Lexikon der Biologie: Seescheiden
Seescheiden, Ascidien, Ascidiae, Ascidiacea, mit ca. 2000 ausschließlich marinen Arten artenreichste Klasse der Manteltiere. Adulte Tiere sind solitär(Monascidien) oder leben als Kolonie(Synascidien). Alle Arten sind sessil und mit Ausläufern des Mantels am Substrat angeheftet. Seescheiden treten in verschiedensten Erscheinungsformen auf: knorpelig gallertige Klumpen, Krusten und Polster, pilzartig, kugelig oder zylindrisch schmal. Die Epidermis scheidet nach außen den Mantel ab, der zu 60% aus einer der Cellulose ähnlichen Substanz (Tunicin) besteht. Er kann bis 4 cm dick werden und ist oft mit haarartigen Fortsätzen besetzt, die eine Maskierung mit Fremdpartikeln zur Tarnung erlauben. Im Mantel liegen mesenchymatische Zellen, die Farbstoffe enthalten können. Die Muskulatur ist nur schwach ausgeprägt (sessil!). Seescheiden sind Nahrungsfiltrierer mit hochentwickeltem Kiemendarm (s.u.), der oft Tausende von Kiemenspalten, die ein sehr feines Netz bilden (alle Partikel > 1 μm bleiben hängen), trägt. Der Nahrungserwerb erfolgt mit Hilfe eines Schleimfilters (Manteltiere). Ein- und Ausstromöffnung liegen oft auf Siphonen. Der Darm ist U-förmig, der After mündet in den Kloakalraum. Das Nervensystem ist in Form eines dorsalen Cerebralganglions und zahlreicher, davon abgehender Nerven ausgebildet; mechanorezeptorische Sinneszellen sind über den ganzen Körper verteilt. Das Gefäßsystem ist offen; die Blutbahnen verlaufen jedoch so, daß ein geschlossener Kreislauf entsteht. Das Herz ist schlauchförmig; die Blutflüssigkeit ist isoton zum Meerwasser mit zahlreichen, verschieden differenzierten Lymphocyten. Spezielle Exkretionsorgane sind nicht vorhanden. Lösliche Stoffwechselendprodukte werden über den Kiemendarm abgegeben, schwerlösliche in Zellen (Nephrocyten) gespeichert, die teilweise zu Speichergeweben zusammentreten. Seescheiden sind meist Zwitter, deren Gonaden in das Peribranchialsystem münden. Die Befruchtung findet im freien Wasser statt oder, bei brutpflegenden Arten, im Kloakal- oder Peribranchialraum. Nach einer totalen, fast äqualen Furchung schlüpft eine freischwimmende Larve mit Rumpf und kräftigem, seitlich zusammengedrücktem, von einer Chorda durchzogenem Ruderschwanz; sie ist ca. 1 mm lang. Im Gegensatz zum Adultus besitzt sie ein Neuralrohr mit Erweiterung am Vorderende, eine Statocyste und einen Pigmentbecherocellus. Die Larvalphase dauert meist nur wenige Stunden. Danach setzt die Larve sich mit dem Haftapparat an der Rumpfspitze fest. Nach komplizierter Metamorphose, in deren Verlauf der Ruderschwanz und die larvalen Sinnesorgane abgebaut werden, entsteht eine Seescheide. Neben geschlechtlicher ist auch ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Knospung (Blastogenese) möglich (Basis für die Koloniebildung). – Seescheiden leben in allen Meeren; viele sind weltweit verbreitet, meist in Küstenzonen bis 400 m Tiefe. 2 Arten kommen unter 5000 m Tiefe vor. Kleinste Art ist Molgula hydemanni mit 2 mm Durchmesser, größte Art Molgula gigantea mit 33 cm Länge. Die Kolonien sind zum Teil sehr groß; die bandförmige Kolonie von Distaplia cylindrica erreicht 43 cm. Die Einteilung in Monascidien und Synascidien spiegelt nicht die natürliche Verwandtschaft wider, da Koloniebildung mehrfach unabhängig entwickelt wurde. – Vor allem nach dem Bau des Kiemendarms werden 3 Subtaxa unterschieden. Bei den Phlebobranchiata besitzt der Kiemendarm innere Längsgefäße. Die Arten sind meist große Solitärascidien (bis 10 cm), viele kommen in Seichtwassergebieten vor. Weltweit in vielen Häfen sowie in Nord- und Ostsee und rund um den Nordpol verbreitet ist Ciona intestinalis ( vgl. Abb. 1 ), deren Genom seit 2002 komplett sequenziert vorliegt. Sie besitzt einen fast durchsichtigen Mantel mit zinnoberrot durchscheinenden Eingeweiden. Bis 15 cm groß wird die im Mittelmeer und an der mitteleuropäischen Atlantikküste verbreitete Phallusia mammilata (Warzenascidie), mit weißlichem, knorpelig hartem Mantel. Die Kolonie bildenden Aplousobranchiata besitzen einen einfachen Kiemendarm ohne innere Differenzierung ( vgl. Abb. 2/2 ), und bei den meist solitär lebenden Stolidobranchiata hat der Kiemendarm innere Längsgefäße und durchlaufende Längsfalten. Schwermetallresistenz; Chordatiere , Manteltiere .
C.G.
Seescheiden
Abb. 1:Ciona intestinalis, eine an Atlantik- und Mittelmeerküsten verbreitete, 2–5 cm große Seescheide
Seescheiden
Abb. 2:
1Halocynthia papillosa (Rote Seescheide), ein Vertreter der Monascidien. 2 Bauplan einer Seescheide (Clavelina spec., Gruppe Aplousobranchiata). Ed Enddarm, Eg Egestionsöffnung, En Endostyl, Ep Epikardblase, Ga Ganglion, Hd Hoden, He Herz, Hw Haftwurzeln, Kd Kiemendarm, Kl Kloake, Kn Knospe, Kö Kiemenöffnungen, Mg Magen, Mö Mundöffnung, Nd Neuraldrüse, Ov Ovar, Pb Peribranchialraum, Sp Stolo prolifer
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