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Lexikon der Chemie: Abwasser

Abwasser, zusammenfassende Bezeichnung für Wässer, die nach der Nutzung abgeleitet und gegenüber der natürlichen Beschaffenheit nachteilig chemisch, physikalisch und/oder biologisch verändert wurden. Nach Herkunft und Zusammensetzung unterscheidet man: häusliches A., das ist A. aus Haushalten, öffentlichen Gebäuden, Schulen, Ferien- und Freizeitanlagen u. ä., das im wesentlichen aus Fäkalabwässern, Wasch- und Badewasser sowie Küchenabwässern besteht; kommunales A. (städtisches A.), zusammengesetzt aus häuslichem A., gewerblichen Abwässern, Anteilen von Industrieabwässern, verschmutzten Niederschlagswässern; Industrieabwasser bzw. Prozeßabwasser. Auch Kühl-, Spül- und Reinigungswässer aus Industrie- und Landwirtschaftsbetrieben sowie z. B. Regenwässer aus Siedlungen müssen als A. angesehen werden, sofern sie als Wasser nicht ohne Aufbereitung wiederverwendbar sind und in Gewässern Schäden hervorrufen können.

Etwa 80 bis 90 % des von Industrie und Landwirtschaft benutzten Betriebswassers sowie des in den Haushalten verbrauchten Trinkwassers fallen als Abwasser an, etwa 10 bis 20 % gehen durch Verdunstung oder Versickerung verloren.

Die Menge der anfallenden Abwässer ist sehr unterschiedlich und richtet sich für städtisches A. erfahrungsgemäß nach der Größe der Ortschaften sowie nach der angeschlossenen Industrie und Gewerbekapazität bzw. für Industrieabwasser nach erzeugten, be- oder verarbeiteten Produkten (s. Tab. 1).

Da immer davon auszugehen ist, daß ein Kreislauf Wasser – Abwasser in einem bestimmten Grade vorhanden ist, müssen demzufolge die notwendigen ökonomischen Aufwendungen besonders für Industrie- und Prozeßabwässer am Anfallort getätigt werden (Kreislaufführung). Für Industriebetriebe ergibt sich daraus die Forderung nach innerbetrieblichen Wasserkreisläufen, wobei insbesondere Schadstoffe zu entfernen sind, die in kommunalen Kläranlagen zur erheblichen Beeinträchtigung des Reinigungsprozesses führen oder die nicht erst mit Flußwasser verdünnt werden dürfen, um dann mit um so höheren Aufwendungen bei der Trinkwasseraufbereitung beseitigt werden zu müssen.

Abwasser. Tab. 1: Abwasseranfall für ausgewählte Industriebetriebe

Betrieb Bezugseinheit durchschnittlicher Abwasseranfall
in m3
Brikettfabrik 1 t Brikett 1
Schlachthof 1 Schlachtung 1,5
Molkerei 1 m3 Milch 5
Zuckerfabrik 1 t Rüben 15
Wäscherei 1 t Wäsche 15
Erdölraffinerie 1 t Rohöl 17
Brauerei 1 m3 Bier 20
Eisenhüttenwerk 1 t Roheisen 22
Papierfabrik 1 t Pappe 130
1 t Feinpapier 400
Sulfitzellstoffherstellung 1 t Zellstoff 1000

Zur Erfassung der Abwasserbeschaffenheit interessieren physikalische, chemische und bakteriologische Gütemerkmale, wobei das A. anorganisch, organisch oder gemischt anorganisch und organisch verunreinigt sein kann. Die Verunreinigungen können als absetzbare, nichtabsetzbare (Schwebstoffe) und gelöste Stoffe oder als Schwimmstoffe vorliegen. Zu den vorwiegend anorganisch verunreinigten A. gehören die A. der Kaliindustrie, des Erzbergbaues, der Beizereien, der galvanotechnischen Betriebe und der chem. Industrie, z. B. Soda- und Mineraldüngerindustrie, ferner auch radioaktive A. Die verunreinigenden Komponenten dieser Abwassergruppe bestehen vor allem aus Sand, gelösten Mineralien, Salzen, Metall- und Schwermetall-Ionen. Vorwiegend organisch verunreinigte A. entstehen z. B. bei der Gewinnung und Verarbeitung von Kohle, Erdöl, Holz, Zellstoff sowie in der Papier-, Farb- und Lebensmittelindustrie. Auch die häuslichen und städtischen A. sind in der Regel überwiegend organisch verunreinigt. In diesen A. können die verschiedensten organischen Stoffgruppen vertreten sein, so daß eine qualitative Erfassung der einzelnen Inhaltsstoffe zwar möglich, jedoch sehr aufwendig ist und noch keine Aussage über die jeweils eingegangenen Verbindungen bringt. Phenole, Ketone, Aldehyde, Alkohole, Öle, Fette, Detergentien, Amine, Kohlenhydrate und Eiweißverbindungen sind die wichtigsten Vertreter organischer Verunreinigungen, im häuslichen und städtischen A. natürlich auch Keime, Bakterien und Viren.

