Lexikon der Biologie: Milben
Milben, Acari, Acarina, Ordnung der Spinnentiere(Arachnida) mit über 30.000 bekannten Arten, wobei nach vorsichtigen Schätzungen bis zu 1 Million Milben-Arten existieren. Körpergröße ca. 0,09 mm–30 mm (weibliche BuntzeckeAmblyomma clypeolatum), die meisten Arten im und unter dem 1-mm-Bereich; 10 mm und mehr erreichen nur Weibchen blutsaugender Arten im vollgesogenen Zustand (Holzbock), die kleinsten Milben sind Gallmilben – einige mit Längen von unter 0,1 mm, womit sie zu den kleinsten Arthropoden (Gliederfüßer) überhaupt gehören. Die ältesten bekannten Milbenfossilien stammen aus dem Devon (Gruppe Actinedida [Trombidiformes] und Oribatida [Hornmilben]), die ältesten Anactinotrichida (Parasitiformes) aus dem oberen Eozän. Unter den Spinnentieren sind die Milben die einzige Gruppe, die in großem Stil adaptive Radiation zeigt: in der Lebensweise, im Verhalten und entsprechend in der Morphologie findet sich eine kaum überschaubare Mannigfaltigkeit. Die Evolution vieler Nicht-räuberischer Milben ging mit der Entwicklung von Bedecktsamern einher, große Speziationsmöglichkeiten für epizoisch und parasitisch lebende Milben bot die Radiation von Vögeln und Säugetieren. Milben sind die einzige Arachnidengruppe (Landtiere!), aus der im großen Stil (mehrfach konvergent) wasserlebende Spinnentiere hervorgegangen sind. Von der Tiefsee, Gezeitenzone, Quellen bis hin zu Wüstenhabitaten werden praktisch alle Biotope besiedelt. Im Boden gehören Milben (vor allem Hornmilben) zu den häufigsten Tieren. Man unterscheidet: 1) Räuber und Aasfresser: viele Gamasiden (Mesostigmata) und Actinediden, die teilweise auch als Nützlinge Fadenwürmer, Milben oder Kleininsekten fressen. 2) Pflanzenfresser: Tetranychidae und Eriophyoidea als Pflanzensauger, viele Acaridida als Vorratsschädlinge (z.B. Mehlmilben) und Pilzfresser. 3) Detritusfresser: z.B. Oribatida im Boden. 4) Paraphagen: fressen körperliche Abfallprodukte, wie Hautschuppen und Hornabfälle, z.B. Pyroglyphidae (Federmilben) im Gefieder von Vögeln. 5) Parasiten: besonders vielgestaltig und zahlreich in unterschiedlichen Gruppen. a) Ektoparasiten ernähren sich von Blut, Lymphe, Zellen und verflüssigtem Gewebe (z.B. Varroa jacobsoni auf Honigbienen [Milbenseuche, Varroamilbe], Amblyomma Überträger von Viehseuchen). Bei den Parasitengona sind nur die Larven parasitisch. b) Endoparasiten, die von außen in das Hautgewebe eindringen (z.B. Krätzmilben), die Atemwege besiedeln (z.B. die Nasenhöhle bei Robben durch Halarachne [Robbenmilbe], die Lunge bei Affen durch Pneumonyssus [Lungenmilbe]) oder (selten) im Darm leben (Enterohalacarus bei Seesternen; Meeresmilben). Parasitische Milben erlangen als Überträger von Infektionskrankheiten (z.B. Lyme-Borreliose und FSME [Frühsommer-Meningoencephalitis] durch den Holzbock, Ixodes ricinus) große Bedeutung, pflanzensaugende Milben (hauptsächlich Gallmilben wie z.B. Eriophyes ficus auf Feige) können zudem pflanzenpathogene Viren übertragen. Einige Milben lassen sich zur Überwindung größerer Distanzen von anderen Tieren per Wind oder phoretisch (Phoresie) zu neuen Lebensräumen tragen (z.B. die Deutonymphen der KäfermilbeParasitus coleoptratorum durch den MistkäferGeotrupes). In manchen Fällen kann der Mensch anhaftende Milben verschleppen (z.B. bei der Kräuselmilbe Calepitrimerus vitis). – Körpergliederung ( vgl. Abb. ): Eine deutliche Körpergliederung in ein Prosoma und ein Opisthosoma fehlt. Beide sind auf breiter Fläche miteinander verschmolzen. Das Prosoma trägt außer