Lexikon der Biologie: Präkambrium
Präkambriums [von ä *prä- , mittellatein. Cambria = Wales], (C.R. van Hise 1908, „pré-Cambrien“), Vorkambrium, Kryptozoikum, Primary, Primitiv, Zeitabschnitt (Äon) der Erdgeschichte (FarbtafelI–II) von der Entstehung der ersten Gesteine der Erde bis zum Beginn des Kambriums (ca. 4,2–3,8 bis 0,57 Milliarden Jahre); folgt auf das Hadeum (Hadäikum) und umfaßt 85% der Erdgeschichte. Das Präkambrium ist gekennzeichnet durch fossilleere und fossilarme Gesteine überwiegend kristalliner Struktur. Gesichert sind mindestens 3 Glazialzeiten (Eiszeit) und mehrere Orogenesen ( ä vgl. Tab. ). Untergliederungen des Präkambriums bringen dies im Namen zum Ausdruck: Azoikum, Archäozoikum (Archaikum), Proterozoikum (Algonkium) bzw. Eozoikum. Nur Archaikum und Proterozoikum werden auch heute noch verwendet.Eine allgemeingültige Gliederung des Präkambriums gibt es zur Zeit noch nicht. Da wenig Wahrscheinlichkeit besteht, daß alle Gesteine dieses Zeitraums künftig generell biostratigraphisch zu gliedern sein werden, hatte man den neutralen Namen „Präkambrium“ eingeführt. – Angesichts der ungleich längeren Dauer des Präkambriums stellt man es als „Kryptozoikum“ (= Zeit des verborgenen Lebens) dem Rest der Erdgeschichte, dem „Phanerozoikum“ (= Zeit des erschienenen Lebens), gegenüber. Anstelle biostratigraphischer Methoden haben sich absolute Altersbestimmungen (Geochronologie) bei der Gliederung des Präkambriums als die fast einzig möglichen erwiesen. Schätzt man aus astronomischen Erwägungen das Alter des Kosmos auf 10 bis 20 Milliarden Jahre und das der Erde auf 4,7 Milliarden Jahre, so steht dem ein gemessenes Gesteinshöchstalter von 3,8 Milliarden Jahre gegenüber. Daraus folgt, daß dem chronologisch dokumentierbaren Teil des Präkambriums ein „vorgeologischer“, ein Hadeum oder „Pyrarchaikum“ genannter Abschnitt vorangegangen ist. Das Fehlen von organischer Materie in 3,7 Milliarden Jahre alten Gesteinen in Grönland (Isua-Sedimente) wird als Zeichen dafür gedeutet, daß Leben damals noch nicht existierte. Allerdings sind in 2,8 Milliarden Jahre alten Gesteinen von Mount Narrayer/Australien 4,2 Milliarden alte Zirkonsilicatkristalle entdeckt worden, die bereits 300.000–400.000 Jahre nach Entstehung der Erde festem Krustenmaterial angehörten. – Eine Modellvorstellung für den Erdzustand im Hadeum bietet die heutige Mondoberfläche mit ihrer Kraterlandschaft. Bei gleichem Alter hat der atmosphärelose Mond aufgrund seiner geringeren Masse und schnelleren Abkühlung diese Phase „fossil“ bewahrt. Die Oberfläche der größeren Erde verhinderte im Zusammenhang mit langdauernden Umschmelzungsprozessen und dem vermuteten „Meteoriten-Bombardement“ (Meteorit) zunächst das Entstehen einer festen Erdkruste. Mit sinkenden Temperaturen entstanden dann die Lithosphäre, Hydrosphäre und Atmosphäre als Differentiationsprodukte der tieferen Erdschalen. Die Uratmosphäre ( ä chemische und präbiologische Evolution ) war frei von O2 (Sauerstoff) und reduzierend (Reduktion); hohe O2-Konzentrationen vor etwa 2,1 Milliarden Jahren, angezeigt durch erste Rotsedimente vor 2,2 Milliarden Jahren. – Das Präkambrium ist weltweit verbreitet und bildet den Gesteinssockel („Grundgebirge“) der überdeckenden jüngeren Ablagerungen („Deckgebirge“). Wo es heute zutage tritt, gewährt es bei unterschiedlicher Abtragung Einblick in Krustenstockwerke, die sonst in der Tiefe verborgen sind (Grand Canyon). Dies ist besonders der Fall in den Zentralzonen der Faltengebirge und den allen Kontinenten eigenen „Festlandskernen“, die auch als „Alte Schilde“, „Tafeln“, „Plattformen“ oder „Ur-Kratone“ bezeichnet werden. In Europa liegt das Hauptverbreitungsgebiet des Präkambriums im Bereich Skandinaviens, dem sog. „Baltischen Schild“ mit der nach Südosten anschließenden „Osteuropäischen Plattform“. Beide bestehen aus kristallinen Gesteinen (Magmatite, Vulkanite, Migmatite, Metamorphite), aber auch aus verschieden alten Sedimenten. Die höchsten Gesteinsalter dieses Gebiets (bis zu 3,6 Milliarden Jahre) fanden sich auf der Halbinsel Kola. Dort liegt der älteste Kontinentalkern. Nach Süden zu schließen sich Gürtel immer jüngerer präkambrischer Gesteine an. Durch Gebirgsbildungen (Tektogenesen) wurden mehrere Faltungsgürtel an den ältesten Kern herangeschweißt. 