Der Verschmutzungsgrad des A. wird überwiegend durch Summenbestimmungsmethoden, nur selten durch Einzelstoffanalyse charakterisiert. Die wichtigsten Methoden sind: der biochemische Sauerstoffbedarf (BSB), der chemische Sauerstoffbedarf (CSB) und der Gesamtgehalt an organischem Kohlenstoff (TOC), wobei hier als Modifikation aufgrund des einfacheren Bestimmungsverfahrens häufig der gelöste organische Kohlenstoff (DOC) genutzt wird. Zur Bestimmung des biochemischen Sauerstoffbedarfes wird eine bestimmte Abwassermenge einer genau bemessenen, sauerstoffgesättigten Wasserprobe zugeführt, die adaptierte Bakterien enthält. Die gegen Luftsauerstoffzutritt abgeschlossene Wasserprobe wird bei einer konstanten Temperatur von 20 °C bebrütet. Die in der Probe enthaltenen Bakterien "verbrennen" die Schmutzstoffe unter Zuhilfenahme des gelösten Sauerstoffes der Probe je nach Abbaubarkeit. Nach einer bestimmten Zeit wird der BSB in mg/l aus dem Differenzbetrag zwischen ursprünglichem und verbliebenem Sauerstoffgehalt unter Berücksichtigung der angewandten Wassermenge ermittelt und danach der Grad der Verschmutzung festgelegt. Je nach Untersuchungsdauer (1,2 bis 20 Tage) wird an das Kurzzeichen BSB der entsprechende Index (BSB1, BSB2 bis BSB20) hinzugefügt. In Mitteleuropa wird in der Regel mit dem BSB5, d. h. mit dem biochemischen Sauerstoffbedarf nach 5 Tagen gerechnet. Die Umrechnung erfolgt nach Tab. 2. Da auch absetzbare Stoffe und Schwebstoffe organischer Herkunft sein können, ist bei der Messung des BSB immer mit anzugeben, ob es sich um eine homogenisierte (mit absetzbaren Stoffen), eine abgesetzte oder filtrierte Probe handelt. Die Schmutzfracht eines Einwohners (E) wird mit 60 g BSB5/d angenommen, d. h. ein Einwohner erzeugt im 24-Stundenmittel bei einem durchschnittlichen Abwasseranfall von 200 l/(E·d) eine Schmutzmenge, die zu ihrem biochemischen Abbau in 5 Tagen 60 g BSB benötigt. Die Zusammensetzung dieser Schmutzfracht im groben Mittel enthält Tab. 3.

Abwasser. Tab. 2: Umrechnung von BSBn auf BSB5 bei 20°C.

n in Tagen 1 2 3 4
BSBn/BSB5 0,30 0,54 0,73 0,88
n in Tagen 5 10 15 20
BSBn/BSB5 1,00 1,32 1,42 1,46

Abwasser. Tab. 3: Zusammensetzung kommunaler Abwässer nach Imhoff.

