Lexikon der Biologie: Oligochaeta
Oligochaeta [von *oligo- , griech. chaitē = Borste], Wenigborster, paraphyletische Unterklasse der Gürtelwürmer innerhalb der Ringelwürmer mit 6 Ordnungen und 8 wichtigen Familien ( vgl. Tab. 1 und vgl. Tab. 2 ). Die früheren Subtaxa Plesiopora, Prosopora und Opisthopora sind phylogenetisch überholt, können aber noch als Bezeichnungen morphologischer Gruppierungen weiterhin Verwendung finden. Von den über 7000, vor allem limnisch und terrestrisch, aber auch marin lebenden Arten erreichen die kleinsten weniger als 1 mm und die größte (Megascolides australis) 3 m Länge. Die weiß, gelb, rötlich oder bräunlich gefärbten oder transparenten, langgestreckten, im Querschnitt runden oder auch leicht kantigen Tiere, zu denen als bekannteste die Regenwürmer zählen, sind weitgehend homonom segmentiert ( vgl. Abb. ), ohne Parapodien und deren Anhänge (Kiemen, Cirren), jedoch mit wenigen (Name!), zahlenmäßig konstanten, in 4 Gruppen pro Segment angeordneten (Regenwurm z.B. 8, je 2 laterale und 2 ×2 ventrale) Haar- oder ein- oder zweispitzigen Hakenborsten versehen, die in Borstensäcken in der Körperwand liegen und durch besondere Muskeln bewegt werden. Das Prostomium ist meist sehr klein und vorn abgerundet, bei wenigen Formen (z.B. Stylaria) zu einem Tastfortsatz fadenartig ausgezogen, das Peristomium vom Prostomium deutlich getrennt (prolobisch), mit ihm verschmolzen (zygolobisch) oder in seinem vorderen Teil von einer zungenartigen dorsalen Erweiterung des Prostomiums bedeckt (epilobisch). Die Metameren (Metamerie) sind im allgemeinen durch Ringfurchen getrennt, doch tritt nicht selten eine sekundäre Ringelung (bis zu 7 Ringel pro Segment) auf. Die Anzahl der Metameren reicht von wenigen bis über 600 (Rhinodrilus) und ist auch innerhalb der Art nur in Ausnahmefällen konstant. Das Pygidium hat keine Anhänge und trägt nur bei wenigen Gattungen (Aulophorus, Dero) terminale Kiemen. – Wurmgestalt und Bewegungsweise (Fortbewegung, Abb.) der Oligochaeta werden vom mächtig ausgebildeten Hautmuskelschlauch und dem gekammerten, flüssigkeitserfüllten Coelom als Hydroskelett bestimmt (Biomechanik). Der Hautmuskelschlauch besteht aus einer Epidermis aus Stütz- und Pigmentzellen sowie Schleim (u.a. auch ein Alarmpheromon) liefernden Drüsenzellen und einer ihr unterlagerten, meist dünnen, doch in sich geschlossenen Schicht Ring- und einer dickeren, in 1 dorsalen, 2 laterale und 1 oder 2 ventrale Stränge unterteilten Längs-Muskulatur. Nach außen wird die Epidermis von einer bei Wasserbewohnern zarten, bei terrestrischen Formen dicken Cuticula begrenzt. Bei den Erdbewohnern besteht sie aus Schichten von Kollagenfibrillen. Eine Sonderbildung der Epidermis ist das Clitellum (Gürtelwürmer). Das Coelom ist wie bei den Polychaeta in hintereinandergeschaltete, durch Dissepimente und Mesenterien begrenzte Säcke aufgeteilt, von denen jeweils ein rechter und ein linker pro Metamer den Raum zwischen Hautmuskelschlauch und den Körper längs durchlaufenden Organsystemen, wie Darm-, Blutgefäß- und Nervensystem, erfüllt. Die Dissepimente enthalten, besonders bei den grabenden Erdbewohnern, Muskulatur, die dem Hautmuskelschlauch entstammt. Das Coelompaar eines jeden Metamers arbeitet als weitgehend unabhängige hydraulische Einheit. Bei terrestrischen Formen stehen die Coelomräume über mediane, durch Muskeln verschließbare Rückenporen mit der Außenwelt in Verbindung und können über sie Coelomflüssigkeit abgeben, was vermutlich dem Feuchthalten der Haut dient. Der Darmtrakt (Darm) besteht aus der ektodermalen Mundhöhle, dem entodermalen Pharynx, Oesophagus und Mitteldarm sowie dem ektodermalen Enddarm. Er beginnt mit der am ventralen Vorderrand des Peristomiums liegenden Mundöffnung und endet mit dem terminal oder dorsal im Pygidium ausmündenden After. Die Wand des Mitteldarms ist dreischichtig: auf das Darmepithel folgt eine Ring- und Längsmuskelschicht, die die Peristaltik des Darms ermöglicht; ihr liegt das innere Blatt des Coelomepithels, das Peritoneum, an, dessen ChloragogzellenAmmoniak entgiften, indem sie aus ihm Harnstoff synthetisieren und