den ursprünglich 4 Beinpaaren die Cheliceren und Pedipalpen und repräsentiert somit 6 Segmente. Mundbereich, Cheliceren und Pedipalpen formen zusammen das für Milben charakteristische Gnathosoma, das gegen den übrigen Körper (Idiosoma) frei beweglich ist. Durch die Ausbildung einer Furche zwischen 2. und 3. Laufbeinsegment wird der Rumpf auch in ein vorderes Proterosoma und hinteres Hysterosoma geteilt. Die äußere Segmentierung des Opisthosomas ist bei einzelnen Milbengruppen sehr unterschiedlich ausgeprägt, bei manchen Arten werden die Segmente noch durch regelmäßige Haarreihen angedeutet, bei den Opilioacarida ist noch ein gegliedertes Abdomen erkennbar. Das 8. Segment ist ventral häufig nach vorne zwischen die Laufbeincoxen verschoben (Genitalöffnung). Teilweise können sekundäre Falten und Furchungen auftreten. Auch im Innern sind durch die Veränderung der Körpergestalt (Verkürzung, Streckung) kaum mehr Einflüsse einer Körpersegmentierung festzustellen. Extremitäten: Cheliceren 2- oder (ursprünglich) 3gliedrig mit Scheren; je nach Ernährungsweise stark abgewandelt; Pedipalpen meist kürzer als Beine, meist als Taster, seltener als Greifarme (manche räuberische Milben) ausgebildet. Pedipalpencoxa stets gut entwickelt und an der Bildung des Gnathosomas beteiligt; Laufbeine in der Regel bei Adulten 4 Paar, bei Larven 3 Paar; Anzahl bei einigen Gruppen reduziert (z.B. Eriophyoidea), Coxen oft in den Körper eingeschmolzen; Tarsen mit Krallen und Haftlappen. Körperdecke: Cuticula mehr oder weniger dick (zart z.B. bei Haarbalgmilben, extrem dick bei Hornmilben, dort Plattenbildung). Nahrungsaufnahme und Verdauung: Gnathosoma mit kompliziert gebautem Mundvorraum aus 1. Tectum (Duplikatur des Prosoma-Vorderrands verschmolzen mit Pedipalpencoxen) und 2. Infracapitulum (basaler Teil des Gnathosomas) aus Palpenboxen und ventralen Resten des Sternums, in dem die je nach Ernährungsweise gestalteten Cheliceren liegen. Bei manchen Gruppen sind auch Anhangsdrüsen vorhanden. Oft können die Cheliceren und/oder das ganze Gnathosoma eingezogen bzw. vorgeschoben werden. Nahrung (meist extraintestinal vorverdaut) wird vom Saugpharynx (kräftige Muskulatur) angesogen und in einen Mitteldarm gebracht, der bis zu 7 Paar Divertikel besitzt. Dort findet intrazelluläre Verdauung statt; Exkrete werden über Enddarm und After abgegeben (Reduktion von Enddarm und After bei einigen Gruppen). Sinnesorgane: innervierte Haare (Tasthaare) mit verschiedenster Gestalt über den gesamten Körper verteilt, Trichobothrien (Becherhaar), Spaltsinnesorgane, Hallersches Organ bei Zecken. Bei wenigen ursprünglichen Arten 1 bis 2 Paar Lateralaugen (Opilioacarida, manche Ixodida, viele Actinedida), bei manchen Actinotrichida paarige oder unpaare Medianaugen. Wärme-, Chemo- und Lichtperzeption sind auch über größeren Abstand möglich. Nervensystem: im vorderen Körperbereich konzentriert mit großem Oberschlundganglion und kleinem Unterschlundganglion, von dort Nervenbahnen in den gesamten Körper verlaufend. Exkretion: Verschiedenste Organe. Anactinotrichida haben Malpighi-Gefäße und Coxaldrüsen, sonst treten Coxaldrüsen oder ein unpaarer medianer, vom Darm abgehender Exkretionsschlauch auf. Mitteldarmzellen können Exkrete speichern. Kreislauf und Atmung: Bei Larven und zarthäutigen Milben ist Haut-Atmung weit verbreitet; sonst Röhrentracheen (Tracheensystem), deren Stigmen an verschiedensten Stellen liegen können. Herz und kurze Arterie sind nur bei einigen Gruppen nachgewiesen; Blut strömt ins Lückensystem zwischen