Lexikon der Biologie: Orientalis
Orientalisw [latein., = morgenländisch, östlich], orientalische Region, tiergeographische Region bzw. Subregion (der Paläotropis). Die Orientalis fällt weitgehend mit dem tropischen Asien zusammen und umfaßt Vorder- und Hinterindien samt Ceylon (heute: Sri Lanka), das tropische Südchina, Formosa (Taiwan), die Philippinen, die Halbinsel Malakka und die Sundainseln bis einschließlich Bali. Der größte Teil dieser Region ist tropisch. Die Abgrenzung gegen die nördliche an die Orientalis anschließende Paläarktis wird wesentlich durch den als Ausbreitungshindernis (Ausbreitungsschranken) wirkenden Himalaya gegeben, nach Südwesten hin durch die Wüstengebiete Pakistans bis zum Indischen Ozean, ist aber vor allem nach Nordosten (China) nicht scharf. Die Ostgrenze gegenüber der Australis (australische Region, Australien) im Bereich der indonesischen Inselwelt ist "fließend", so daß man dort ein indoaustralisches Zwischengebiet, die sog. Wallacea, abtrennt (s.u.). (Zur Tier- und Pflanzenwelt der Orientalis allgemein: Asien). – Die Orientalis hat enge Beziehungen sowohl zur Paläarktis (Europa und nicht tropisches Asien) als auch zur Äthiopis (Afrika). Die Beziehungen zur Paläarktis beruhen auf der Einwanderung von Tiergruppen aus dieser Region gegen Ende des Tertiärs und im Pleistozän. So hat die Orientalis mehrere Tiergruppen mit der Paläarktis gemein, die jedoch in der Äthiopis fehlen, so z.B. Bären, Hirsche, Schafe und Gemsenartige, die freilich in der Orientalis jeweils in eigenen Arten differenziert sind. Eng war gegen Ende des Tertiär und im Pleistozän auch der Zusammenhang mit Afrika. Die fossile Wirbeltierfauna Indiens weist daher mehr Beziehungen zu der Afrikas als zur heutigen (rezenten) indischen Fauna auf. In der rezenten Fauna äußert sich dieser Zusammenhang dadurch, daß eine Reihe von Tiergruppen jeweils nahe verwandte Vertreter in der Orientalis und in der Äthiopis aufweist, welche in der Paläarktis fehlen, so z.B. Menschenaffen (Orang-Utan, Schimpanse, Gorilla), Elefanten, Nashörner, Schuppentiere, Hyänen, echte Webervögel, Nektarvögel, die in der Alten Welt die dort fehlenden Kolibris "vertreten" (Stellenäquivalenz), Nashornvögel und andere. Man faßt daher Äthiopis und Orientalis vielfach auch als Unterregionen einer beide umfassenden Paläotropis zusammen. Bedingt durch die engen Beziehungen zu benachbarten tiergeographischen Regionen, ist die Anzahl der auf die Orientalis beschränkten (endemischen) Tiergruppen (Endemiten) von höherem systematischem Rang (Familie, Unterfamilie) relativ gering ( vgl. Infobox ). – Das indoaustralische Zwischengebiet, nach A.R. Wallace Wallacea genannt, umfaßt im wesentlichen die kleinen Sundainseln, die Molukken, Celebes (heute: Sulawesi), Halmahera, Tanimbar (früher Timorlaut) und Kai ( vgl. Abb. ). Die Wallacea wird begrenzt von im allgemeinen nordsüdlich verlaufenden tiergeographischen Trennlinien: im Westen von der Wallace-Linie, im Osten von der Lydekker-Linie. Die Wallace-Linie verläuft östlich der Philippinen (nach Huxley westlich davon) und dann südwärts zwischen Borneo und Celebes und zwischen Bali und Lombok. Die Lydekker-Linie verläuft östlich von Halmahera, Seram, Kai und Tanimbar und trennt diese noch zur Wallacea gehörenden Inseln von Neuguinea und Australien, welche die australische Region bilden. Die Wallacea stellt ein Mischgebiet von australischen und orientalischen Faunenelementen dar, wobei auf den verschiedenen Inseln die Anzahl der Vertreter der Orientalis von Westen nach Osten, die der Australis von Osten nach Westen abnimmt. Eine 3. Trennlinie, die Weber-Linie, die in Nord-Süd-Richtung zwischen den Molukken und