Lexikon der Biologie: Musterbildung
Musterbildung, 1) Zoologie: in der Entwicklungsbiologie der Tiere Vorgänge, über die aus einem einfacheren System ein komplexer strukturiertes System mit einer definierten räumlichen Anordnung seiner Komponenten (Musterelemente, Muster) entsteht. Beispiel: Der frühe Amphibienkeim (Morula) mit 2 Arealen (kleine animale und große vegetale Zellen) untergliedert sich in 3 Areale, indem vegetale (vegetative) Zellen (späterer Darm mit Anhangsorganen) in angrenzenden animalen Zellen (spätere Epidermis und Neuralrohr) die Bildung von Mesoderm (spätere Chorda, Somiten und Seitenplatten) induzieren (Induktion). Die Musterbildung schließt jene „Zunahme wahrnehmbarer Mannigfaltigkeit“ (W. Roux) ein, die seit der Antike als Grundproblem der Ontogenese gesehen wird; heute beschrieben als die zunehmend kleinteiligere Regionalisierung eines sich entwickelnden Organismus in unterschiedliche Areale mit unterschiedlichen Genaktivitäten. Begrifflich kann man die Musterbildung unterteilen in Musterspezifikation (Entstehung eines unsichtbaren Musters von unterschiedlich determinierten Zellen) und Musterrealisation (Sichtbarwerden des Musters, z.B. durch unterschiedliche Pigmentbildungen oder regional unterschiedliche morphogenetische Bewegungen usw.). Biologische Musterbildung kann innerhalb von Einzelzellen (z.B. Wimpertierchen) und in Zellverbänden stattfinden. Bei Zellverbänden empfiehlt sich die begriffliche Unterscheidung zwischen Zelldifferenzierung (Veränderung der Zellen in der Zeit, d.h. gegenüber einem früheren Zustand; Determination) und Diversifizierung (räumliche Differenzierung, d.h. Verschiedenwerden von ehemals gleichartigen Zellen). Diese Vorgänge müssen für die normale Musterbildung räumlich und zeitlich koordiniert ablaufen. Formal lassen sich Musterbildungsvorgänge oft durch Interaktionen zwischen bestimmten Komponenten beschreiben (Kybernetik, Synergetik), die Analyse der tatsächlichen biologischen Mechanismen erfordert jedoch zellbiologische, biochemische und genetisch-molekularbiologische Untersuchungen. – Musterbildung ausschließlich auf der Basis der genetischen Information, als self-assembly (Selbstorganisation) von Molekülen und/oder Zellen, muß als Ausnahmefall gelten. In der Regel wird die Diversifizierung der Zellen auch durch epigenetische Information in Form von räumlich ungleich verteilten Außenfaktoren gesteuert. Die Gene des Individuums sind dann zwar notwendig, aber nicht hinreichend für die Musterbildung. Als die Musterbildung auslösende Außenfaktoren können z.B. Licht, Feuchtigkeit oder die Schwerkraft (Gravitationsbiologie) wirken, aber auch epigenetisch wirksame Systemkomponenten wie strukturelle Polaritäten, sezernierte Signalmoleküle oder örtlich angereicherte Moleküle im Plasmalemma, Cortex, Cytoplasma (Beispiel: maternale Determinanten in Eizellen). Eine gradientenartige Verteilung solcher Faktoren z.B. entlang einzelner Eiachsen gilt als Möglichkeit zur Vermittlung von Positionsinformation. – Die zur Musterbildung führenden Wechselwirkungen im System lassen sich begrifflich als global oder lokal unterscheiden. Globale (d.h. Wechselwirkungen über größere Areale) können bei den anfänglichen Musterungsvorgängen eine Rolle spielen (morphogenetisches Feld, morphogenetischer Gradient). Lokale Wechselwirkungen finden zwischen direkt benachbarten Zellen oder Zellgruppen statt, wie z.B. bei der Ommatidienentwicklung im Insektenauge (Komplexauge, Zellkommunikation). Die regenerative Musterbildung scheint vorwiegend auf örtliche Wechselwirkungen zwischen Zellen mit bereits festgelegten Positionswerten zu beruhen. – In der Evolution können die Mechanismen der Musterbildung anderen Selektionsdrücken unterliegen als ihr ontogenetisches Endprodukt – der funktionsfähige Körper. Daher können homologe Strukturen (Homologie) unter Umständen auch durch (partiell) verschiedene Musterbildungsmechanismen entstehen. Beispiele hierfür sind der Insekten-Keimstreif (Entstehung über Kurzkeimentwicklung bzw. Langkeimentwicklung) oder die Amnionbildung (Spalt- bzw. Faltamnion; Embryonalhüllen). 2) Botanik: Entstehung einer spezifischen Anordnung von Zellen, Geweben und Organen während der Entwicklung einer vielzelligen Pflanze ( vgl. Infobox ). 3) Biochemie: Zhabotinsky-Belousov-Reaktion. – asymmetrische Teilung, Cortex, Cytologie, dorsoventrale Musterbildung, Embryonalentwicklung (Farbtafel), Entwicklung, Entwicklungsbiologie (Geschichte der), Entwicklungstheorien, formative Teilung, Gestalt, Homöobox-Gene, Hox-Gene, Keimplasmatheorie, Koordinatengene, Lithium-Effekt, Lokalisierung von mRNA, Morphogen, Musterbildungsgene, Paarregel-Gene, Reaktions-Diffusions-System, Regeneration, Segmentierungsgene, Segmentpolaritäts-Gene, Zellsoziologie.
K.N.
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