Lexikon der Biologie: Stammbaum
Stammbaum, 1) Genealogie: a) durch einen Baum dargestellte Nachkommenschaft einer Person (Deszendenztafel: alle Nachkommen; Stammtafel: alle männlichen Nachkommen, vgl. „Stammhalter“) im Gegensatz zur Ahnentafel (Vorfahren einer bestimmten Person
Aszendenz). Herdbuch, Humangenetik, Stammbaumanalyse (Abb.), Züchtung, Verwandtschaft. b) Zellgenealogie; Caenorhabditis elegans (Abb.). 2) Systematik: a) Stammbaum i.w.S.: jede Darstellung der Verwandtschaft mit Hilfe von Verbindungslinien, also einschließlich von Netzschemata. – b) Stammbaum i.e.S., Dendrogramm: Darstellung der phylogenetischen Beziehungen zwischen Arten und supraspezifischen Taxa (Klassifikation, Systematik) als Aufspaltungsschemata; im 19. Jahrhundert (z.B. bei Haeckel) in Baumgestalt mit Ästen und Zweigen, heute mehr in abstrakter Form. Der Stammbaum ist als „phylogenetisches Verwandtschaftsdiagramm“ (Ax) die „klarste und letzte Form des natürlichen Systems, das höchste Arbeitsziel der Systematik“ (Remane), „die anschaulichste Darstellung der Ergebnisse der phylogenetischen Systematik“ (Hennig). Früher wurden rezente Gruppen von anderen rezenten hergeleitet (z.B. Fische → Amphibien → Reptilien → Aufspaltung zu Vögeln und Säugetieren). Rezente Gruppen enthalten aber nicht die Stammart (z.B. ist unter den heutigen Menschenaffen [ Menschenrassen II ] nicht der Ahne des Menschen (Paläanthropologie [Abb.]) zu suchen), und deshalb werden heute die rezenten Taxa (Taxon) stets als (vorläufige) Endglieder (= terminale Taxa) angeordnet. Die Ordinate dient meist als Zeitachse ( vgl. Abb. ; 1, 2, 5: ohne Skala, 3: geologische Zeitskala), seltener als Maß für die Organisationshöhe (Abb. 4). Die Abszisse zeigt grob (und oft sehr subjektiv) die Divergenz (
Auseinanderentwicklung) an. – Ein Kladogramm ist ein Stammbaum der Kladistik (phylogenetische Systematik). Es zeigt die Aufspaltungen (Cladogenese) besonders deutlich (Archicoelomatentheorie [Abb.], Chelicerata [Abb.], Insekten [Abb.]) und kann durch Angabe der Synapomorphien auch die wesentlichen Argumente vorstellen (Abb. 1). Es wird keine Angabe über den absoluten Zeitpunkt der Aufspaltungen gemacht, jedoch über deren relative Abfolge. Da die Abszisse dimensionslos ist, können die „Stammbaumgabeln“ um die Verzweigungspunkte gedreht werden: Abb. 1 und 2 sind in ihrer kladistischen Aussage identisch! – Genau so wie Kladogramme sehen Phänogramme aus (Archaebakterien [Abb.], Purpurbakterien [Abb.]), die der numerischen Taxonomie entstammen und auf Gesamtähnlichkeit beruhen, also auch Symplesiomorphien (Plesiomorphie) berücksichtigen. Phänogramme sind daher nicht immer ein Abbild der Cladogenese. – In der Paläontologie zeigen unterschiedlich dicke Stammbaum-Linien (Abb. 3) den jeweiligen Umfang als Zahl der fossilen Taxa je Zeiteinheit an. – Die Organisationshöhe (
Anagenese) wird meist ziemlich subjektiv unter Berücksichtigung einiger weniger wesentlicher Merkmalskomplexe gezeigt (Abb. 4), seltener objektiviert z.B. durch Angabe der Zahl der verschiedenen Zellsorten. – Ein Phylogramm zeigt zusätzlich zur Cladogenese durch die unterschiedlichen Abstände der Taxa voneinander auch deren Divergenz und kann so anschaulicher sein als ein Kladogramm. Bei der Umsetzung vom Phylogramm zur evolutionären Klassifikation (Systematik) geht die Information über die Cladogenese verloren (umgekehrt fehlt bei der kladistischen Klassifikation die Divergenz völlig) (Abb. 5). – Zusätzliche Information liefert eine Darstellung als Szenario, das ökologische, funktionsmorphologische, geographische und ähnliche Faktoren mit darstellt, z.B., wenn, wie im Stammbaum der Pferde (Farbtafel), geographische Verbreitung und Nahrungspflanzen verzeichnet sind. – Zur Rekonstruktion von Phylogenien und zu deren Darstellung in Form von Stammbäumen werden neben morphologischen Merkmalen heute meist molekulare Sequenzdaten (von Nucleinsäuren, Aminosäuren) herangezogen (molekulare Systematik, Sequenzstammbaum). Unabhängig davon werden auch sog. Genstammbäume und Proteinbäume rekonstruiert, die zur Untersuchung von Genomevolution (Genom) sowie der Klärung von Gen- und Proteinfunktionen dienen (molekulare Evolution). Abstammung, Kladogramm (Abb.), phylogenetische Systematik (Abb.).
U.W./I.N.
Stammbaum
1–4 Kladogramme und ähnliche Stammbäume der Gliedertiere (Articulata):1 Kladogramm mit Angabe einiger wichtiger Synapomorphien (schwarze Kästchen; größere Kästchen symbolisieren „verläßlichere“ Synapomorphien); a viele Segmente aus Sprossungszone, b Mixocoel, Perikardialsinus, c hartes Exoskelett, d Fehlen somatischer Cilien, e Medianaugen, f Komplexaugen, g spezifische Feinstruktur (Komplexauge), h Mandibel. 2 andere Darstellungsform nach Drehung um die Aufspaltungspunkte. 3 Stammbaum mit Berücksichtigung der Fossilien. 4 Stammbaum, der auch die Anagenese zeigt. 5 Phylogramm der Hominoidea
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