Lexikon der Biologie: Mykobakterien
Mykobakterien [von *myko- ], Mycobakterien, Bakterien der Gattung Mycobacterium, einzige Gattung der Mycobacteriaceae (Unterordnung Corynebacterineae der Actinomycetales in der Gruppe der „Actinomyceten und verwandte Organismen“, Klasse Actinobacteria). Die Mykobakterien umfassen ca. 130 benannte Arten und fast 100 unbenannte oder noch nicht kultivierbare Stämme; es sind unbewegliche, gerade oder leicht gekrümmte, stäbchenförmige, sporenlose grampositive Bakterienzellen (0,2–0,6 × 1–10 μm); es können auch mycelartige oder filamentöse Formen auftreten, die aber leicht in stäbchen- oder kokkenförmige Zellen zerfallen. Typisch ist die säurefeste Anfärbung (Ziehl-Neelsen-Färbung), die zumindest in einigen Entwicklungsstadien zu beobachten ist. Auffällig ist auch der hohe Lipidgehalt der Zellen (bis 60% der Trockensubstanz), besonders der Bakterienzellwand, die wachsartige Substanzen, z.B. Mykolsäuren, enthält. Diese Tuberculo-Lipide sind zum Teil verantwortlich für die säurefeste Anfärbung, für die hohe Resistenz gegen physikalische und chemische Einwirkungen sowie Virulenz und Schutz vor intrazellulärer Phagocytose. Mykobakterien besitzen einen aeroben chemoorganotrophen Energiestoffwechsel (Chemoorganotrophie). Sie leben als obligate Parasiten im Gewebe von Mensch und Tieren, als opportunistische Krankheitserreger oder reine Saprophyten in Boden und Wasser. Einige parasitische Formen lassen sich noch nicht außerhalb eines Organismus kultivieren (z.B. Lepraerreger, s.u.). Neben der Identifizierung nach biochemischen Reaktionen erfolgt die taxonomische Einordnung heute vorwiegend nach molekulargenetischen Merkmalen. – Mycobacterium leprae, der Erreger der Lepra, 1874 von G.H.A. Hansen entdeckt (Hansen-Bacillus), zeichnet sich durch eine lange Inkubationszeit (zum Teil viele Jahre) und ein sehr langsames Wachstum aus; es wird angenommen, daß die Verdopplungszeit im Patienten durchschnittlich 20–40 Tage beträgt. Eine Kultur auf künstlichen Nährböden ist noch nicht gelungen; die Züchtung erfolgt in Mäusepfoten oder Ratten und in Gürteltieren („Armachillo“); Generationszeit mindestens 12 Tage. Mycobacterium tuberculosis (Tuberkelbacillus, Kochsches Bakterium), der Erreger der Tuberkulose im Menschen, wurde 1882 von R. Koch isoliert und in Reinkultur gezüchtet; die experimentelle Übertragung der Infektion aus pathogenem Material gelang bereits Klencke (1843) und Villemin (1865); 1998 lag das Genom des Bakteriums komplett entschlüsselt vor (ca. 4,4 Millionen Basenpaare, entspricht etwa 4000 Genen). Mycobacterium bovis, der Erreger der Rindertuberkulose, wurde von T. Smith (1898) als eigene Art abgegrenzt; eine Infektion des Menschen erfolgt gewöhnlich durch Trinken von infizierter Milch. Weitere Tuberkuloseerreger sind Mycobacterium africanum und Mycobacterium microti. Daneben gibt es eine Reihe nicht-tuberkulöser Mykobakterien, die humanpathogene Bedeutung haben (z.B. Mycobacterium ulcerans, Mycobacterium avium, Mycobacterium intracellulare und Mycobacterium kansasii). Diese Arten verursachen Hauterkrankungen (z.B. Buruli-Geschwüre; Buruli-Ulcus), nicht-tuberkulöse Lungenentzündungen und Infektionen der Lymphknoten, außerdem können generalisierende Infektionen erfolgen – vor allem bei Menschen mit herabgesetzter Immunabwehr. Mykobakterien, die keine Tuberkulose und Lepra erzeugen, werden heute unter der Bezeichnung MOTT (Mycobacteria Other Than Tubercle bacilli [Tuberculosis]) oder NTM (Nicht-Tbc-, nicht-Lepra-Mykobakterien) zusammengefaßt. Die fakultativ pathogenen Arten kommen auch in der Umwelt vor und werden heute auch als Potentiell Pathogene Umwelt-Mykobakterien (PPUM), englisch Potentially Pathogenic Environmental Mycobacteria (PPEM), bezeichnet. Die frühere klinische Bezeichnung „atypische Mykobakterien“ für die Nicht-Tuberkulose-Erreger, sowohl für die opportunistischen Krankheitserreger als auch für die reinen Saprophyten, ist veraltet. Früher wurden diese Mykobakterien nach ihrer Wachstumsgeschwindigkeit und der Farbstoffbildung nach Runyon in 4 Gruppen unterteilt ( vgl. Tab. ). Die Pathogenität und Virulenz der Mykobakterien sind abhängig vom jeweiligen Erregerstamm und von der Wirtsspezies; notwendig für eine Infektion scheint auch eine verminderte Resistenz des Organismus (z.B. Immunschwäche) zu sein; besonders AIDS-infizierte Patienten (AIDS, HIV) sind für Tbc und auch für Infektionen durch MOTT-Stämme anfällig.
G.S.
Mykobakterien
Mycobacterium-Mycel und Einzelzellen auf festem Nährboden
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