Lexikon der Biologie: Pseudopenis
Pseudopenism [von *pseudo- , Penis], uneinheitlich verwendeter Begriff für penisähnliche Begattungsorgane (vor allem im Fall sekundärer Kopulationsorgane), die sich von einem anatomisch echten Penis (primäres Kopulationsorgan) unterscheiden sollen. Die Abgrenzung wird aber nicht streng vollzogen. So bezeichnen einige Autoren z.B. den Cirrus der Plattwürmer als Penis, andere als Pseudopenis (ähnliches bei Schnecken und Insekten). Eine Besonderheit stellt der Pseudopenis der Weibchen der Flecken- oder Tüpfel-Hyäne(Crocuta crocuta) dar. Anatomisch handelt es sich bei dem Pseudopenis des Weibchens der Tüpfelhyäne um eine stark vergrößerte, röhrenförmige Clitoris; er geht also aus dem gleichen Geschlechtshöcker (Genitalhöcker, Geschlechtsorgane) hervor wie der Penis der Männchen. Im Sozialleben der Tüpfelhyänen spielt der Pseudopenis in einem Begrüßungszeremoniell (Begrüßungsverhalten) der Weibchen eine Rolle. Bei diesem, bei asymmetrischem Rangverhältnis (Rangordnung) vor allem durch die niederrangigen Weibchen ausgelösten Ritual belecken und beriechen die Weibchen gegenseitig den erigierten Pseudopenis und den gesamten Anogenitalbereich. Vermutlich verhindert das niederrangige Weibchen auf diese Weise aggressive Auseinandersetzungen (Aggression), aus denen es mit größerer Wahrscheinlichkeit als Verliererin hervorgehen würde. Die proximate Ursache für die Entwicklung des Pseudopenis ist darauf zurückzuführen, daß die Ovarien weiblicher Tüpfelhyänen im Gegensatz zu anderen weiblichen Säugern maskulinisierende (Virilisierung) Sexualhormone produzieren. Weibliche Embryonen wachsen in der Placenta in einem stark maskulinisierenden Milieu auf, weil Androstendion in Testosteron umgewandelt wird. Daß männliche und maskulinisierte weibliche Jungtiere einen erhöhten Testosteron-Level aufweisen, könnte nach neuerer Forschung eine Folge der Selektion auf Aggressivität als Ergebnis des im Bau der Hyänen ausgetragenen Geschwisterkonflikts mit fakultativer Geschwistertötung (Siblizid) sein. Der Pseudopenis selber verursacht dem Weibchen hohe Kosten (Kosten-Nutzen-Analyse), da eine Geburt zum einen sehr schmerzhaft und strapaziös zu sein scheint, zum zweiten vor allem bei der ersten Geburt viele Junge sterben. Probleme entstehen, weil schon die Nabelschnur mit etwa 20 cm kürzer als der rund 30 cm lange Geburtskanal ist. Der Pseudopenis reißt bei der ersten Geburt häufig ein. Während des mühseligen Geburtsvorgangs sehe der sonst schmale Pseudopenis zeitweise wie ein „mit Wasser gefüllter Ballon“ aus, berichten Verhaltensbiologen, die eine Geburt beobachtet haben. Von Erstgeburten in Gefangenschaft wird berichtet, daß einige bis zu 48 Stunden dauerten. Dabei starben rund 3/4 der Jungen. Hyänenweibchen haben bei ihrer ersten Geburt im Alter von 3–4 Jahren ebenfalls ein erhöhtes Sterberisiko. Ein möglicher adaptiver Nutzen sei einer neueren Hypothese zufolge, daß Weibchen durch den erschwerten Zugang für den männlichen Penis eine vollständige Kontrolle bei der Paarung besitzen (Weibchenwahl). Ohne die Kooperation des Weibchens hat das Männchen keine Chance, seinen Penis einzuführen. Ob es tatsächlich adaptive Gründe gibt, die zur Evolution dieses einzigartigen Geschlechtsmerkmals der Tüpfelhyäne geführt haben, oder ob es nur ein kostenaufwendiges Beiprodukt der Androgenisierung bei Tüpfelhyänen ist, bleibt umstritten.
M.A.
Lit.:Frank, L.G. (1997): Evolution of genital masculinization: Why do females have such a large „penis“? Trends in Ecology and Evolution 12, 58–62. East, M.L., Hofer, H., Wickler, W. (1993): The erect „penis“ is a flag of submission in a female-dominated society: greetings in Serengeti spotted hyenas. Behav. Ecol, Sociobiol. 33, 355–370.
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