Lexikon der Biologie: Stummelfüßer
Stummelfüßer, Onychophora, Stamm der Gliedertiere, als Proarthropoda zusammen mit den Euarthropoda als Arthropoda (Gliederfüßer) zusammengefaßte, sehr urtümliche Gruppe. Stummelfüßer ( üß vgl. Abb. ) sind wurmförmige Tiere mit einem nicht deutlich abgesetzten Kopf, einem Paar Fühler, an deren Basis ein Paar Blasenaugen sitzt, einem Paar krallenförmiger Mundhaken als einzige Mundwerkzeuge (monognath) und einem Paar neben dem Mundfeld gelegenen Oralpapillen, die Mündungsort mächtig entwickelter, sich über 3/4 der Rumpflänge erstreckender Wehrdrüsen sind. Auffällig sind, je nach Art, 13–43 ungegliederte Stummelbein-Paare (Stummelfüße, Oncopodien; Extremitäten), die an der Spitze paarige Krallen tragen. Diese erst 1826 entdeckten und zunächst den Nacktschnecken zugeordneten Tiere sind eine terrestrisch lebende Reliktgruppe, deren Körperbau zwischen Ringelwürmern und Gliederfüßern vermittelt, indem sie eine rezent noch lebende 1. Etappe der Arthropodisation repräsentieren. Als Arthropodenmerkmale gelten: 1) Komplex-Gehirn: Dieses besteht aus mindestens 3 Rumpfganglien, die mit dem Archicerebrum verschmolzen sind. Dieses enthält als Verschaltungszentren u.a. Zentralkörper und Protocerebralbrücke; es innerviert die Blasenaugen (Auge). Die eversen Retinulazellen gehören zu dem Rhabdomeren tragenden ciliären Typ, wie er auch bei Ringelwürmern verbreitet ist. Das mächtigere Deutocerebrum innerviert das Paar großer Antennen als mögliche Extremitäten des 1. oder 2. Segments. Ein kleines Tritocerebrum mit anhängenden Hypocerebralorganen schließt das Komplexgehirn ab. Noch nicht geklärt ist, ob die Mundhaken diesem Gehirnteil oder einem folgenden zugeordnet werden können. Die Oralpapillen sind Extremitätenhomologa des 4. oder 5. Kopfsegments. Ihre hier mündende Wehrdrüse ist vermutlich ein Abkömmling von Coxaldrüsen. 2) Cuticula aus α-Chitin. Das Integument ist ein hochentwickelter Hautmuskelschlauch. Die Epidermiszellen bilden zapfenartige Papillen, die an der Spitze eine Sinnesborste tragen können. 3) Herzschlauch mit Ostien in einem Perikardialsinus. 4) Leibeshöhle als Mixocoel (Hämocoel). 5) Nephridialorgane mit Sacculus und Podocyten in der Beinbasis in jedem Segment. Darüber hinaus haben die Stummelfüßer zahlreiche Eigenerwerbungen: Segmentierung durch sekundäre Ringelung kaum noch erkennbar. Atmung über nicht verschließbare Tracheenbüschel (Tracheensystem), die in einen durch Epidermiseinsenkung entstandenen Atemvorhof münden. Pro Segment können bis 75 solcher Öffnungen auftreten. Das Nervensystem besteht aus Marksträngen und weist pro Segment 9–10 dünne Kommissuren auf. Stummelfüßer besitzen zur Fortpflanzung hochspezialisierte, flagelliforme Spermien. Diese werden meist als Spermatophoren abgegeben. Dies geschieht entweder in Form einer inneren Besamung oder durch indirekte Übertragung. Hierzu werden Spermatophoren an beliebigen Stellen des Rückens oder der Flanken eines Weibchens abgesetzt. Im weiblichen Körper wandern dann zahlreiche Leukocyten unter solche Anheftungsstellen und brechen innerhalb von 7–10 Tagen eine Öffnung in die Cuticula. Die Spermien wandern dann bündelweise in den weiblichen Körper und schwimmen in der Hämolymphe zu den Ovarien zur Befruchtung und Ernährung der Eier. Die Entwicklung ist meist ovovivipar (Ovoviviparie) oder vivipar (Viviparie), seltener ovipar (Oviparie). – Die Stummelfüßer sind Räuber, die ihre Beute mit den Mundhaken aufschlitzen. Zur Verteidigung können sie ihr sehr klebriges Wehrsekret blitzartig bis 50 cm weit spritzen. Sie leben verborgen in morschem Holz und Laubstreu und sind auf hohe Luft-Feuchtigkeit angewiesen. Durch Pigmenteinlagerung in der Epidermis sind viele Arten ausgesprochen bunt: blaugrau oder rötlichbraun (Familie Peripatidae) oder Kombinationen aus Schwarz, Blau, Grün, Gelb, Orange, Rot und Braun. Die Stummelfüßer sind reliktär ausschließlich in den Tropen und südlichen gemäßigten Klimazonen der großen Kontinente Südamerika, Südafrika, Südasien und Australien–Neuseeland verbreitet. Der Stamm Stummelfüßer gliedert sich in 2 Familien ( üß vgl. Tab. ): Peripatopsidae mit 36 Arten in 12 Gattungen, die in Südafrika, Neuseeland, Chile und Südaustralien bis Neuguinea verbreitet sind; bei ihnen liegt die Geschlechtsöffnung zwischen oder hinter dem letzten Beinpaar; sie haben 13–29 Beinpaare. Peripatidae mit etwa 60 Arten in 2 Unterfamilien, die von Mittelamerika bis ins tropische Südamerika (Peripatinae), Westafrika (isoliertes Vorkommen im Kongo), indomalayischen Raum und Osthimalaya (Eoperipatinae) verbreitet sind. Gliederfüßer, Stammbaum (Abb.).
H.P.
Stummelfüßer
1 Bauplan von Peripatus.2Macroperipatus. Af After, An Antennen, Ba Bauchmark, Be Beine, Co Coxaldrüsen, Da Darm, Ge Gehirn, Go Geschlechtsöffnung, Ne Nephridien, Or Oralpapillen, Ov Ovar, Sd Schleimdrüsen, Tr Tracheen, Ut Uterus
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