Lexikon der Biologie: Nanotechnologie
Nanotechnologiew [von *nano- ], Nanostrukturtechnik, Sammelbegriff für verschiedene Technologien zur gezielten Manipulation von Materie im Nanometerbereich (1 nm = 10–9 m). Ziel der Nanotechnologie ist nicht die weitere Verkleinerung der Elemente der Mikrosystemtechnik, sondern die kontrollierte Positionierung von Atomen innerhalb von Molekülen oder Kristallstrukturen. Vor allem im Zusammenhang mit Halbleitertechnik verwendet, werden unter dem Begriff Nanostrukturtechnik Methoden der Lithographie und nachfolgender Prozeßschritte zusammengefaßt, die auf Nanometerebene ablaufen. Die Nanostrukturtechnik strebt die Herstellung und Untersuchung von Funktionseinheiten oder Bauelementen mit Abmessungen im Bereich einiger Nanometer an. Die Nanoelektronik wird als die Nachfolgerin der Mikroelektronik verstanden, bei der die wesentlichen physikalischen Prozesse in einem Bauelement noch der klassischen Physik gehorchen. Für Bauteile auf der Nanometerskala hingegen werden neuartige, auf quantenmechanischen Effekten beruhende Phänomene erwartet und im Labor auch bereits beobachtet. Einsatz findet die Nanostrukturtechnik auch in der Biologie (Biophysik) und der Chemie sowie in neuen Disziplinen, die auf einer Synthese dieser klassischen Wissenschaften beruhen. Wichtigstes Instrument der Nanotechnologie ist das aus der Weiterentwicklung des Raster-Tunnelelektronenmikroskops (G. Binnig und H. Rohrer, Physiknobelpreis 1986) hervorgegangene Raster-Kraftmikroskop. Mit der damit möglichen Technik der Rastersondenmikroskopie sind Atome und Moleküle der direkten Beobachtung und Manipulation zugänglich. Der zwischen der Abtastnadel des Rastermikroskops und der abgetasteten Oberfläche fließende „Tunnelstrom“ variiert mit dem Abstand zwischen Nadelspitze und Probe und liefert somit ein genaues Bild der Oberflächentopologie und der Lage der Atome. Für die Nanotechnologie von besonderem Interesse ist die Möglichkeit der Rastersondenmikroskopie, Atome und Moleküle einzeln herauszugreifen, zu verschieben und neu zu positionieren (Raster-Kraftmikroskopie). Aus der Kombination von klassischen lithographischen Verfahren mit den Möglichkeiten der Nanotechnologie können Strukturen in aufgedampften Atomschichten erzeugt werden, die nur 1 Atomlage dick sind und Anwendung in elektronischen und elektrooptischen Bauteilen finden. Da die weitere Miniaturisierung mit klassischen Methoden in der Halbleitertechnologie in naher Zukunft auf physikalische Grenzen stoßen wird, ist man auch hier bestrebt, mit Hilfe der Nanotechnologie Halbleiterchips zu verfeinern und Nanostrukturen als elektrische Leiter, bis hin zur Übertragung einzelner Elektronen, zu nutzen. Weiterhin können Materialien mit maßgeschneiderten Eigenschaften aus der Verbindung von organischen Molekülen mit Atomclustern und Nanokristallen realisiert werden, die als molekulare Schalter und Datenspeicher (molekularer Speicher) dienen können. Aus der Synthese von Nanotechnologie und Biotechnologie resultiert die Nanobiotechnologie, die versucht, komplexe biologische Molekülsysteme mit abiotischen Nanostrukturen zu kombinieren. Die Eigenschaft von biologischen Makromolekülen (z.B. Nucleinsäuren oder Proteine; Biopolymere), sich selbst zu assemblieren (assembly), zu replizieren (Replikation) und zu erkennen, sind hierbei von herausragendem Interesse, da diese für Biomoleküle typischen Merkmale bisher nur unzureichend in synthetischen Nanomaterialien verwirklicht sind. – Für die Konstruktion zwei- oder dreidimensionaler Nanostrukturen werden meist Techniken genutzt, die auf der Selbst-Assemblierung oder der gezielten Mikropositionierung von Molekülen basieren. Unter molekularer Selbstassemblierung versteht man die spontane Assoziation von Molekülen zu stabilen Aggregaten mit geordneten Strukturen, die keine kovalenten Bindungen (chemische Bindung) aufweisen. So ordnen sich Alkanthiole in Einzelschichten (Monolayern) um Goldpartikel und formen so einen organischen Film, dessen Eigenschaften durch die funktionellen Gruppen der organischen Moleküle bestimmt werden. Werden Proteine auf diesem Film immobilisiert (Immobilisierung), so können diese z.B. als Biosensoren eingesetzt werden. Eine interessante Alternative zur Funktionalisierung anorganischer Oberflächen bieten die sog. S-Schichten (surface layer), die als geordnete Struktureinheiten bei vielen Bakterien und Archaebakterien die äußere Zellmembran begrenzen. S-Schichten bestehen aus einer einzigen Proteinspezies und bilden ein zweidimensionales Netzwerk. Aufgrund der unterschiedlichen Oberflächenladung und Hydrophobizität (hydrophob) von innerer und äußerer Oberfläche neigen diese auf festen Trägern, Luft/Wasser-Grenzschichten und Lipidfilmen zur Selbstassemblierung und bilden zweidimensionale Kristallgitter. Diese Schichten können z.B. als Grundlage für die Anlagerung biologisch aktiver Moleküle oder als Vorlage für die Formierung geordneter Nanopartikel dienen. Die in der Nanotechnologie gebräuchliche Rastersondenmikroskopie ist für die Visualisierung und Manipulation von Biomolekülen noch nicht ausgereift. Abhilfe schafft hier die laserassistierte Mikropositionierung, mit der es z.B. gelang, das Enzym Glucose-Oxidase gezielt in der Oberfläche des als Träger dienenden Natrium-Dodecylsulfats (SDS) zu deponieren (Laser-Mikro-Manipulation). Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten sind aus der Kombination von Nucleinsäuretechnologie und Nanotechnologie zu erwarten. Synthetisch hergestellte, sog. Holliday-Strukturen analoge, verzweigte DNA-Moleküle mit kohäsiven Enden können zu zwei- oder dreidimensionalen Netzwerken verknüpft werden, die als Vorlage (template) die Positionierung oder Orientierung von Nanopartikeln oder anderer Nanostrukturen ermöglichen. Mit dieser Technik konnte z.B. ein Nanosilberdraht von 12 μm Länge und 100 nm Durchmesser generiert werden. Für die Nanobiotechnologie von großem Interesse ist die Integration von biologischen Motoren (F1-ATPase [mitochondrialer Kopplungsfaktor] oder Motorproteinen wie Kinesin oder Dynein) in nanomechanische Systeme, die nach Vorstellung der Nanotechnologen molekulare Fähren antreiben sollen. Bioelektronik, Bionik, Biowerkstoffe, drug targeting, Fullerene, Mikrosensoren, Sensor-Technologie.
H.Z.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.