Lexikon der Biologie: Vererbung
Vererbung, 1) umgangssprachlich Bezeichnung für jede Weitergabe von Dingen, Ideen oder Informationen von einer Generation zur anderen, z.B. Erbschaft, Kulturerbe (Kultur, kulturelle Evolution, Welterbekonvention). Im biologischen Bereich (Biologie) wird der Begriff im allgemeinen auf die Weitergabe von Genen von einer Generation auf die nächste (s.u.) beschränkt. Abweichend davon und in Ergänzung dazu kann man den Begriff jedoch auch auf Formen anwenden, die nicht oder nur zum Teil genetisch sind: a) soziale Vererbung: nicht-genetische Weitergabe von Verhaltensweisen (Verhalten, Erziehung) von Generation zu Generation durch Lernen (Tradition); b) zelluläre Vererbung: nur zum Teil genetisch; neben den Genen werden bei der Fortpflanzung auch andere Zellstrukturen (z.B. Membranen, chemisches System der Zygote) weitergegeben. 2)genetische Vererbung, Weitergabe von Genen. Die g2} ist in der Nucleotidsequenz (Primärstruktur) von Desoxyribonucleinsäuren = DNA (bei einigen Viren auch Ribonucleinsäuren = RNA;RNA-Viren, RNA-Tumorviren) verschlüsselt, die bei Eukaryoten in den Chromosomen des Zellkerns(chromosomale Vererbung) und in Plastiden und Mitochondrien(plasmatische oder cytoplasmatische Vererbung), bei Bakterien und einigen Hefen zusätzlich in Plasmiden lokalisiert sein kann. Die Weitergabe von Genen erfolgt entsprechend entweder innerhalb der zellulären Vererbung (asexuelle Fortpflanzung, sexuelle Fortpflanzung, Cytokinese, vertikale Transmission) oder durch vektorielle Vererbung (Viren, Plasmide; Transduktion) bzw. durch molekulare Vererbung (Einbau von freier DNA aus der Umgebung; Transformation). In den letzten beiden Fällen kann die Weitergabe der Gene auch innerhalb einer Generation und zwischen verschiedenen Stämmen und Arten (Spezies) erfolgen (horizontaler Gentransfer). – Gene steuern das spezifische Zellgeschehen (differentielle Genexpression, Genexpression, Genregulation) und damit die Ausbildung bestimmter Merkmale. Merkmale selbst werden also im strengen biologischen Sinne nicht vererbt, sondern nur Gene (die im Zusammenwirken mit Umweltfaktoren die Ausprägung der Merkmale ermöglichen). Die besondere Gen-Ausstattung eines Individuums wird als Genotyp bezeichnet, die besondere Ausprägung der Merkmale als Phänotyp. Bestimmte Abschnitte der DNA bilden ein Gen. Ein Gen desselben Genlocus (Genort) kann durch Mutationen in seiner Nucleotidsequenz verändert werden. So entstehende verschiedene Allele (Genversionen) eines Genorts bedingen dann die unterschiedlichen Ausprägungen eines Merkmals bei verschiedenen Individuen. – Die chromosomale Vererbung erfolgt bei Eukaryoten durch geregelte Verteilung der Chromosomen auf die Tochterzellen (Mitose [Farbtafel], Meiose [Farbtafel], Konjugation). Sie folgt weitgehend den Mendelschen Regeln (Farbtafel I–II), da die Gene (Allele) der Chromosomen des Zellkerns durch die Befruchtung paarweise zusammenkommen, dagegen bei der Bildung von Gameten durch die Meiose wieder getrennt und einzeln auf die Gameten verteilt werden, so daß auch die Allele neu kombiniert werden und – wenn die Gene auf verschiedenen Chromosomen lokalisiert sind – neue, bei den Vorfahren nicht vorhandene Kombinationen auftreten können. Bei diploiden Organismen (Diploidie) liegen jeweils 2 Exemplare (Allele) eines Gens vor, die gleich (Homozygotie) oder verschieden (Heterozygotie) sein können. Bei Heterozygotie wird die Ausprägung des entsprechenden Merkmals entweder von beiden Allelen (intermediäre Merkmalsausprägung; intermediärer Erbgang) oder von nur einem Allel (dominant/rezessive Merkmalsausprägung; Dominanz) bestimmt. – Mit den Mechanismen der Vererbung beschäftigt sich die Vererbungslehre oder Genetik, wobei in den letzten Jahrzehnten im Rahmen der biochemischen Genetik vor allem die molekularen Grundlagen (molekulare Genetik, Gentechnologie) erforscht werden. Bedeutende Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Vererbung leisteten u.a.:
W. Bateson, T. Boveri, C.B. Bridges, E.D. Cope, C.E. Correns, C.R. Darwin, W. Flemming, R.B. Goldschmidt, W. Haake, O.W.A. Hertwig, A. Kornberg, J.-B.A.P. de Lamarck, G. Mendel, T.H. Morgan, H. Nachtsheim, C.W. von Naegeli, E. Tschermak, H. de Vries, A.F.L. Weismann.
Weitere Verweise zum thematischen Umfeld der Vererbung:
Anlage-Umwelt-Diskussion, Biochemie (Geschichte der), Chromosomentheorie der Vererbung, Entwicklungsbiologie (Geschichte der), Erbkrankheiten (Tab.), Genomik, Genotyp-Umwelt-Interaktion, Genotyp-Umwelt-Korrelation, Geschlechtschromosomen-gebundene Vererbung (Abb.), Humangenetik, Kernvererbung, maternale Vererbung, Mischvererbung, mitochondriale Erbkrankheiten, partikuläre Vererbung, paternale Vererbung, Plastidenvererbung, Populationsgenetik, uniparentale Vererbung, Variabilität, Variation, Zwillingsforschung.
D.W./U.K.
Lit.:Genetik, Humangenetik, molekulare Genetik.
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