Lexikon der Biologie: Vibrio
Vibriom [von *vibr- ], Gattung der Vibrionaceae (Ordnung Vibrionales, γ-Unterklasse der Proteobacteria), gramnegative, fakultativ anaerobe, sporenlose, gerade oder leicht gekrümmte, stäbchenförmige Bakterien (0,5–0,8 × 1,4–2,8 μm), in der Regel beweglich durch eine oder mehrere polare Bakteriengeißeln; auf festen Medien können zum Teil auch laterale Geißeln auftreten. Im Atmungsstoffwechsel (mit O2) oder im Gärungsstoffwechsel werden organische Substrate verwertet. Meist ist nur eine mineralische Nährlösung mit D-Glucose und Ammoniumchlorid zum Wachstum notwendig. Bei der Vergärung von Glucose entstehen Säuren, in der Regel kein Gas. Die Vermehrung kann zwischen 5 °C und 40 °C (pH 6,0–9,0) erfolgen; Kochsalz (1–3%) fördert das Wachstum und ist für die meisten Arten unbedingt notwendig. Von halophilen Vibrionen wird auch 10% Kochsalz (Natriumchlorid) ertragen. Vibrionen kommen weit verbreitet im Wasser mit unterschiedlichem Salzgehalt vor; besonders häufig in marinen Habitaten und auf der Oberfläche und im Intestinaltrakt von Meerestieren (Leuchtbakterien). – Wichtigster Krankheitserreger des Menschen ist der Erreger der Cholera, Vibrio cholerae. Sein Genom (2 DNA-Ringe) war im Jahre 2000 vollständig sequenziert (4 Millionen Basenpaare, ca. 3900 Gene). Die Cholera-Erreger sind nicht einheitlich: aufgrund ihrer O-Antigene lassen sie sich in mehr als 70 Serovarietäten unterteilen. Alle Erreger der klassischen Cholera besitzen das Gruppenantigen O1 (= Vibrio cholerae O1). Nach physiologischen Unterschieden wird Vibrio cholerae in 2 Biovarietäten (Biotypen, Biovars) unterteilt: Vibrio cholerae biovar. cholerae (= Vibrio cholerae O1 = Cholera asiatica; Vibrio comma, Kommabacillus [Koch, 1883]) und Vibrio cholerae biovar. eltor (= Vibrio cholerae O1 biovar. eltor = Vibrio El-Tor = El-Tor-Vibrio), der zuerst in El-Tor, einem Quarantänelager für Mekkapilger am Roten Meer, gefunden wurde. Vibrio cholerae läßt sich weiterhin serologisch in die 3 Varietäten Ogawa, Inaba und Hikojima unterteilen. In der Medizin werden alle Vertreter von Vibrio cholerae, die sich nicht mit Antikörpern gegen das charakteristische O-1-Gruppenantigen der „typischen“ Cholera-Erreger agglutinieren lassen, als NAG-Vibrionen (= not-agglutinable genus) oder NC-Vibrionen (= non-cholera) bezeichnet. Diese Formen können gelegentlich auch choleraartige Durchfallerkrankungen hervorrufen. Früher wurde angenommen, daß einziges natürliches Reservoir der typischen Cholera-Erreger der Mensch sei. Ökologische Untersuchungen zeigten aber, daß sie auch auf mikroskopisch kleinen Flohkrebsen leben können. Größere medizinische Bedeutung hat auch das halophile Bakterium Vibrio parahaemolyticus (hämolysierende Bakterien), Erreger schwerster Brechdurchfallerkrankungen, besonders in Japan; die Übertragung auf den Menschen erfolgt mit rohen oder kontaminierten Fischen oder Meeresfrüchten (Nahrungsmittelvergiftung). Ein weiterer gefährlicher Krankheitserreger ist der normalerweise im Meerwasser vorkommende, sehr aggressive Vibrio vulnificus. In seltenen Fällen konnte er auch in Deutschland nachgewiesen werden. Die Infektion erfolgt über Wunden, wo meist lokale Eiterungen hervorgerufen werden; es kann sogar zu Blutvergiftung kommen. Oral aufgenommen, treten gelegentlich Enteritiden (Entzündungen des Dünndarms; Enteritis) auf. Besonders bei alten oder immungeschwächten Menschen kann auch eine systemische Ausbreitung stattfinden. – Der Name Vibrionen („Zittertierchen“) wurde von O.F. Müller (1773) geprägt, der im Oberflächenwasser diese lebhaft beweglichen Organismen (= „Animalcula“; animalcules) beobachtete. Abwasser, Bakterien (Abb.), Bakteriocine, Campylobacter, Cohn (F.J.), Ganglioside, Infektionskrankeiten, Koch (H.H.R.), Neuraminidase, Quorum sensing.
G.S.
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