Lexikon der Biologie: Pflanzenviren
Pflanzenviren, pflanzenpathogene Viren, phytopathogene Viren, Viren, denen Pflanzen als Wirtsorganismen zur Infektion und Vermehrung dienen. Anhand der Genom-Nucleinsäure, der Genomorganisation und Replikationsstrategie sowie der Gestalt der Viruspartikel werden die Pflanzenviren in verschiedene Familien und Gattungen eingeteilt, nicht mehr wie früher in Virusgruppen ( vgl. Tab. 1 ). Nur ein kleiner Anteil der Pflanzenviren besitzt ein DNA-Genom. Bei Pflanzenviren mit doppelsträngigem DNA-Genom verläuft die Replikation über eine RNA-Zwischenstufe und reverse Transkription (Pararetroviren). Echte doppelsträngige DNA-Viren, wie bei den Bakteriophagen und Tierviren (Papillomviren, Polyomaviren, Adenoviren, Herpesviren und Pockenviren), sind bei Pflanzenviren nicht bekannt. Auch die Anzahl von Pflanzenviren mit doppelsträngigem RNA-Genom ist gering. Über 90% aller Pflanzenviren besitzen ein einzelsträngiges RNA-Genom, das aus einem oder mehreren Segmenten besteht und meist Plusstrang-(mRNA)-Polarität aufweist. Bei Pflanzenviren mit segmentiertem Genom enthalten die Viruspartikel jeweils nur ein Genomsegment – im Gegensatz zu Tierviren, bei denen alle Teile eines segmentierten Genoms gemeinsam in ein Virion verpackt werden (z.B. Influenzaviren). – Pflanzenviren sind die Erreger zahlreicher Pflanzenkrankheiten (Virosen) und können zum Teil große, wirtschaftlich bedeutsame Schäden an Kulturpflanzen verursachen ( vgl. Tab. 2 ). Durch den Virusnamen wird meist das charakteristische Krankheitsbild beschrieben. Als Symptome einer Virusinfektion können an den Pflanzen Veränderungen von Farbe und Form, Nekrosen und Fertilitätsstörungen auftreten. Farbveränderungen sind lokal begrenzte Chlorosen (Verminderung des Chlorophyllgehalts), die als Mosaike (Mosaikkrankheiten) oder Ringflecken (Ringfleckenkrankheit) sichtbar werden, Vergilbungen (Vergilbungskrankheit) von Blättern oder Blattadern sowie Rotfärbung der Blätter. Bei Zierpflanzen kann es zur Farbbrechung der Blüten kommen (berühmt ist die Flammung von Tulpenblütenblättern, die durch das zu den Potyviren gehörende Tulip breaking virus hervorgerufen wird). Formveränderungen betreffen vor allem die Blätter (z.B. Blattrollkrankheit). Häufig tritt als Symptom eine Verzwergung auf, bei der alle Pflanzenteile verkleinert sind. Einige Pflanzenviren sind mit Satelliten-Viren oder Satelliten-RNAs (Satelliten) assoziiert, deren Vermehrung in völliger Abhängigkeit von den Helfer-Viren erfolgt. Satelliten interferieren (Interferenz) normalerweise mit der Synthese ihrer Helfer-Viren und können die Ausprägung der Krankheitssymptome an den Wirtspflanzen beeinflussen. Von den Pflanzenviren und ihren möglichen Satelliten zu unterscheiden sind die Viroide, die aus "nackter" RNA ohne Capsid bestehen und ebenfalls Pflanzenkrankheiten verursachen können. – Da Pflanzenviren nicht aktiv in die von einer festen Zellwand umschlossenen Pflanzenzellen eindringen können, erfolgt die Infektion und Ausbreitung über verletztes Pflanzengewebe oder durch Vektoren. Häufigste Vektoren sind Insekten mit stechend-saugenden Mundwerkzeugen (Pflanzensaftsauger) wie Blattläuse und Zwergzikaden, aber auch Schmierläuse, Weiße Fliegen (Aleurodina), Milben, Wanzen und Blasenfüße. Einige Pflanzenviren werden durch Käfer, Fadenwürmer oder phytopathogene Pilze übertragen. Die Viren können passiv bei Insektenstichen und der Saug- oder Fraßtätigkeit aufgenommen und übertragen werden (nichtpersistente Viren, nichtzirkulative Übertragung). In anderen Fällen zirkulieren die Pflanzenviren nach der Aufnahme durch den Vektor im Insektenkörper (persistente Viren, zirkulative Übertragung), wobei eine