Mineral.
g/(E · d)
Organ.
g/(E · d)
Gesamt
g/(E · d)
BSB5
g/(E · d)
absetzbare Stoffe 20 30 50 20
nichtabsetzbare Stoffe 5 10 15 10
gelöste Stoffe 75 50 125 30
insgesamt 100 90 190 60

Der chemische Sauerstoffbedarf ist ein Maß für die chemische Oxidierbarkeit der im Wasser oder Abwasser enthaltenen Stoffe ohne Stickstoffverbindungen. Als Oxidationsmittel können Kaliumpermanganat oder Kaliumdichromat verwendet werden (praktisch wird heute nur noch Kaliumdichromat eingesetzt). Die Schmutzfracht eines Einwohners beträgt ca. 120 g CSB/d. Aus dem BSB5/CSB-Verhältnis ist z. B. eine Aussage über die biologische Abbaubarkeit von Abwasser möglich. Der gesamtorganische Kohlenstoff ergibt sich durch die bei Verbrennung der organischen Substanz entstehende CO2-Menge. Dabei ist der organische Kohlenstoff nur eine Teilmenge der organischen Substanz, die auch durch stöchiometrische Beziehungen nicht exakt erfaßbar ist, da die Kohlenstoffanteile Schwankungen unterworfen sind. Die Schmutzfracht eines Einwohners beträgt ca. 40 g TOC/d.

Um die Verschmutzung von Industrieabwässern mit der von häuslichem Abwasser vergleichen zu können, wird die Schmutzfracht auf die eines Einwohners bezogen und ergibt damit den Einwohnergleichwert (EGW). Beispiele für BSB5-Konzentrationen von Industrieabwässern und -schlämmen sowie eine Umrechnung in EGW enthält Tab. 4.

Die Schmutzfrachten, die einer Kläranlage zugeführt werden setzen sich insgesamt zusammen aus:

Einwohner (E) + Einwohnergleichwerte (EGW) = Einwohnerwerte (EW).

Abwasser. Tab. 4: BSB5-Konzentrationen von Industrieabwässern und -schlämmen und Umrechnung in EGW.

Abwasserart BSB5-Konzentration
in g/l
EGW bezogen
auf 1 m3 des
jeweiligen Stoffes
Jauche, Hühnergülle oder Molke 20-40 333
Schlempe einer
Brennerei
50 833
Hefe einer
Brauerei
300 5000

Durch Einleitung von nicht oder nur ungenügend gereinigten A. in die Gewässer werden mittelbar oder unmittelbar Abwasserschäden hervorgerufen. Wiederholt sind durch Infiltration von A. auch nachteilige Einwirkungen auf die Grundwasserqualität beobachtet worden. Unmittelbare Abwasserschäden sind z. B. Korrosion, Geruchsbelästigungen und Schaumbildung. Die Gewässerverunreinigung umfaßt dabei z. B. Gesundheitsgefährdungen, Verschlammungen und Fischereiverluste. Fischereischäden in den Gewässern als Folge unkontrollierter Abwassereinleitung können u. a. folgende Ursachen haben:

1) Die Abwasserinhaltsstoffe sind Gifte, die auf die Flora und Fauna eines Gewässers unmittelbar schädigend wirken. 2) Es entsteht Sauerstoffmangel, so daß sich anaerobe Lebensbedingungen einstellen, unter denen z. B. Fische und Pflanzen nicht existieren können. 3) Die Fische werden durch nachhaltige Geschmacksstoffe ungenießbar. Häufig vertretene Abwassergiftstoffe sind z. B. Cyanide, Schwefelwasserstoff, Phenole, Ammoniak, Detergentien, Chlor und Schwermetalle sowie Schwermetallverbindungen, aber auch radioaktive Abfallstoffe. Sauerstoffmangel wird z. B. durch Eiweiße, Alkohole, Aldehyde, Fettsäuren, Sulfide, Sulfite und Nitrite hervorgerufen.