ablagern, sowie Glykogen und Fett speichern. Als Folge des Übergangs vom Wasser- zum Landleben sind bei den meisten Erdbewohnern 3 Spezialanpassungen zu beobachten: Zwischen Oesophagus und Mitteldarm ist ein Kropf und ein Muskelmagen ausgebildet. Im Kropf werden feste Nahrungsstoffe gesammelt, um vom Muskelmagen zerkleinert und in den Mitteldarm gepreßt zu werden. Ausbuchtungen des Oesophagus dienen als Kalkdrüsen (Morrensche Drüsen) dem Ionenausgleich zwischen dem nahezu neutralen Milieu im Innern des Wurmkörpers und der durch die Humusstoffe sauren Nahrung. Die für Substratfresser erforderliche große verdauende und resorbierende Oberfläche wird durch Einfaltung des Mitteldarmdaches zu einer Typhlosolis erreicht. – Das geschlossene Blutgefäßsystem entspricht dem des Bauplans der Ringelwürmer. Das Rückengefäß ist kontraktil und treibt das meist hämoglobinhaltige Blut von hinten nach vorn zum Bauchgefäß, was bei einigen Arten durch muskulös gewordene Ringgefäße im vorderen Darmbereich (Lateralherzen) unterstützt wird. Von den wenigen Kiemenatmern abgesehen, sind keine besonderen Atmungsorgane vorhanden (Hautatmung). Die Exkretion erfolgt im allgemeinen über typische Metanephridien (Nephridien). Das Nervensystem ist zwar ein Strickleiternervensystem, erscheint aber bei makroskopischer Betrachtung als mehr oder weniger einheitlicher Strang, da Ganglien und Konnektive nahezu voll ineinander übergehen ( Nervensystem I ). Freie Nervenendigungen dienen dem Tastsinn. Besonders im Bereich des Prostomiums ausgebildete Wimpergruben sind vermutlich Chemorezeptoren. Bei den linsenförmigen Einlagerungen in Gehirn oder Epidermis einiger Formen könnte es sich um Statocysten handeln. Lichtsinnesorgane kommen verhältnismäßig häufig als einfache Photorezeptorzellen auf der gesamten Körperoberfläche vor, Augen in Form von Pigmentbecherocellen sind jedoch selten. – Die Fortpflanzung erfolgt ungeschlechtlich (Naididae) durch Architomie und Paratomie sowie durch Fragmentation mit anschließender Regeneration und geschlechtlich durch Fremd- und in einem Fall (Limnodrilus) auch Selbstbefruchtung sowie durch Parthenogenese (einige Tubificidae, Enchytraeidae, Megascolecidae, Lumbricidae). In den meisten Fällen ist die geschlechtliche Fortpflanzung der zwittrigen Oligochaeta mit einer Kopulation verbunden, bei der jedoch lediglich Sperma wechselseitig in die Receptacula seminis des Partners übertragen wird, also keine Befruchtung stattfindet. Bei dieser Paarung sind die Tiere in der Geschlechts- und Clitellarregion durch einen vom Clitellum abgeschiedenen Schleimgürtel miteinander verbunden ( vgl. Abb. ). Nach der Paarung trennen sich die Tiere wieder. Eier und Sperma werden erst nach einiger Zeit in einen vom Clitellum erneut abgegebenen Sekretgürtel entlassen, der zum Kokon wird, in dem nicht nur die Besamung (Syngamie) und Befruchtung (Karyogamie), sondern auch die Embryonal- und Larvalentwicklung (Gürtelwürmer) stattfinden. Wenn, wie bei den Regenwürmern nach 3–4 Wochen, der Jungwurm den Kokon verläßt, sind mit Ausnahme des Geschlechtsapparats alle Organe ausgebildet. Geschlechtsreife erlangt er nach 1–2 Jahren, was äußerlich am Auftreten des Clitellums erkennbar ist.
D.Z.
Oligochaeta
1 Ventralansicht des vorderen Körperabschnitts des Großen Regenwurms (Lumbricus terrestris). 2 Wechselseitige Begattung beim Regenwurm:
a Die beiden Geschlechtspartner legen sich mit der Ventralseite ihres Vorderkörpers entgegengesetzt aneinander und hüllen sich in diesem Bereich durch einen vom Clitellum abgeschiedenen Schleimgürtel ein.
b Die in den Hoden der Segmente 10 und 11 produzierten und in den hier der Übersicht halber nicht gezeichneten Samenkapseln und Samenblasen derselben Segmente herangereiften Spermatozoen beider Partner werden über die jeweiligen Samentrichter und Samenleiter in einer besonderen Samenrinne auf der Bauchseite (ebenfalls weggelassen) durch peristaltische Bewegungen des Hautmuskelschlauchs zu den Receptacula in den Segmenten 9 und 10 des Partners befördert. Die Pfeile geben den Weg der Spermatozoen an.
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