großhirnrinde bei Säugern, die eine zentrale Schaltstelle des limbischen Systems sind. Der Hippocampus gehört jedoch nicht dem 6schichtigen Isocortex an, sondern bildet einen aus nur 1 Zellkörperschicht und 2 Faserschichten bestehenden Archicortex. Auch im Gehirn der Reptilien und Vögel ist der mediale Rand des Hirnmantels 3schichtig ausgebildet, die Homologie zum Hippocampus der Säuger ist jedoch umstritten. Die Hippocampusformation ( vgl. Abb. ) ist in 3 Regionen unterteilt: die medial gelegene Fascia dentata (Gyrus dentatus; Gyri), das Ammonshorn (Cornu ammonis) und das lateral gelegene Subiculum. Die Fascia dentata enthält eine Zellkörperschicht, die von kleinen Neuronen gebildet wird (Körnerschicht), deren Axone (Moosfasern) in strenger räumlicher Ordnung zum Ammonshorn ziehen. In Ammonshorn und Subiculum befinden sich große Pyramidenzellen, von denen die Efferenzen des Hippocampus entspringen. Von ihren Axonen gehen Kollaterale ab, die sich in den Hippocampus zurückwenden und synaptische Kontakte mit den Dendriten zahlreicher Pyramidenzellen eingehen. Das Ammonshorn ist seinerseits in 4 cytoarchitektonisch unterscheidbare Bereiche (CA1, CA2, CA3, CA4) gegliedert.
Der Hippocampus ist über umfangreiche Bündel von Nervenfasern mit angrenzenden corticalen Hirnregionen und mit subcorticalen Hirnstrukturen kommunikativ verbunden. Von den Hirnrindenregionen, die dem Hippocampus näher und ferner benachbart sind, vor allem der Area entorhinalis, ziehen Nervenstränge vor allem über den Tractus perforans in den Gyrus dentatus ein. Der Fornix ist ein kompaktes Faserbündel, in dem der größte Teil der Efferenzen des Hippocampus verläuft und der im Gehirn des Menschen ca. 1,2 Millionen Axone enthält, die den Hippocampus vor allem mit Thalamus und Hypothalamus verbinden. Eine vergleichsweise kleine Projektion erreicht den Hippocampus von der Area entorhinalis der gegenüberliegenden Hemisphäre über die Commissura fornicis. Wegen seiner übersichtlichen zellulären Architektur und der separat zugänglichen Afferenzen und Efferenzen findet das Gewebe des Hippocampus in vielen neurocytologischen in-vitro-Untersuchungen als Modellsystem Verwendung.
Der Hippocampus ist mit 3 wichtigen Funktionsbereichen des Gehirns in Zusammenhang gebracht worden, die zunächst nicht offensichtlich zusammenpassen.
1) Die operative Entfernung des Hippocampus auf beiden Seiten des Gehirns, die gelegentlich zur Milderung unheilbarer Epilepsien durchgeführt werden muß, führt zu einer hippocampalen Amnesie. Dabei verliert der Patient die Fähigkeit, neue Gedächtnisinhalte zu bilden: Er kann sich an die Ereignisse von gestern nicht mehr erinnern, und eine Unterhaltung mit einem Besucher muß nach wenigen Minuten von vorne beginnen. Dabei bleiben dem Patienten die Erinnerungen an seine Erlebnisse vor der Operation weitgehend erhalten. Dieser Leistung des Hippocampus entspricht sein Reichtum an Molekülen (z.B. Glutamatrezeptor-Kanäle vom NMDA-Typ), von denen man vermutet, daß sie mit Lernprozessen zu tun haben (Langzeitpotenzierung). Die hippocampale Amnesie betrifft nur das explizite (deklarative, relationale) Gedächtnis, ein implizites Gedächtnis kann auch nach Entfernung des Hippocampus aufgebaut werden.
2) Ein scheinbar ganz anderer Funktionsbereich des Hippocampus wurde mittels elektrophysiologischer Studien aufgezeigt. Beobachtet man die Aktivität der Hippocampus-Neuronen in einem Versuchstier, das sich in einer Arena frei bewegen kann, so stellt man fest, daß im Verlaufe der Exploration der Arena durch das Tier einzelne Neuronen mit der Generierung von Aktionspotentialen beginnen, wenn sich das Tier an einem bestimmten Ort innerhalb seines Bewegungsbereichs befindet; andere hippocampale Neuronen werden aktiv, wenn sich das Tier an einem anderen Ort befindet: der Hippocampus enthält offenbar eine Raumkarte der aktuellen Umgebung. Diese Karte wird mit wechselnder Umgebung verändert. Exploration und Bildung einer inneren Repräsentation (kognitive Karte) der für das aktuelle Verhalten relevanten räumlichen Umgebung sind wiederum Bestandteil eines Lernprozesses (Lernen) und lassen eine weitere Verbindung zur Bedeutung des Hippocampus für die Gedächtnisbildung erkennen.
3) Schließlich ist der Hippocampus gemeinsam mit der Amygdala, dem Hypothalamus und bestimmten isocorticalen Bereichen (vor allem dem Gyrus fornicatus) Hauptbestandteil des limbischen Systems und als solcher an der emotionalen Bewertung von Ereignissen in der Umwelt des Organismus beteiligt. Es wurde vorgeschlagen, daß eine solche emotionale Einfärbung notwendig sein könnte, um Erlebnisse erinnerungswürdig zu machen. Dies würde wiederum eine Brücke zu den Phänomenen der hippocampalen Amnesie schlagen und dabei helfen, in den scheinbar divergenten Funktionen des Hippocampus ein verbindendes Motiv zu erkennen.
R.B.I.
Hippocampus
a Hippocampusformation im Gehirn des Affen (Horizontalschnitt nach Zellkörperfärbung [Nissl-Färbung]). b Schema der Hippocampusformation eines Affen in Horizontalansicht.
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