Lexikon der Biologie: Weibchenwahl
Weibchenwahl, female choice, ein Aspekt der sexuellen Selektion (Selektion), der sich bis Mitte des 20. Jahrhunderts hauptsächlich auf die Erkennung eines arteigenen Geschlechtspartners durch das Weibchen bezog. Heute besagt er, daß Weibchen ein Verhalten zeigen oder eine Struktur besitzen, aufgrund derer sie sich mit größerer Wahrscheinlichkeit mit manchen Männchen ihrer Art paaren als mit anderen. Voraussetzungen für die Weibchenwahl sind 1), daß konkurrierende Männchen (Konkurrenz) vorhanden sind, aus denen ausgewählt werden kann, 2), daß die Männchen eine Variabilität ihrer Merkmale aufweisen, und 3), daß eine schlechte Partnerwahl eine verschieden große Reduktion der Fitness (Adaptationswert) für Weibchen und Männchen nach sich zieht. Weibchen verlieren bei einer schlechten Wahl mehr, u.a., weil Eier (Ei, Eizelle) größer als Spermien sind, weil Weibchen meist mehr Energie in die Brutpflege investieren (elterlicher Aufwand, Elterninvestment) und nur eine begrenzte Zahl von Nachkommen (Nachkommenschaft) pro Fortpflanzungssaison haben können. Dies ist im Prinzip auch für Pflanzen gültig, jedoch weit weniger erforscht. Die Wahlkriterien der Weibchen können sich auf die Güte der vom Männchen angebotenen Ressource beziehen, d.h. auf die Güte des Brutplatzes, des Nahrungsterritoriums, der während der Balz angebotenen Nahrung (Balzfüttern) oder der signalisierten Mithilfe bei der Brutpflege. Bei Arten, bei denen keine Ressourcen angeboten werden, sind dennoch auffällige, geschlechtsgebundene Merkmale entwickelt worden. Verschiedene, zum Teil widersprüchliche Hypothesen versuchen dies zu erklären. 1) Die „sexy-son-Hypothese“ von R.A. Fisher besagt, daß die Söhne von Weibchen, die eine bestimmte Merkmalsausprägung an Männchen zufällig bevorzugen, ihrerseits attraktiv (Attraktivität) sind und einen relativ hohen Paarungserfolg haben. 2) Fishers Prozeß: Die Merkmalsausprägung hat zunächst einen Selektionsvorteil, dann entwickelt sich ein sog. Weglaufeffekt ohne Selektionsvorteil des Merkmals. Es wird vorausgesetzt, daß das Wahlverhalten der Weibchen mit der Attraktivität der Männchen genetisch gekoppelt ist. Ein bedeutendes Problem der Hypothese besteht darin, daß die Variabilität der Merkmalsausprägung abnehmen müßte, was jedoch nicht beobachtet werden kann. 3) Die „Gute-Gene-Hypothese“ (good genes hypothesis) von R.L. Trivers geht davon aus, daß die Merkmale die genetische Ausstattung eines Männchens signalisieren. Das hauptsächliche Kriterium für die genetische Güte der Männchen ist deren Vitalität. Ein prächtiges Gefieder zeigt an, daß das Männchen aufgrund seiner guten Gene genug Nahrung gefunden hat. 4) Die „Handicap-Hypothese“ von A. Zahavi geht davon aus, daß Weibchen jene Männchen wählen, die ein Handicap, d.h. eine kostspielige Aufwendung, haben, da sie damit signalisieren, daß sie trotz dieses Merkmals überleben. Wird eine genetische Fixierung angenommen, ergibt sich das gleiche Problem wie bei den Hypothesen 1 und 2. Die erweiterte „condition dependent Handicap-Hypothese“ betrachtet ein Handicap als nicht fixiertes Signal des Zustands des Männchens. Eine andere Erweiterung ist die „revealing Handicap-Hypothese“, die berücksichtigt, daß prinzipiell die Gefahr besteht, daß trotz schlechter Eigenschaften in die Ausbildung der bevorzugten Merkmale investiert wird. Wenn Weibchen Männchen wählen, die „betrügen“, besteht die Gefahr, daß ihre Söhne zwar die Handicaps haben, nicht aber die guten Eigenschaften. Die Merkmale sollten deshalb kostspielig sein und nur von vitalen Männchen ausgebildet werden können. Der Aspekt des „ehrlichen Signalisierens“ (honest signalling) wurde von der „Parasiten-Hypothese“ übernommen. 5) Die Parasiten-Hypothese von D. Hamilton und M. Zuk besagt, daß die Vitalität der Männchen hohe Widerstandskraft gegenüber Parasiten (Infektionskrankheiten) anzeigt. Diese Hypothese kann als einzige erklären, warum die Variation in der Ausprägung des Merkmals erhalten bleibt, denn für Anpassungen an Parasiten gibt es keine optimale genetische Lösung. – Daß Weibchenwahl nicht nur vor einer Paarung oder Kopulation stattfindet, sondern auch noch während und danach, beschreibt die versteckte Weibchenwahl. Der Weibchenwahl bei Pflanzen wird neuerdings mehr Beachtung geschenkt. Begattungsorgane,fluktuierende Asymmetrie, Fortpflanzungssysteme, Geschlechtsrolle, Lek-Paarung, Männchen-Konkurrenz, Partnerwahl, Strategie.
G.U.
Lit.:Fisher, R.A. (1930): The genetical theory of natural selection. Clarendon Press, Oxford. Trivers, R.L. (1972): Parental investment and sexual selection. In: Sexual Selection and the decent of man. (ed.) Campbell, B.. Aldine Atherton, Chicago. Zahavi, A. (1975): Mate selection – a selection for a handicap. J.Theor.Biol.53: 205–214. Zahavi, A. (1977): The cost of honesty (further remarks on the handicap principle). J.Theor.Biol.67: 603–605. Hamilton, W.D. & Zuk, M. (1982): Heritable true fitness and bright birds: a role for parasites. Science 218: 384–387.
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