den Organen. Geschlechtsorgane: stets getrenntgeschlechtlich; Hoden, Ovarien und Ausführgänge paarig mit unpaarem Porus zwischen den Laufbeincoxen; es sind verschiedenste Verschmelzungen möglich; oft treten akzessorische Drüsen auf; Penisbildung findet sich bei den Acaridida, Oribatida und vielen Actinedida; Ovipositor bei Hornmilben. Fortpflanzung: Spermienübertragung erfolgt durch frei stehende Spermatophoren ( vgl. Abb. ), über Gonopoden (Chelicerendifferenzierung bei Gamasiden, 3. Beinpaar bei einigen Wassermilben) oder mit einem Penis; zum Fixieren des Weibchens bei der Kopula haben manche Milbenmännchen riesige Klammerbeine, bei einigen Arten wird das Weibchen mit Hilfe von Klebsekret am Opisthosoma befestigt und über die Spermatophore getragen. Parthenogenese ist nur bei wenigen, vor allem phytophagen Arten nachgewiesen (z.B. einigen Spinnmilben, Gallmilben, Tarsonemina). Entwicklung: die Embryonalentwicklung ist noch wenig untersucht; Verkürzung des Rumpfes findet sich bereits beim Embryo. Trotz aller Unterschiede ist die Entwicklung für Milben ein gemeinsames Charakteristikum: Prälarve, Larve, Protonymphe, Deutonymphe und Tritonymphe, dazwischen jeweils eine Häutung; die Larven weisen stets nur 3 Beinpaare auf, Nymphenstadien mit voller Beinzahl. Die Prälarve verbleibt fast immer als unbewegliches Stadium in der Eihülle. Bei manchen Milbengruppen können 1 oder 2 dieser Stadien „ausgelassen“ werden (z.B. bei Parasitengona), manche legen Ruhestadien ein („Nymphochrysalis“ und „Imagochrysalis“), Kugelbauchmilben(Pyemotes) überspringen alle. Die Lebensweise von Larven, Nymphen und Adulten kann ähnlich oder verschieden sein (z.B. Erntemilbe: Larve blutsaugend, Nymphe und Adultus räuberisch), diverse Nymphenstadien können Überdauerungs- oder Übertragungsstadien sein. Die Lebensdauer einzelner Milbenarten schwankt von wenigen Tagen bis zu mehreren Jahren. – Systematik: Im lange umstrittenen System der Milben (Acari) zeichnet sich heute eine Gliederung in 2 Unterordnungen ab ( vgl. Tab. ): Bei den Anactinotrichida (früher Parasitiformes) ist das Chitin der Borsten nicht doppelbrechend (Name!), Malpighische Gefäße und oft auch Herz sind vorhanden, Trichobothrien fehlen, Sinnesspalten sind zahlreich, die Coxen frei; bei den Actinotrichida (Acariformes) ist das Chitin der Borsten doppelbrechend, Malpighische Gefäße und Herz fehlen, die Coxen sind meist verschmolzen, nur wenige Spaltsinnesorgane, Genitalpapillen sind vorhanden, Trichobothrien oft vorhanden. Von der ökologischen Diversität als auch von der Anzahl der Arten her sind die Actinotrichida die umfangreichere von beiden Gruppen. Akarinose, Akarizide, Bodenorganismen (Tab.), Chelicerata, Domatien, Fellmilben, Gamasidose, Hautmilben. Milben IMilben II , Chelicerata , Gallen I .
C.G./K.D.
Lit.:Gruner, H.-E., Moritz, M., Dunger, W.: Kaestner: Lehrbuch der speziellen Zoologie. Bd.1, 4.Teil. Heidelberg 1993. Alberti G., Coons L.B.: Acari: Mites, in: Microscopic Anatomy of Invertebrates, Vol 8C, ed: Harrison & Foelix 1999. Storch, V., Welsch, U.: Systematische Zoologie. Heidelberg 51997.
Milben
1 Körpergliederung; 2 Schnitt durch das Gnathosoma; 3 verschiedene Chelicerentypen. 4 Paarung der Milbe Arrenurus globator: Die Spermatophore ist mit einem Sekretstiel am Untergrund befestigt. Das Männchen trägt das mit einer Kittsubstanz am Rücken festgeklebte Weibchen über die Spermatophore, damit das Samenpaket in die weibliche Geschlechtsöffnung aufgenommen werden kann.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.