Lexikon der Biologie: Wolfsmilchgewächse
Wolfsmilchgewächse, Euphorbiaceae, vorwiegend in den Tropen und Subtropen heimische, außerordentlich formenreiche Familie der Wolfsmilchartigen mit etwa 320 Gattungen und knapp 8000 Arten ( ä vgl. Tab. ). Einjährige Kräuter, Stauden, Sträucher oder Bäume mit meist einfachen, seltener handförmig gelappten oder fiederig geteilten Blättern, Nebenblättern (häufig) und radiären, eingeschlechtigen Blüten, die ein- oder zweihäusig verteilt und recht unterschiedlich gebaut und angeordnet sein können. Meist besteht die Blüte aus einer 5zähligen Blütenhülle, 1 bis vielen Staubblättern bzw. einem aus 3 verwachsenen Fruchtblättern bestehenden, 3fächerigen, oberständigen Fruchtknoten, dessen Samenanlagen auf ungewöhnliche Weise befruchtet werden (Aporogamie). Innerhalb der Familie läßt sich eine Tendenz zur Blüten-Reduktion beobachten, die mit der Ausbildung komplizierter, einzelblütenähnlicher Pseudanthien einhergeht. Ein Beispiel hierfür ist das Cyathium der Wolfsmilch. Es wird als Rückentwicklung von sekundärer Windblütigkeit (Anemogamie) zur Tierbestäubung (Zoogamie) angesehen (Dollosche Regel). Typisch für die Wolfsmilchgewächse sind Nektarien, die sich meist in Blütennähe, teils aber auch an vegetativen Organen befinden. Die Frucht ist eine Steinfrucht (eher selten) oder eine Spaltfrucht, die in reifem Zustand in 3 sich von einem Mittelsäulchen lösende Teilfrüchte (daher der alte Familienname Tricoccae) zerfällt. Bei tropischen Sippen können die Früchte auch mit einer fleischigen, eßbaren Fruchtwand ausgestattet sein. Die Samen enthalten in der Regel reichlich ölhaltiges Endosperm. Die bei verschiedenen Gattungen gebildeten, familientypischen Anhängsel (Caruncula) sind Wucherungen des äußeren Integuments und haben sich oft zu ölhaltigen Elaiosomen entwickelt, die der Ausbreitung dienen. Auch sind die äußeren Schichten der Samenschale häufig fleischig ausgebildet. Wolfsmilchgewächse zeichnen sich durch eine große Vielfalt sekundärer Pflanzenstoffe aus. So können Alkaloide, cyanogene Glykoside, Gerbstoffe, Polyphenole, etherische Öle, Saponine und Senfölglykoside auftreten. Hauptverantwortlich für die Giftigkeit vieler Wolfsmilchgewächse (Giftpflanzen) sind jedoch Lectine und die Ester bestimmter Diterpen-Alkohole (Diterpene). Zu den für den Menschen teils hochgradig giftigen Lectinen (Toxalbuminen) gehören z.B. das Ricin von Rizinus, das Curcin der Purgiernuß (Jatropha curcas) oder das Crotin des Tiglibaums (Croton tiglium; Croton). Die hohe Toxizität des Crotonöls beruht jedoch auf verschiedenen Fettsäureestern des tetracyclischen Diterpenalkohols Phorbol (Phorbolester) sowie Estern strukturell ähnlicher Substanzen. Derartige toxische Diterpenester sind auch im Milchsaft und in Samenölen anderer Wolfsmilchgewächse enthalten. Sie rufen entzündliche Hautreaktionen hervor, können in den Augen zu Horn- und Bindehautentzündungen mit zeitweiliger Blindheit führen und verursachen im Magen-Darm-Trakt ebenfalls schwere Vergiftungserscheinungen. Der für die in der gemäßigten Zone verbreiteten Wolfsmilchgewäche so typische Milchsaft (Name!) kommt bei Mitgliedern der Unterfamilien Crotonoideae und Euphorbioideae vor, fehlt aber in anderen Unterfamilien völlig. Er variiert in Farbe und chemischer Zusammensetzung und kann sowohl in Milchröhren (Crotonoideae;Hevea) als auch in teils außergewöhnlich großen, einzelnen Milchsaftzellen (Euphorbioideae;Wolfsmilch) vorkommen. Zu seinen Inhaltsstoffen gehören neben Proteinen, Stärke, Zuckern, Sterinen und Aminosäuren vor allem zahlreiche sekundäre Pflanzenstoffe wie Kautschuk, Harze oder bereits oben genannte Stoffgruppen. Viele Wolfsmilchgewächse haben sich in ihrer Erscheinungsform optimal an ihren Lebensraum angepaßt. Ein Beispiel hierfür sind die in Trockengebieten anzutreffenden Rutensträucher oder kakteenähnlichen Sukkulenten. Einige Vertreter der Familie sind von großer wirtschaftlicher Bedeutung. Hierzu gehört vor allem der Parakautschukbaum (Hevea brasiliensis), der Hauptlieferant von natürlichem Kautschuk. Eine weitere, weniger bedeutende Kautschukquelle ist Manihot glaziovii (liefert