Virusvermehrung stattfindet (zirkulativ-propagativ) oder nicht (zirkulativ-nichtpropagativ). Bei nichtpersistenten Viren erfolgen Virusaufnahme und -Abgabe bei kurzer Saugtätigkeit innerhalb von Sekunden bis Minuten. Semi-persistente Viren benötigen für ihre Übertragung längere Saugzeiten als nichtpersistente Viren. Bei persistenten Viren erfolgt die Virusaufnahme nach langer Saugtätigkeit innerhalb von Minuten bis Stunden. Nach Aufnahme und Zirkulation müssen die Viren die Speicheldrüse erreichen, um mit dem Speichelsekret übertragen werden zu können. In der dazwischen liegenden, Stunden bis Tage andauernden Latenzzeit ist der Vektor nicht zur Virusübertragung befähigt. Die Viruspartikel werden durch einen pinocytoseähnlichen (Pinocytose) Vorgang durch die Zell-Membran in die Pflanzenzelle eingeschleust. Die Virusvermehrung erfolgt bei den RNA-Viren im Cytoplasma, bei den DNA-Viren im Zellkern und führt häufig zu Virusaggregaten, die als Einschlußkörperchen in den Pflanzenzellen erkennbar sind. Die Zellwand ist nicht nur eine effiziente Barriere für das Eindringen der Viren, sondern auch für deren Ausschleusung und Verbreitung in den infizierten Pflanzen. Der Virustransport in benachbarte Zellen erfolgt deshalb durch die Plasmodesmen. Alle Pflanzenviren codieren für sog. "movement"-Proteine, welche die Plasmodesmen so verändern, daß das Virusgenom von Zelle zu Zelle weitergegeben werden kann. Dabei nutzen die "movement"-Proteine die pflanzeneigenen Transportsysteme. Einige Pflanzenviren verursachen eine systemische Infektion, bei der die gesamte Pflanze infiziert ist, während bei anderen Pflanzenviren die Infektion auf bestimmte Pflanzenteile beschränkt bleibt. Pflanzenviren können in infizierten Wirtspflanzen, in Nebenwirten oder Vektoren oft mehrere Jahre überdauern. Zum Nachweis von Pflanzenvirusinfektionen stehen verschiedene Methoden zur Verfügung: die Infektion von Indikatorpflanzen, serologische Methoden (z.B. ELISA), elektronenmikroskopische Verfahren zum Partikelnachweis sowie in zunehmendem Maße molekularbiologische Techniken wie die sehr empfindliche Polymerase-Kettenreaktion (PCR) mit vorangehender reverser Transkription (RT; RT-PCR). virale Transportproteine.
E.S.
Lit.:Matthews, R.E.F.: Fundamentals of plant virology. San Diego 1992. van Regenmortel, M.H.V., et al. (Hrsg.): Virus Taxonomy (Seventh Report of the International Committee on Taxonomy of Viruses). Academic Press 2000.
Pflanzenviren
Tab. 1: Familien, Gattungen und frühere Gruppenbezeichnungen
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DNA, ds | Caulimoviridae (Caulimoviren) Caulimovirus Badnavirus Petunia vein clearing-like viruses Soybean chlorotic mottle-like viruses Cassava vein mosaic-like viruses Rice tungro bacilliform-like viruses | Blumenkohlmosaik-Virusgruppe | |
DNA, es | Geminiviridae (Geminiviren) Mastrevirus Curtovirus Begomovirus | Gemini-Virusgruppe | |
DNA, es | Nanovirus | ||
RNA, ds | Partitiviridae (Partitiviren) Alphacryptovirus Betacryptovirus) | ||
RNA, ds | Reoviridae (Reoviren) Fijivirus Phytoreovirus Oryzavirus | ||
RNA, ds | Varicosavirus | ||
RNA, es (–) | Bunyaviridae (Bunyaviren) Tospovirus | Tomatenbronzeflecken-Virusgruppe | |
RNA, es (–) | Ophiovirus | ||
RNA, es (–) | Rhabdoviridae (Rhabdoviren) Cytorhabdovirus Nucleorhabdovirus | ||
RNA, es (–) | Tenuivirus | Reisstreifen-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Allexivirus | ||
RNA, es (+) | Benyvirus | ||
RNA, es (+) | Bromoviridae (Bromoviren) Alfamovirus Bromovirus Cucumovirus Ilarvirus Oleavirus | Luzernenmosaik-Virusgruppe Trespenmosaik-Virusgruppe Gurkenmosaik-Virusgruppe Tabakstrichel-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Capillovirus | Apfelstammfurchungs-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Carlavirus | Latente-Nelkenvirus-Gruppe | |