3 solcher Tektogenesen sind mit einem Alter von 2,6, 1,9 und 0,62 Milliarden Jahren besonders markant. Diese Zeitmarken werden regional benutzt, um 3 Hauptabschnitte des Präkambriums abzugrenzen (Azoikum, Archäozoikum, Proterozoikum). – Die Umweltbedingungen des Präkambriums unterschieden sich von denen jüngerer Zeiträume vermutlich nicht grundsätzlich: Kontinente und Ozeane bestanden ebenso wie Litho-, Hydro- und Atmosphäre; das Klima war lange Zeit feucht-kühl, Vereisungsperioden sind erwiesen; eine Vegetationsdecke bestand nicht. – Ins Präkambrium fällt die Bildung ausgedehnter, wirtschaftlich bedeutsamer Lagerstätten – vor allem von Eisenerz (Bändereisenerze), Mangan (Mangan-Stromatolithen), Uran, Thorium, Kupfer, Gold und Aluminium. Bei deren Bildung (z.B. Bändereisenerze) dürften Organismen wie die Archaebakterien eine entscheidende Rolle gespielt haben (Energiegewinnung durch Ausfällung von Metallverbindungen). Das Fehlen von Gesteinen aus hadäischer Zeit und die Folgen späterer Gesteinsumwandlungen bieten wenig Aussicht, bis zu den Anfängen des Lebens vorzudringen. In der sauerstofffreien, reduzierenden Urhydrosphäre („Ursuppe“; Urozean) sollen sich nach überalterten Vorstellungen u.a. unter dem Einfluß energiereicher kosmischer Strahlung die Voraussetzungen für die Synthese organischer Verbindungen (u.a. Proteine, Nucleinsäuren) und damit zur Entstehung des Lebens eingestellt haben (Leben [Kleindruck]). Die Fähigkeit zur Photosynthese wurde frühestens vor 3,7 Milliarden Jahren erreicht. Organismen oder „Organismen-ähnliche“ Gebilde von kugeliger Gestalt gelten derzeit als älteste Fossilien (3,5 bis 3 Milliarden Jahre). Isuasphaera aus Grönland und Ramasphaera aus Südafrika mit einem Alter von 3,8 Milliarden Jahren gelten als fragliche Organismen. Die älteste gesicherte Mikroflora stammt aus der rund 3 Milliarden Jahre alten Soudan Iron-Formation von Minnesota (Eobacterium, Fig-Tree-Serie, Gunflint-Formation, Isua-Sedimente, Mikrofossilien, Onverwacht-Serie; Erdgeschichte I ). Kohligen Substanzen in Südafrika kommt ein Alter von 2,2 Milliarden Jahren zu. In allen Fällen handelt es sich um kernlose Substanzen (Prokaryoten). Erste Eukaryoten traten vor etwa 2,2 Milliarden Jahren auf; reichere Mikrofloren fanden sich in Gesteinen von 1,2 bis 0,9 Milliarden Jahren. Die jüngsten ließen sich an rezente Algen-Familien anschließen. Stromatolithen und Mikrophytolithen in carbonatreichen oberpräkambrischen Ablagerungen wurden besonders von sowjetischen Geologen zur biostratigraphischen Gliederung des „Riphäikums“ (1,55 bis 0,65 Milliarden Jahre) und des „Wendiums“ (650 bis 550 Millionen Jahre) (= Mesoproterozoikum und Neoproterozoikum) benutzt. – Tierische Fossilien unzweifelhafter Natur traten im Mesoproterozoikum auf. Hornschalige Brachiopoden(Linguella montana) reichen bis 720 Millionen Jahre zurück. Die Ediacara-Fauna des Wendiums scheint die Vermutung Schindewolfs (1956) zu bestätigen, daß der scheinbare Faunenschnitt zwischen Präkambrium und Kambrium keine Folge zerstörender metamorpher Einflüsse darstellt, sondern eine biologische Erscheinung ist, die auf dem primären Fehlen von Hartteilen beruht. – Lange Zeit herrschte die Ansicht, daß die in Nordamerika angetroffenen Verhältnisse einer Diskontinuität zwischen Präkambrium und Kambrium (die sog. „Lipalische Lücke“ oder „Lipalium“) weltweite Geltung habe. Im Mjösenbezirk Norwegens (Mjösensee, nördlich von Oslo gelegener, größter See Norwegens, 368 km2) konnte diese Lücke erstmalig durch das Eokambrium ausgefüllt werden. Für die überbrückende Fauna des Wendiums (= Vendium) werden zunehmend weitere Beispiele des kontinuierlichen Übergangs vom Präkambrium ins Kambrium bekannt (Petalonamae, Petalo-Organismen, Petalostromae). Erdgeschichte (Tab.), kambrische Explosion.
S.K./W.R.
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