Lexikon der Biologie: Morphosen
Morphosen [von spätgriech. morphōsis = Gestaltung], durch Umweltfaktoren(morphogenetische Reize) hervorgerufene, nicht erbliche Merkmals-Variationen bei Pflanzen (Merkmal, Modifikation, Morphogenese). Die (morphologischen) Baueigentümlichkeiten werden auch Morphien genannt (z.B. Hydromorphie). In der Physiologie versteht man unter Morphosen Vorgänge, die sich auf dem Niveau der Organe, Gewebe, Zellen, Zell-Organellen und Moleküle abspielen. Die Ausbildung der Morphosen hängt ab von der Stärke und Dauer, der Richtung und Qualität der einwirkenden Reize. Diese Differenzierungen können auch reversibel sein (Modulation). Morphosen finden sich bei Höheren und Niederen Pflanzen. Je nach auslösendem Faktor unterscheidet man: a) Photomorphosen: lichtinduzierte (Lichtfaktor) Modifikationen; Bezeichnung für alle Merkmalsänderungen, die eine im Licht gekeimte Pflanze (Keimung) im Gegensatz zu einem Dunkelkeimling zeigt. Photomorphosen sind auch Differenzierungen, die durch die Lichtintensität gesteuert werden (Photomorphogenese). Beispiele sind die Ausbildung von Lichtblättern und Schattenblättern und die Abstimmung des Photosyntheseapparats (Photosynthese) auf den Lichtgenuß einer Pflanze. Bei manchen Arten (z.B. Rundblättrige Glockenblume) ist die Blattform (Blatt) abhängig von der Lichtstärke. Photomorphosen auf Molekülebene sind Synthesen vieler Enzyme und Pigmente (Chlorophylle, Anthocyane). Für die Ausbildung bestimmter Merkmale ist meist nur ein kleiner Spektralbereich (Farbe) verantwortlich: z.B. bilden Pilze nur bei Vorhandensein von Blaulicht und UV (Ultraviolett) Gametangien. b) Thermomorphosen: Temperatur (Temperaturfaktor) als Umweltreiz; diese Morphosen sind relativ selten; bei manchen Arten wird die Blattgestalt oder der Grad der Verzweigung von der Temperatur gesteuert. c) Geomorphosen: Schwerkraft (Gravitationsbiologie) als Umweltreiz; Gladiole und Weidenröschen ( vgl. Abb. ) bilden dorsiventrale Blüten nur unter dem Einfluß der Schwerkraft, das gleiche gilt für die Torsion der Fruchtknoten von Orchideen. d) Thigmomorphosen (Haptomorphosen): durch Berührungsreize verursacht; gewisse Algen bilden bei Kontakt mit der Unterlage Rhizoide, manche Pilze Hüte, die Ranken des Wilden Weins (Weinrebengewächse) bilden nach Berührung Haftscheiben (Appressorien; vgl. Abb. ), beim Teufelszwirn kommt es nach Berührung zur Sproßbildung. e) Hydromorphosen, Hygromorphosen, Xeromorphosen: Wasserversorgung der Pflanzen bzw. Wasser als morphogenetischer Reiz. Von Hydromorphosen spricht man, wenn flüssiges Wasser der auslösende Faktor ist (Beispiel: manche Wasserpflanzen bilden unter und über Wasser verschieden gestaltete Blätter aus; Heterophyllie). Hygromorphosen dagegen sind durch hohe Luft-Feuchtigkeit bestimmt; Kennzeichen sind hier lange Internodien und Blattstiele, große und dünne Blattspreiten; sie finden sich bei manchen Schattenpflanzen und Tropenpflanzen. Bei ungünstigem Wasserhaushalt findet man Xeromorphosen: verstärkte Cuticula, geringe Zahl an Spaltöffnungen, verstärktes Wasserleitungs- (Leitungsgewebe) und Festigungsgewebe. f) Chemomorphosen:Chemikalien als morphogenetischer Reiz; bekannt sind viele Morphosen, die durch Herbizide, Wuchsstoffe (Auxine, Phytohormone) usw. verursacht werden; in gewisser Weise gehören hierzu auch die Hydromorphosen. g) Trophomorphosen: Nahrungsangebot als Umweltreiz. Ein Beispiel ist die Unterdrückung von Fortpflanzungsorganen bei vielen Niederen Pflanzen bei geringem Nahrungsangebot. Umstritten ist, ob die als Peinomorphosen bezeichneten Merkmale von Hochmoorpflanzen (Zwergwuchs, Dickblättrigkeit, kleine Blattspreiten; Hochmoorgesellschaften) auf Nährstoff-, insbesondere Stickstoffmangel (Mangelkrankheiten) zurückzuführen sind oder Xeromorphosen darstellen. h) Phytomorphosen, Zoomorphosen: durch pflanzliche bzw. tierische Parasiten verursachte Formänderungen der Wirtspflanze; Beispiele: die Ausbildung von Hexenbesen und Gallen. i) Mechanomorphosen: mechanische Kräfte (Mechanik) als morphogenetischer Reiz; Beispiele sind Fahnenwuchs von Baumkronen bei einseitiger Windeinwirkung (Windfaktor) und Säbelwuchs infolge von Rutschungen und Schneedruck.
Ch.H.
Morphosen
1Geomorphose beim Wald-Weidenröschen (Epilobium angustifolium):a Bildung dorsiventraler Blüten unter dem Einfluß der Schwerkraft; b Ausbildung radiärer Blüten bei Entwicklung auf dem Klinostaten (Schwerkraft nicht wirksam).
2Thigmomorphose beim Wilden Wein (Parthenocissus hederacea):a Ranken frei; b Bildung von Haftscheiben an den Ranken nach Berührung
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