Lexikon der Biologie: Schlüsselreiz
Schlüsselreiz, ethologische Bezeichnung für Reize, die bei einem Tier über einen angeborenen auslösenden Mechanismus (AAM) wirken und dadurch ein Verhalten auslösen oder aufrechterhalten bzw. die Orientierung eines Verhaltens oder die Bereitschaft (Farbtafel) zu einem Verhalten verändern (Orientierungsreize, motivierende Reize). Der Begriff Schlüsselreiz leitet sich von der Vorstellung ab, ein AAM filtere alle eingehenden Reize, bis ein Reiz bzw. Reiz-Muster die genaue „Paßform“ habe. Die moderne Ethologie betrachtet das Erkennen eines Schlüsselreizes als Ergebnis einer komplexen Leistung zentralnervöser Informationsverarbeitung. Im Unterschied zu relevanten Reizen schlechthin ist der Schlüsselreiz angeborenermaßen einer Handlung (Aktion) oder Bereitschaft zugeordnet, d.h., die Zuordnung muß nicht erworben werden (EAM). Stammesgeschichtlich besonders entwickelte soziale Schlüsselreize, die eine unmißverständliche Kommunikation ermöglichen sollen, werden Auslöser (Farbtafel) genannt. An ihnen wurde das Phänomen zuerst untersucht (Attrappe, Attrappenversuch [Farbtafel]). Wie starr Organismen einem Schlüsselreiz folgen, verdeutlicht eine Anekdote aus den Attrappenversuchen N. Tinbergens (1953) mit Männchen des Dreistacheligen Stichlings, bei denen das Rot am Bauch anderer Stichlingsmännchen aggressives Verhalten (Aggressivität) auslöst. Die rote Farbe als Reiz ist so stark, daß selbst am Aquarium vorbeifahrende rote Postbusse bei Tinbergens Stichlingsmännchen Territorialverhalten auslösten. Aber auch jeder andere angeborenermaßen verhaltenswirksame Reiz muß als Schlüsselreiz gelten. Z.B. lösen einige Aminosäuren (natürliche Bestandteile tierischer Körperflüssigkeit) über einen sehr einfachen Mechanismus das Beutefangverhalten und Fressen von Süßwasserpolypen aus. – Auch beim Menschen gibt es funktionierende angeborene auslösende Mechanismen und dazugehörige Schlüsselreize ( ü vgl. Abb. ), deren Wirkung allerdings von höheren Verhaltensebenen aus kontrollierbar und eventuell veränderbar ist (Brustsuchen, Kindchenschema [Abb.], Klammerreflex, Mimik [Abb.]). Häufig wird das Wort Signalreiz synonym mit Schlüsselreiz benutzt, wenngleich damit eigentlich im Sinne aktiver Kommunikation ein an einen Adressaten gesendetes Zeichen gemeint sein sollte. Demgegenüber weist der heute bevorzugte Begriff des Kennreizes darauf hin, daß der ein bestimmtes Verhalten auslösende Reiz vom Empfänger erkannt wird – unabhängig davon, ob er aktiv gesendet wurde oder in einer Reizkonfiguration enthalten ist. Auslösemechanismus, Ethologie, Ethologie (Geschichte der), facial attractiveness, Humanethologie, Körpersprache, Lorenz (K.), Manipulation, Reizfilterung, Reizsummenregel, Ritualisierung, übernormaler Schlüsselreiz.
Schlüsselreiz
Schlüsselreize beim Menschen: Auch beim Menschen wird die Geschlechtszugehörigkeit Erwachsener wahrscheinlich anhand von Schlüsselreizen (Geschlechtsmerkmale) erkannt, z.B. anhand des Verhältnisses von Schulterbreite (Schulterbetonung) und Hüftbreite (Hüftbetonung [Abb.]), der abgerundeten Formen bei der Frau im Vergleich zu den mehr kantigen männlichen Konturen (Ursache ist eine verschiedene Verteilung des Unterhautfetts) usw. Es scheint auch akustische (Stimmlage) und geruchliche Schlüsselreize (Eigengeruch, Pheromone) zu geben. Alle können auch Schlüsselreize für die Auslösung sexueller Verhaltenstendenzen (Sexualverhalten) werden. Welche dieser Reize jedoch als besonders sexuell aufreizend (sexuelle Lust) empfunden werden, hängt von kulturellen Gegebenheiten (kulturelle Evolution) und damit von Lernvorgängen (Lernen) ab. Z.B. spielt die weibliche Brust als „Sexualsignal“ (Attraktivität) in Europa eine größere Rolle als in Schwarzafrika oder Ozeanien.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.