Lexikon der Biologie: Sensillen
Sensillen [von latein. sensilis = empfindsam; Sing. Sensille bzw. Sensillum], Sensilla, kleine Sinnesorgane in oder auf der Cuticula der Gliederfüßer und anderer Wirbelloser, i.e.S. nur der Gliederfüßer. Hier unterscheidet man Haarsensillen (Sinneshaare) und versenkte Sensillen (Lochsensillen). Bei den Haarsensillen wirken echte Haare sowie deren Bildungszellen sinnvoll mit den perzipierenden primären Sinneszellen zusammen. Sie kommen überall am Integument, oft zu Gruppen zusammengestellt, vor. Primär unabhängig von ihren Funktionen hat man schon früh eine Terminologie entwickelt, die sich vorwiegend an der Form der cuticulären Apparate orientiert. Danach unterscheidet man Sensillum trichodeum (lange Haarsensillen, Fadenhaar-Sensillum; Riechhaare), Sensillum basiconicum (kurze Haarsensillen, Sinneskegel; Riechkegel), Sensillum coeloconicum (Grubenhaare; Grubenkegel), Sensillum styloconicum, Sensillum chaeticum (kurze, dickwandige Haarsensillen, Sinnesborste), Sensillum placodeum (Porenplatte, Sinnesplatte; Riechplatte), Sensillum ampullaceum (Sinnesflasche) und Sensillum campaniformium. Eine Sonderform der Sensillen stellen die bei Schmetterlingen auf den Flügeln vorkommenden Sensilla squamiformia (Sinnesschuppen) dar, bei denen es sich lediglich um spitz zulaufende Schuppen handelt. Heute wählt man jedoch sinnvollerweise eine Einteilung nach der Modalität der perzipierten Reize und den damit korrelierten Feinstrukturen ( vgl. Tab. ). Dies gilt auch für den cuticulären Apparat im Bereich des Außensegments der Dendriten und das Außensegment selbst, die modalitätsspezifische Differenzierungen aufweisen. – Grundsätzlich besteht ein Insekten-Haarsensillum ( vgl. Abb. ) aus einer oder mehreren Sinneszellen mit dendritischen Fortsätzen am apikalen Ende, welche modifizierte Cilien darstellen. Die proximalen Teile der Sinneszellen werden von 3 Typen von Hüllzellen umgeben, den scheidenbildenden oder thekogenen Zellen, den Haarschaftbildungs- oder trichogenen Zellen (Schaftzellen) und den Membran- oder tormogenen Zellen (Balgzellen). Die cuticuläre Scheide umgibt in der Regel den Dendriten innerhalb eines sog. Rezeptorlymphraums bis zum Eintritt ins Haar. Weitere funktionell wichtige Differenzierungen sind der Tubularkörper, Dendritenaußensegmente im Haar, Wandporen, ein terminaler Porus sowie Sockelstrukturen. Je nachdem, ob es sich um mechano-, thermo- oder hygrosensitive (Feuchterezeptor) Sensillen handelt, finden sich jeweils modalitätsspezifische Strukturen. Haarsensillen als Mechanorezeptoren (mechanische Sinne, Farbtafel I–II) haben eine Gelenkmembran in der Sockelregion. Im Innern von Dendriten befindet sich der Tubularkörper, der aus parallel verlaufenden, eng gepackten und durch eine elektronendichte Matrix verbundenen Mikrotubuli besteht. Die Reizperzeption erfolgt durch eine kompressionsbedingte Verformung des Tubularkörpers. Dieser befindet sich auch in den mechanosensitiven campaniformen Sensillen (Halteren) der Insekten und in den funktionsanalogen Spaltsinnesorganen (lyriformes Organ) der Spinnentiere. Bei Insekten und Krebstieren sind mit solchen Mechanorezeptoren meist Scolopidialorgane oder Scolopalorgane (Scolopidium) verknüpft. Zur Reizwahrnehmung genügt bereits eine Deformation von 3–100 nm, d.h. ab 0,5% des Ruhedurchmessers. Spezielle Mechanorezeptoren sind die Fadenhaare (Trichobothrien, Becherhaar; Fadenhaar-Sensillum), die Tympanalorgane, Chordotonalorgane und das Johnstonsche Organ (Gehörorgane [Abb.]). Chemorezeptoren (chemische Sinne, Farbtafel I–II) zeichnen sich in der