Ceara-Kautschuk). Die verwandte Art Manihot esculenta (Maniok) gilt in Afrika als wichtigster Stärkelieferant. Bedeutende Ölproduzenten sind Rizinus (Rizinusöl), Aleurites (Holzöl oder Tungöl) und Croton (Crotonöl). Viele Wolfsmilchgewächse sind auch als Zierpflanzen in Kultur; so z.B. der Weihnachtsstern und weitere Arten der Wolfsmilch oder Arten der Gattung Acalypha (430 Arten; gesamte Tropen). Die häufig in der Bodenschicht von Wäldern wachsenden, immergrünen, diözischen (Halb-)Sträucher besitzen nesselähnliche Blätter und kleine, bei manchen Arten durch bis zu 2 cm lange Narben an Windbestäubung angepaßte karpellate Blüten in dichten, oft lang herabhängenden Blütenständen. Der Katzenschwanz (Acalypha hispida; Neuguinea) mit bis 50 cm langen, leuchtend roten Blütenähren und großen, breit-eiförmigen Blättern wird im Garten, in kühleren Regionen aber auch als Kübel- oder Zimmerpflanze gezogen. Er ist ebenso wie das Brennkraut (Acalypha indica; Indien) giftig, da seine Blätter neben einer schleimhautreizenden Substanz u.a. auch ein Alkaloid und ein cyanogenes Glykosid enthalten. Die mehrere Meter hohen Acalypha-Wilkesiana-Hybriden (Schillerndes Nesselblatt) fallen auf durch ihre cremefarbig, gelb, rot oder karminrot gefleckten Blätter und sind heute in den Tropen und Subtropen als Gartenpflanzen allgemein verbreitet. Zur Gattung Chrozophora gehören dicht behaarte, vorzugsweise in den Wüstengebieten Nordafrikas und Nordwestindiens heimische Kräuter; die als Unkraut im Mittelmeergebiet verbreitete Art Chrozophora tinctoria gilt seit der Antike als Heilpflanze und wurde wegen ihres blauen bzw. roten Farbstoffs (zum Färben von Lebensmitteln und Wein) früher sogar kultiviert. Durch ein oft distelartiges Aussehen, Brennhaare (wie bei der heimischen Brennessel) und ansehnliche Blüten zeichnen sich die Stauden, Sträucher oder kleinen Bäume der Gattung Cnidoscolus (75 Arten; Tropen und Subtropen Amerikas) aus; die Art Cnidoscolus aconitifolius wird daher in Mittelamerika als lebende Hecke gepflanzt; ihre Blätter eignen sich als Gemüse. Die aufrecht wachsenden oder kletternden Sträucher der tropischen Gattung Dalechampia (60 Arten; insbesondere in Brasilien) besitzen reduzierte Blüten, die köpfchenförmige, von gefärbten Hochblättern umgebene Blütenstände bilden. Dalechampia roezliana (Mexiko) mit großen, rosafarbenen Hochblättern wird als Ziergehölz kultiviert; viele andere Arten, darunter Dalechampia scandens, sind Heilpflanzen. Zur Gattung Endospermum (Südchina bis Fidschiinseln) gehört die Art Endospermum moluccanum, eine alte Heilpflanze, die in hohlen Zweigen Ameisen Niststätten und, durch Drüsenabscheidungen der Blätter, Futter bietet. Sie ist das am längsten bekannte Beispiel für Myrmekophilie – ein Phänomen, das auch bei Arten der Gattung Macaranga (Süd- und Südostasien) zu beobachten ist. Hier stellte man fest, daß von Ameisen bewohnte Bäume weniger von Schädlingen befallen werden als ameisenfreie Bäume. Bei der Gattung Hura (2 Arten; tropisches Amerika) ist die Zahl der Fruchtblätter von 3 auf 5–20 erhöht. Der Sandbüchsenbaum (Hura crepitans) wird seiner großen, herzförmigen Blätter wegen als Ziergehölz gepflanzt. Reife Früchte öffnen sich explosionsartig und können dabei die Samen bis zu 45 m weit weg schleudern; die unreifen, bis 8 cm breiten Fruchtkapseln dienten früher als Streusandbehälter. Die Kräuter, Sträucher oder Bäume der Gattung Jatropha (170 Arten; Tropen und Subtropen, vor allem in Südamerika) besitzen einfache bis handförmig gelappte Blätter, vielgestaltige Nebenblätter (blattartig, zerschlitzt, haarförmig, zu Dornen oder Drüsen umgebildet) sowie in Trugdolden angeordnete Blüten mit gut entwickelten Kelch- und Kronblättern. Manche Arten haben verdickte Rhizome als Speicherorgane ausgebildet. Einige Arten werden als Zierpflanzen kultiviert. Hierzu gehört der Rhabarber von Guatemala (Jatropha podagrica; Guatemala), ein bis 1,5 m hoher, milchsaftführender, sukkulenter Strauch mit knollig verdicktem, wenig verzweigtem Stamm, großen, schildförmigen, 3–5lappigen Blättern und orangeroten Blüten. Zu den als Heilpflanzen genutzten Arten zählt