Lexikon der Biologie: semiautonome Organelle
semiautonome Organelle [von *semi- , autonom], Bezeichnung für die Organelle der Eucyte, die als evolutionäres Erbe ihrer ursprünglich frei lebenden Vorfahren (Endosymbiontenhypothese, Evolution der Eucte) über ein eigenes Genom verfügen. Semiautonome Organelle sind demnach die Plastiden und Mitochondrien, deren Genome als Plastom (Plastiden-DNA) und Chondrom (mitochondriale DNA) bezeichnet werden. Die im Plastidenstroma und in der Mitochondrienmatrix als doppelsträngige, meist ringförmige Moleküle vorkommende DNA (Desoxyribonucleinsäuren, ringförmige DNA) enthält die genetische Information für eine Reihe von Proteinen, ribosomale RNAs und transfer-RNAs, so daß sie genetisch nicht völlig vom Zellkern abhängig und deshalb semiautonom sind. – Das Vorhandensein von DNA in Mitochondrien wurde erstmals 1963 nachgewiesen und lieferte die Erklärung für frühere Beobachtungen, die das Vorhandensein von cytoplasmatischen erblichen Faktoren (cytoplasmatische Vererbung) postuliert hatten. Aufgrund der meist matroklinen Vererbung (maternale Vererbung) der Mitochondrien wird die Mitochondrien-DNA nicht gemäß den Mendelschen Regeln vererbt. Die Mitochondrien enthalten Hunderte bis Tausende DNA-Moleküle, wobei zwischen Arten beträchtliche Unterschiede in der Größe der Mitochondrien-DNA bestehen. Gewöhnlich sind alle Moleküle gleich groß (Homoplasmie), doch läßt sich bei Pflanzen eine Größenheterogenität beobachten, die durch intramolekulare Rekombinationsereignisse (Rekombination) zwischen repetitiven Sequenzen zustande kommt. Aus einem sog. Mastermolekül entstehen 2 kleinere DNA-Moleküle, die sich jedoch wieder zu einem großen Molekül zusammenfügen können. Auch die Anzahl der codierten Gene schwankt deutlich und kann zwischen lediglich 5 Genen beim Malariaerreger (Malaria) Plasmodium falciparum und über 50 beim Lebermoos Marchantia polymorpha (Marchantiaceae) betragen. Die erste vollständige Sequenzierung der menschlichen Mitochondrien-DNA wurde 1981 durch die Arbeitsgruppe von F. Sanger veröffentlicht und zeigte, daß das 16.569 bp umfassende Genom äußerst ökonomisch mit Genen besetzt ist und 37 Gene für 2 rRNAs, 22 tRNAs und 13 Proteine enthält. Bei den Proteinen handelt es sich um 7 Untereinheiten des NADH-Dehydrogenase-Komplexes (NADH-Dehydrogenase), 3 Untereinheiten des Cytochromoxidase-Komplexes (Cytochromoxidase), 2 Untereinheiten der ATP-Synthase (mitochondrialer Kopplungsfaktor) sowie 1 Untereinheit des Ubichinon-Dehydrogenase-Komplexes. – Die semikonservative Replikation der Mitochondrien-DNA erfolgt durch eine kerncodierte DNA-Polymerase, wobei zunächst der schwerere H-Strang und später der leichtere L-Strang synthetisiert wird. Für diese asymmetrische Replikation sind 2 Replikations-origins (origin of replication) vorhanden. Die Transkription mitochondrialer Gene erfolgt von den Promotoren des H- und L-Strangs, die in einem bestimmten Bereich, dem D-Loop (displacement loop), lokalisiert sind. Die entstandenen polycistronischen Transkripte werden anschließend weiter prozessiert (Prozessierung, RNA-Editing). Interessanterweise kommt es bei der Mitochondrien-DNA zu Abweichungen vom „universellen“ genetischen Code, wobei zwischen Arten Unterschiede bestehen können. Beim mitochondrialen Genom des Menschen wird z.B. die Aminosäure Methionin nicht nur durch das Codon AUG, sondern auch durch AUA codiert, was im Zellkern für Isoleucin steht. Auch in Bezug auf Stopcodonen (Codon) bestehen Unterschiede. Die Basentripletts AGA und AGG codieren normalerweise für Arginin, in Mitochondrien führen sie zum Ende der Translation. – Eine Reihe von Mutationen in mitochondrialen Genen ruft beim Menschen Erbkrankheiten hervor (mitochondriale Erbkrankheiten). Hierzu zählen z.B. das Lebersche Syndrom, das zu einer Degeneration des Sehnervs (Opticus) führt, sowie eine Reihe von degenerativen Muskelerkrankungen (Myopathie), die aufgrund von Basenaustauschmutationen in einer Reihe von Genen entstehen.
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