Regel durch Poren im cuticularen Apparat aus (Riechplatte). Diese können terminal oder seitlich liegen. Ein einzelner terminaler oder subterminaler Porus kennzeichnet Kontakt-Chemorezeptoren. In der Tab. sind wesentliche Merkmale typischer Insekten-Sensillen zusammengestellt. Sensillen mit terminalem Porus sind meist Schmeckhaare, solche mit Wandporen Riechhaare. Bei letzteren kann man solche mit einfachen von solchen mit Doppelwandungen und in cuticularen Speichen verlaufenden Kanälen unterscheiden. Letzteres bedingt 2 getrennte Hohlraumsysteme. Die Kanäle gehen von dem zentralen um die Dendriten gelegenen Lymphraum aus und münden in den Furchen der meist gerieften Oberfläche nach außen. Vermutlich reicht bis hierhin das vom Rezeptorlymphraum erzeugte Sekret, das reizleitendes Material darstellt. Chemorezeptoren sind auf den Mundteilen (Mundwerkzeuge) und den Antennen weit verbreitet. Ein spezielles Organ stellt das Hallersche Organ am Tarsus von einigen Milben dar (Zecken). Thermosensitive und hygrosensitive Rezeptorzellen sind nicht an einen bestimmten morphologischen Sensillentyp gebunden. Sensilla coeloconica sind wohl meist solche Funktionstypen. Doch gibt es auch Sensillen mit Wandporen vom Typ der Sensilla basiconica oder Sensilla coeloconica, die thermo- und/oder hygrosensibel sind. Als charakteristisch kann für sie gelten: 1) Sockelregion unbeweglich, 2) Außensegmente dick und eng gepackte Mikrotubuli enthaltend, 3) lamellierte Außenglieder von einem der 3–4 Sinneszellen. Strukturell sind Thermo- und Hygrorezeptoren meist nicht leicht zu unterscheiden. Als Hygrorezeptoren gelten z.B. die Tömösvary-Organe der Tausendfüßer, der Pseudoculus der Beintastler oder die Postantennalorgane der Springschwänze (Feuchterezeptor).
H.P.
Sensillen
1 Schemata von Sensillentypen: aSensillum trichodeum (Haarsensillen), bSensillum basiconicum (Sinneskegel), cSensillum campaniformium, dSensillum placodeum (Sinnesplatte), eSensillum coeloconicum (Grubenkegel), fSensillum ampullaceum (Sinnesflasche).
2 Schema eines Insektensensillums.
cS cuticuläre Scheide, De Dendritenaußensegmente im Haar, dF dendritischer Fortsatz der Sinneszelle, Mk Membrankontakte, Mp Membranpartikel im Bereich der tormogenen Zelle, Rl Rezeptorlymphraum, sb scheidenbildende Zelle, to tormogene Zelle, tP terminaler Porus, tr trichogene Zelle, Tu Tubularkörper, Wp Wandporen
Sensillen
Strukturmerkmale typischer Insektensensillen (Sensitivität der in ihnen enthaltenen Zellen und Bezeichnung nach der üblichen Nomenklatur; nach Altner). S. = Sensillum
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ohne Poren | Sockel beweglich, 1 Zelle: Dendrit mit Tubularkörper | Haar | mechanosensitiv | S. chaeticum | |
Kuppel | mechanosensitiv | S. campaniformium | |||
Sockel starr, 3–4 Zellen: 1 Dendrit gefaltet | Haar | thermosensitiv hygrosensitiv | S. coeloconicum | ||
terminaler Porus | Sockel beweglich, bis 10 Zellen: 1 Dendrit mit Tubularkörper | Haar | gustatorisch mechanosensitiv | S. chaeticum, S. trichodeum, S. basiconicum, S. styloconicum | |
Sockel starr, bis 9 Zellen: kein Dendrit mit Tubularkörper | Haar | gustatorisch | |||
Kuppel | gustatorisch | ||||
Wandporen | Wand einfach, Porentubuli, 1 bis ca. 40 Zellen: Dendrit verzweigt oder unverzweigt | Haar | olfaktorisch | S. basiconicum, S. coeloconicum, S. trichodeum | |
Platte | olfaktorisch | S. placodeum | |||
doppelwandig (Speichen), meist 2–4 Zellen: Dendrit unverzweigt | Haar | olfaktorisch thermosensitiv hygrosensitiv | S. basiconicum, S. coeloconicum |
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