Celebes sowie zwischen Tanimbar und den Kleinen Sundainseln verläuft, stellt die Faunenscheide dar; in ihrem Bereich ist der Anteil orientalischer und australischer Tiergruppen ungefähr gleich. Die Wallace-Linie ist die Ausbreitungsgrenze von Arten der Australis nach Westen, so z.B. des zu den Beuteltieren gehörenden Tüpfel-Kuskus(Phalanger maculatus), die Lydekker-Linie die Ost-Grenze orientalischer Arten, so z.B. der zu den Agamen gehörenden Flugdrachen(Draco). Obwohl die Wallace-Linie zwischen Bali und Lombok durch eine nur ca. 30 km breite Meeresstraße verläuft, ist sie für die Verbreitung zahlreicher Tiergruppen eine scharfe Grenze. So gibt es auf Bali noch viele in der Orientalis verbreitete Vogelgruppen, wie z.B. die Trogons(Trogonidae), Breitrachen(Eurylaimidae), Bartvögel(Capitonidae) und Nashornvögel(Bucerotidae), die östlich der Wallace-Linie und bereits auf Lombok fehlen, während umgekehrt hier die ersten australischen Vogelgruppen, so z.B. die Honigfresser(Meliphagidae), sowie Papageien der Gattung Trichoglossus und Cacatua auftreten, die westlich der Wallace-Linie völlig fehlen. – Die Erklärung für die Begrenzung der Wallacea im Osten wie im Westen liefert die paläogeographische Situation: Während der pleistozänen Eiszeiten waren durch die Absenkung des Meeresspiegels (eustatische Meeresspiegelschwankung) die Inseln westlich der Wallace-Linie mit Südostasien (so auch Borneo, Sumatra und Java mit der Malaiischen Halbinsel zum sog. "Sundaland" und Ceylon mit Indien), die östlich der Lydekker-Linie mit Neuguinea und Australien landfest verbunden (Brückentheorie). Die dazwischenliegende Inselwelt der Wallacea war ein Archipel, das von beiden Seiten nur von bestimmten Tierarten (sog. "island-hoppers", Inselbrücke) besiedelt werden konnte. Wallace- und Lydekker-Linie entsprechen also jeweils den Festlandküsten zur Zeit der maximalen Vereisung. Die Weber-Linie markiert die Zone, in der die Inselwelt der Wallacea auch im Pleistozän durch die breiteste Meeresstraße getrennt war. Neben paläogeographischen sind auch ökologische Gründe für manche Verbreitungsgrenzen wichtig: So endet die Verbreitung mancher typischen Säugetiere der Orientalis bereits vor der Wallace-Linie auf Java, wo es noch Gibbons, Schuppentiere, Nashörner (Java-Nashorn = Rhinoceros sondaicus), Tiger sowie die Wildrinder Banteng(Bos javanicus) und Arni(Bubalus arnee arnee) gibt, die auf der noch zur Orientalis zählenden, aber kleinen Insel Bali bereits fehlen. Obgleich die Wallacea ein "Zwischengebiet" ist, gibt es auch nur dort vorkommende Endemiten, so z.B. den Hirscheber(Babyrousa babyrussa) auf Celebes, das noch weitere 13 endemische Säugetier-Gattungen (darunter 7 Nagetier-Gattungen) aufzuweisen hat, ferner sind mehrere Vogel-Gattungen, so die Staren-Gattung Basileornis und die Tauben-Gattung Turacoena, auf die Wallacea beschränkt. Ein äußerst beschränktes Verbreitungsgebiet hat schließlich der Komodo-Waran(Varanus komodoensis), die größte aller lebenden Echsen; auf die Inseln Komodo, Rindja, Padar und das westliche Flores beschränkt, stellt dieser erst 1912 entdeckte Riese das einzige größere Raubtier dar, das Wildschweine und Timorhirsche greift, aber auch Aas annimmt. tiergeographische Regionen (Abb.).
G.O.
Lit.:de Lattin, G.: Grundriß der Zoogeographie. Jena 1967. Mayr, E.: Wallace's line in the light of rezent zoogeographic studies. Quart. Rev. Biol. 19, 1–14, 1944. Rensch, B.: Geschichte des Sundabogens. Berlin 1936. Ripley, S.D.: Tropisches Asien. Flora und Fauna. Reinbek 1975. Thenius, E.: Grundzüge der Faunen- und Verbreitungsgeschichte der Säugetiere. Stuttgart 1980.
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