RNA, es (+) | Closteroviridae (Closteroviren) Closterovirus Crinivirus | Nekrotische Rübenvergilbungs-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Comoviridae (Comoviren) Comovirus Fabavirus (Fabaviren) Nepovirus | Kundebohnenmosaik-Virusgruppe Ackerbohnenwelke-Virusgruppe Tabakringflecken-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Foveavirus | ||
RNA, es (+) | Furovirus (Furoviren) | ||
RNA, es (+) | Hordeivirus | Gerstenstreifenmosaik-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Idaeovirus | ||
RNA, es (+) | Luteoviridae (Luteoviren) Luteovirus Polerovirus Enamovirus | Gerstengelbverzwergungs-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Marafivirus | ||
RNA, es (+) | Ourmiavirus | ||
RNA, es (+) | Pecluvirus | ||
RNA, es (+) | Pomovirus | ||
RNA, es (+) | Potexvirus | Kartoffel-X-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Potyviridae (Potyviren) Potyvirus Ipomovirus Macluravirus Rymovirus Tritinovirus Bymovirus | Kartoffel-Y-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Sequiviridae (Sequiviren) Sequivirus Waikavirus | Pastinakengelbflecken-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Sobemovirus | Südliches Bohnenmosaik-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Tobamovirus | Tabakmosaik-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Tobravirus | Tabakmauche-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Tombusviridae (Tombusviren) Aureusvirus Avenavirus Carmovirus Dianthovirus Machlomovirus Necrovirus Panicovirus Tombusvirus | Nelkenflecken-Virusgruppe Nelkenringflecken-Virusgruppe Tabaknekrose-Virusgruppe Tomatenzwergbusch-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Trichovirus (Trichoviren) | ||
RNA, es (+) | Tymovirus | Wasserrübengelbmosaik-Virusgruppe | |
RNA, es (+) | Umbravirus | ||
RNA, es (+) | Vitivirus | ||
RNA, es, zirkulär | Viroide |
* ds: doppelsträngig, es: einzelsträngig, (–) Minusstrangpolarität, (+) Plusstrangpolarität.
** Gattungen ohne deutsche Virusgruppen-Bezeichnung sind neu und existierten daher früher nicht als Virusgruppen. Innerhalb einer Genomsorte sind die Familien und die einzelstehenden Gattungen nach der aktuellen Nomenklatur alphabetisch sortiert.
Pflanzenviren
Tab. 2: Einige wirtschaftlich bedeutende Pflanzenviruskrankheiten
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Gelbverzwergung | Barley yellow dwarf virus (Gerstengelbverzwergungs-Virusgruppe) | Getreide | |
Gelbmosaik | Barley yellow mosaic virus (Kartoffel-Y-Virusgruppe) | Gerste | |
Gurkenmosaik | Cucumber mosaic virus (Gurkenmosaik-Virusgruppe, Bromoviren) | Gurke | |
Blattrollkrankheit | Potato leafroll virus (Gerstengelbverzwergungs-Virusgruppe) | Kartoffel | |
Strichelkrankheit | Potato virus Y (Kartoffel-Y-Virusgruppe) | Kartoffel | |
Scharka | Plum pox virus (Kartoffel-Y-Virusgruppe) | Pflaume, Pfirsich, Aprikose | |
Tabakmosaik | Tobacco mosaic virus (Tabakmosaik-Virusgruppe) | Tabak | |
Vergilbung | Beet yellows virus (Nekrotische Rübenvergilbungs-Virusgruppe) | Zuckerrübe | |
Zuckerrohrmosaik | Sugarcane mosaic virus (Kartoffel-Y-Virusgruppe) | Zuckerrohr | |
Tristeza | Citrus tristeza virus (Nekrotische Rübenvergilbungs-Virusgruppe) | Bäume | |
Swollen shoot | Cacao swollen shoot virus (Badnavirus, Blumenkohlmosaik-Virusgruppe) | Kakao | |
Bronzeflecken | Tomato spotted wilt virus (Tomatenbronzeflecken-Virusgruppe) | Tomate, Tabak, Erdnuß | |
Rizomania | Beet necrotic yellow vein virus (früher Furoviren, jetzt Benyvirus) | Zuckerrübe |
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