Lexikon der Biologie: Tod
Tod, Exitus, allgemein: Zustand eines Organismus nach Erlöschen aller Lebensfunktionen (Leben); charakterisiert durch einen mehr oder weniger schnellen Zerfall des dynamischen Gleichgewichts durch die Ausschaltung jener dem lebenden Organismus innewohnenden Systemeigenschaften, welche die Aufrechterhaltung eines thermodynamischen Zustands: ΔG ≠ 0 ermöglichen (Enthalpie, Entropie). Bei Höheren Tieren: irreversible Schädigung von Atmungs- (Atmungsorgane), Kreislauf- (Blutkreislauf, Herz) oder Zentralnervensystem (Gehirn). Unter phylogenetischen Gesichtspunkten ist der Tod nach erfolgter Fortpflanzung eine unabdingbare Voraussetzung für die Abfolge von Generationen und damit für die Evolution der Metazoenformen-Mannigfaltigkeit und das Einwirken der Selektion. Die durch den Tod bedingten Generationenfolgen sind bei Metazoen (Metazoa) immer durch Alterungsprozesse bestimmt (Altern), bei Protozoen hingegen auch allein durch zuverlässig eintreffende Umwelteinflüsse (Katastrophen). Die sog. „potentielle Unsterblichkeit“ (A. Weismann) einzelner Protozoen (Amoeba, Tetrahymena [Hymenostomata], reproduktive Zellen von Flagellatenkolonien) ist allerdings ein höchst instabiler Zustand, der durch abiotische (z.B. veränderte Diät) oder biotische (z.B. Inzucht) Faktoren leicht in eine endliche Lebensspanne, die dann auch durch Alterungsprozesse charakterisiert ist, überführt werden kann. Auch ein Wechsel von asexueller Fortpflanzung zu sexueller Fortpflanzung vermag (speziell bei Wimpertierchen) den Übergang von einer scheinbar unbegrenzten Lebensdauer mit fortgesetzten Teilungen, ohne irgendwelche Alterungserscheinungen, zu typischen Alterungsprozessen und Tod herbeizuführen. – Tod des Menschen: Für medizinische Belange (z.B. Organentnahmen zu Transplantationszwecken [Transplantation]) ist es notwendig, den genauen Zeitpunkt des Eintritts des Todes (Todesmerkmale, Todeszeichen) zu kennen und zu definieren. Man unterscheidet den biologischen Tod (Zeitpunkt, in dem die Gehirnfunktion erlischt [Hirntod], meßbar über das Elektroencephalogramm; s.u.) vom klinischen Tod (Zeitpunkt, in dem Atmung und Herzschlag aussetzen). Zwischen biologischem und klinischem Tod kann, insbesondere künstlich unterstützt, eine gewisse Zeitspanne vergehen, die für Organentnahmen nutzbar ist. Später eintretende Todesmerkmale sind Toten- oder Leichenflecken (0,5–1 h nach Eintritt des Todes), hervorgerufen durch ein Abfließen des Bluts in tief gelegene Körperbereiche, und Totenstarre (Leichenstarre). – Der Hirntod ist durch die Entwicklung von Intensivmedizin und Transplantationsmedizin in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Für die Feststellung des Hirntods zum Zweck der Organentnahme ist der Ausfall aller Hirnstammreflexe einschließlich der Eigenatemtätigkeit durch 2 Ärzte festzustellen; außerdem das Fehlen von elektrischer Aktivität im Elektroencephalogramm (Nullinien-EEG, isoelektrische Linie) und das Erliegen der Hirndurchblutung (Hirnangiographie, Dopplersonographie, Hirnszintigraphie). Gleichzeitig muß eine Vergiftung, Stoffwechselentgleisung und Untertemperatur ausgeschlossen sein. Der Hirntod, auch als dissoziierter Hirntod bezeichnet, ist der Zustand des völligen Erliegens der Hirnaktivität bei gleichzeitiger künstlicher Unterstützung der Herz-Kreislauf-Funktion (ist entsprechend erst seit Einführung der künstlichen Beatmung vom Herz-Kreislauf-Tod zu unterscheiden). Das Syndrom zeigt folgende klinische Kriterien: Koma, lichtstarre Pupillen, Ausfall der Spontan-Atmung, fehlende Reaktion auf Schmerzreize (Schmerz) im Versorgungsgebiet des Trigeminus, Fehlen des Cornealreflexes, des pharyngealen Trachealreflexes und des vestibulo-okulären Reflexes. Diese Kriterien sind jedoch nicht zuverlässig bei Vergiftungen, Blockade der neuromuskulären Erregungsübertragung, bei Unterkühlung, Kreislauf-Schock, metabolischem oder endokrinem Koma und bei Behandlung mit Sedativa, z.B. Barbituraten. Bei primärer Hirnschädigung müssen diese Kriterien über mindestens 12 Stunden, bei sekundärer Schädigung über mindestens 72 Stunden erfüllt sein, damit von 2 unabhängigen Untersuchern die Diagnose des dissoziativen Hirntods gestellt werden kann. Eine Reihe von technischen Untersuchungen kann die Beobachtungszeit verkürzen: Elektroencephalogramm, transcranielle Dopplersonographie, SPECT-Untersuchung (single photon emission computed tomography), Messung des cerebralen Perfusionsdrucks bei gleichzeitiger Hirndruckmessung, Messung der frühen akustischen Hirnstammpotentiale und der somatosensibel evozierten Potentiale. Gelegentlich treten bei Hirntoten noch einzelne spontane oder durch Reize auslösbare Bewegungen auf, die jedoch auf Rückenmarksreflexen beruhen und nicht mit EEG-Aktivität korreliert sind. – Die Feststellung des Hirntods birgt zahlreiche ethische und theologische Probleme in sich.
Lit.:Stoecker, R.: Der Hirntod. Ein medizinisches Problem und seine moralphilosophische Transformation. Freiburg, 1999.
Adipocere, Apoptose, Bioethik, Leiche, Scheintod, Thanatologie, Zelle.
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