vor allem die Purgiernuß (Jatropha curcas), ein bis 3 m hoher Strauch mit efeuartigen Blättern, kleinen grünlichen Blüten und kugeligen Früchten mit bohnengroßen Samen („Brechnüsse“). Letztere enthalten das sehr giftige Toxalbumin Curcin sowie fettes, abführend wirkendes Öl, das auch zu technischen Zwecken und als Brennmaterial genutzt wird; der Milchsaft der Pflanze wirkt hautschädigend. In Monsungebieten von Süd- und Südostasien gedeiht die Gattung Mallotus (ca. 140 Arten), deren Sträucher und Bäume durch sehr große, schildförmige Blätter auffallen. Einige Arten sind alte Färbe- und Heilpflanzen. Hierzu gehört auch Kamala (Mallotus philippinensis), ein kleiner Baum, dessen Blüten und Früchte filzig behaart und mit roten Drüsen besetzt sind. Die Drüsenhaare der Früchte enthalten u.a. abführende Harze sowie den giftigen, rot-gelben Farbstoff Rottlerin (Mallotoxin); sie wurden früher als Wurmmittel genutzt; das Rottlerin dient noch als Textilfarbstoff. Der scharfe, äußerst giftige Milchsaft des Manzanillo-Baums (Hippomane mancinella, Karibik) verursacht auf Haut und Schleimhäuten schwere Schäden; innerlich kann er sogar zu tödlichen Vergiftungen führen (Anwendung als Pfeilgift). Die Samen des Baums werden von Fledermäusen ausgebreitet, die sich von den großen, fleischigen Früchten ernähren. Oldfieldia africana ist ein Urwaldriese des westafrikanischen Regenwalds; er liefert das wertvolle Afrikanische Teakholz, das im Schiffsbau verwendet wird. Ein leichtes, poröses Holz stammt dagegen von Rhizodendron heudelotii, einem Baum, der in Westafrika auch wegen seiner ölreichen Samen angepflanzt wird. Zur Gattung Pedilanthus (14 Arten; Süden Nordamerikas bis in die amerikanischen Tropen) gehören bis 3 m hohe, sukkulente Sträucher mit zickzackförmigen Trieben. Ihre kleinen Blüten bilden zygomorphe Cyathien mit oft leuchtend gefärbten Hüllblättern und spornartigen Nektarien, die von Vögeln besucht werden. Bei der als Topfpflanze beliebten Schuhblüte (Pedilanthus tithymaloides; Karibik) sind die kleinen, roten Blüten von roten, schuhförmigen Hüllblättern umgeben. Die Gattung Phyllanthus (650 Arten; Tropen und Subtropen) umfaßt einjährige Kräuter, Stauden, Sträucher oder Bäume, die mannigfaltige Wuchsformen entwickelt haben. So ähnelt Phyllanthus fluitans (Südamerika), die einzige echte Wasserpflanze der Familie, stark der Gattung Salvinia (Schwimmfarngewächse), während Phyllanthus speciosus (Amerika) seine zu Schuppen reduzierten Blätter durch lanzettlich-ovale, blattachselständige Phyllokladien ersetzt hat. Der Stachelbeerbaum (Phyllanthus acidus; Südasien) und der Amblabaum, Amlabaum oder Mirobalanenbaum (Myrobalanenbaum, Phyllanthus emblica; Südasien, Südostasien) bilden hellgelbe, gerippte, bis 2,5 cm große, eßbare Früchte, wegen derer sie als Obstgehölze kultiviert werden. Die sog. Myrobalanen besitzen eine fleischige Fruchtwand, schmecken erfrischen süß-säuerlich und haben einen hohen Vitamin-C-Gehalt (durchschnittlich 1150 mg/100 g Frischgewicht). Sie werden getrocknet (aufgrund des hohen Gerbstoffgehalts geringer Vitaminverlust) oder zu Marmelade („Madal Prash“), Gelee und Sirup verarbeitet. Zur Gattung Sapium (100 Arten; Tropen und Subtropen) zählen Sträucher und Bäume mit giftigem Milchsaft, aus dem man früher Kautschuk gewann bzw. Vogel- und Fliegenleim oder Pfeil- und Fischgift herstellte. Die fleischige, sehr fettreiche äußere Samenschale von Sapium sebiferum (Ostasien) wird zur Herstellung von Kerzen, Seifen und Brennöl verwendet. Aus der Gattung Codiaeum (6 Arten; Malaiische Halbinsel, Pazifische Inseln; ä vgl. Abb. ) ist vor allem Codiaeum variegatum var. pictum bekannt. Der in zahllosen Sorten als Zierpflanze kultivierte immergrüne Wunderstrauch (im Handel auch Kroton genannt wegen des Synonyms Croton pictum) besitzt glänzende, ledrige Blätter, die in Form und Farbe stark variieren, und ist in kühleren Regionen eine beliebte Zimmerpflanze. Sein farbloser Saft soll Phorbolester enthalten und kann auf der Haut Kontaktekzeme hervorrufen. Hupfbohne, Nutzpflanzen.
N.D.
Wolfsmilchgewächse
Codiaeum spec.
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