Lexikon der Biologie: nachwachsende Rohstoffe
nachwachsende Rohstoffe, Bezeichnung für Substanzen, die von Pflanzen gebildet werden und als industrielle Rohstoffe im Nicht-Nahrungsmittelbereich genutzt werden können. Aus ökologischer Sicht sind nachwachsende Rohstoffe interessant, da zu ihrer Herstellung nur Sonnen-Licht, Wasser und Luft benötigt werden. Ein zusätzlicher Flächenverbrauch durch einen Anbau von Rohstoffpflanzen ist nicht notwendig, da europaweit Überschüsse produziert werden, die den aktuellen und für die Zukunft prognostizierten industriellen Bedarf bei weitem übertreffen. Bei Verwendung in der Industrie können pflanzliche Substanzen prinzipiell wieder dem biologischen Kreislauf (Stoffkreisläufe) zugeführt werden – sie sind kompostierbar (Kompost, abbaubare Kunststoffe). Allerdings wird die biologische Abbaubarkeit deutlich eingeschränkt, wenn die Stoffe in der industriellen Verarbeitung chemisch modifiziert oder in komplexere Strukturen eingearbeitet worden sind. – Schon lange Tradition hat die Verwertung von Holz zur energetischen Nutzung, als Bau- und Werkstoff, in der Spanplatten- und Zellstoffindustrie. Zur Energiebereitstellung werden inzwischen auch Abfälle aus der Holzwirtschaft (Hackschnitzelfeuerung) und schnell wachsende C4-Pflanzen, wie z.B. Chinaschilf, herangezogen. Bei Verwendung von pflanzlichem Material in Verbrennungsvorgängen (Verbrennung) ist die CO2-Bilanz (Kohlendioxid) günstig, da nur soviel CO2 frei wird, wie zuvor beim Wachstum gebunden wurde. In der Industrie werden mehr und mehr pflanzliche Stoffe wie Kohlenhydrate (z.B. Stärke, Cellulose, Inulin und Saccharose), Fette, Öle, Harze, Wachse, Gummi sowie Proteine für chemische Synthesen und Verarbeitungsschritte oder als Substrat für biotechnologische Anwendungen (Kohlenhydrate; Biotechnologie) genutzt ( vgl. Tab. 1 ). Daneben finden auch Pestizide produzierende Pflanzen (Nimbaum, Wucherblume; Biopestizide), Färberpflanzen, Gewürzpflanzen und Heilpflanzen, deren Inhaltsstoffe aus dem pflanzlichen Sekundärstoffwechsel stammen (Pflanzenstoffe), sowie Faserpflanzen (Brennessel) verstärkt Interesse ( vgl. Tab. 2 ). – Allgemein konkurrieren aus Pflanzen gewonnene Stoffe bei Verwertung in der chemischen Industrie mit Grundstoffen aus der Erdölindustrie (Benzol, Ethylen, Propylen oder Toluol), für die seit Jahrzehnten etablierte und ständig weiterentwickelte Produktlinien bestehen und die ein weit günstigeres Kohlenstoff/Wasserstoff-Verhältnis aufweisen als die meist hochfunktionalisierten sauerstoffhaltigen Pflanzenstoffe. Entscheidend für die Verwendung in der Industrie ist die sog. Synthesevorleistung der Pflanze, d.h., die als Grundstoffe für biochemische Verarbeitungsschritte herangezogenen Pflanzenstoffe sollten dem gewünschten Zwischen- oder Endprodukt bereits sehr ähnlich sein. Zum Beispiel ist im Fall von Rapsöl (Kohl) ein hoher Gehalt an Erucasäure für eine industrielle Verwertung wichtig (im Gegensatz zur Speiseölherstellung), im Fall von Sonnenblumenöl ein hoher Gehalt an Ölsäure. Um diesen Anforderungen zu genügen, sollen verstärkt gentechnische Methoden (Gentechnologie) zur Optimierung der pflanzlichen Syntheseleistung angewendet werden (transgene Pflanzen). Chancen für nachwachsende Rohstoffe werden vor allem im Bereich höher veredelter Produkte, bei Fein- und Spezialchemikalien gesehen, wo sie die Rohstoffauswahl verbreitern und Innovationspotential für die Entwicklung neuer Produkte schaffen. – Als nachwachsende Rohstoffe i.w.S. können auch mikrobiell erzeugte Kunststoffe oder von Tieren produzierte Substanzen angesehen werden. Das Milchprotein Casein dient z.B. der Beschichtung von Papier sowie der Herstellung von Etikettierklebstoffen und Leimen. Das aus Gerbereiabfällen kostengünstig zu beziehende Kollagen sowie dessen Hydrolyseprodukt Gelatine finden Verwendung in der Kosmetik-, Arzneimittel- und Klebemittelindustrie. Beispiele aus der Textilindustrie sind die von der Larve des Seidenspinners gebildete Seide (vom synthetischen Nylon verdrängt) sowie die Wolle von Schafen. Bioenergie, Biokraftstoffe, Biomasse, Bionik, Biowerkstoffe.
M.B.
Lit.: Bericht des Bundes und der Länder über Nachwachsende Rohstoffe. Münster-Hiltrup 1995. Borcherding, A., Luck, T.: Pflanzliche Proteine für technische Anwendungen. In: von Weizsäcker E.U. (Hrsg.): Mensch, Umwelt, Wirtschaft. Heidelberg 1995. Eierdanz, H. (Hrsg.): Perspektiven nachwachsender Rohstoffe in der Chemie. Weinheim 1996. Franke, W.: Nutzpflanzenkunde. Stuttgart 61997. Leitfaden Nachwachsende Rohstoffe: Anbau – Verarbeitung – Produkte. Heidelberg 1998. Mann, S.: Nachwachsende Rohstoffe. Stuttgart 1998.
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