Mit Hilfe der Wassergüte ist es möglich, die qualitative und quantitative Beschaffenheit von Oberflächengewässern zu beurteilen. Ein charakteristischer Wert hierfür ist der Sauerstoffgehalt eines Gewässers, der in einem gesunden Gewässer möglichst hoch sein soll (als untere Grenze für die Lebensfähigkeit von Fischen wird etwa 4 mg/l Sauerstoffgehalt angegeben). Der Sauerstoffgehalt von Fließgewässern wird z. B. mit Hilfe eines Abwasserlastplanes dargestellt. Hierbei wird die für das Gewässer charakteristische Selbstreinigungsleistung ermittelt und danach die kritische Abwasserlast berechnet, bei der 4 mg O2/l im Gewässer gerade noch gewährleistet sind. Unter Abwasserlast versteht man dabei die Zahl der an eine Ortsentwässerung angeschlossenen Einwohner, die auf 1 l/s bei mittlerer Niedrigwasserführung (MNQ) des Flusses entfallen. Die Einwohnergleichwerte der anliegenden Industrie müssen zugezählt werden. In der Regel wird die Abwasserlast auf die organischen, abbaufähigen Abwasserinhaltsstoffe bezogen. Mit Hilfe des Abwasserlastplanes kann relativ leicht eine Rang- und Reihenfolge von zu bauenden Abwasserreinigungsanlagen entlang eines Fließgewässers festgelegt werden. Zu einer umfassenden Gewässerbeurteilung gehört jedoch mehr als nur der Sauerstoffgehalt. Insbesondere sind eine Vielzahl von chemischen Inhaltsstoffen zu beachten und auch eine biologische Beurteilung in Form der enthaltenen Organismen, dem Saprobien-System, ist notwendig. Von besonderer Bedeutung ist die Wassergüteklassifizierung nach LAWA, bei der die Fließgewässer in 7 Wassergüteklassen eingeteilt werden (s. Tab. 5). In Deutschland wird für alle Gewässer die Güteklasse II angestrebt. Als ergänzende Kriterien für die Bewertung der Nutzbarkeit von Gewässern können der Salzgehalt, bakteriologische Untersuchungen und sonstige gebietsspezifische Kriterien herangezogen werden.

Abwasser. Tab. 5: Gütegliederung der Fließgewässer (LAWA 1980).

Wasser-
güteklasse
Grad d. organ.
Belastung
Saprobität Saprobien-
Index
BSB5
(mg/l)
NH4-N
(mg/l)
O2-Minima
(mg/l)
I unbelastet,
sehr gering
belastet
Oligo-
saprobie
1,0- < 1,5 1 höchstens
Spuren
> 8
I-II gering
belastet
Oligosaprob
mit β-meso-
saprobem
Einschlag
1,5 – < 1,8 1-2 um 0,1 > 8
II mäßig
belastet
ausgeglichene
β-Mesosa-
probie
1,8 – < 2,3 2-6 < 0,3 > 6
II-III kritisch
belastet
α-β-mesosa-
probe Grenz-
zone
2,3 – < 2,7 5-10 < 1 > 4
III stark
verschmutzt
ausgeprägte
α-Mesosa-
probie
2,7 – < 3,2 7-13 0,5 bis
mehrere
mg/l
> 2
III-IV sehr stark
verschmutzt
Polysaprob
mit α-meso-
saprobem
Einschlag
3,2 – < 3,5 10-20 mehrere
mg/l
< 2
IV übermäßig
verschmutzt
Polysaprobie 3,5 – < 4,0 > 15 mehrere
mg/l
< 2

Standgewässer werden in der Regel nach 3 Merkmalskomplexen eingeordnet:

1) Merkmalskomplexe der hydrographischen und territorialen Kriterien, wie der Gewässermorphometrie, der hydrographischen Relation zwischen Einzugsgebiet und Gewässer und der Belastung.

2) Merkmalskomplexe der trophischen Kriterien, wie Sauerstoff-, Nährstoff- und Bioproduktionsverhältnisse.

3) Merkmalskomplexe der Versalzung sowie der besonderen hygienisch relevanten Kriterien, aber auch Gehalte an bestimmten Ionen und anderen Stoffen, z. B. Eisen, Mangan, Phenolen, Tensiden.

Die Zuordnung der Nutzung, d. h. die Eignung der Gewässer für bestimmte Nutzungen geht aus der zusammenfassenden Wertung der einzelnen Merkmalskomplexe hervor.

  • Die Autoren
Dr. Andrea Acker, Leipzig
Prof. Dr. Heinrich Bremer, Berlin
Prof. Dr. Walter Dannecker, Hamburg
Prof. Dr. Hans-Günther Däßler, Freital
Dr. Claus-Stefan Dreier, Hamburg
Dr. Ulrich H. Engelhardt, Braunschweig
Dr. Andreas Fath, Heidelberg
Dr. Lutz-Karsten Finze, Großenhain-Weßnitz
Dr. Rudolf Friedemann, Halle
Dr. Sandra Grande, Heidelberg
Prof. Dr. Carola Griehl, Halle
Prof. Dr. Gerhard Gritzner, Linz
Prof. Dr. Helmut Hartung, Halle
Prof. Dr. Peter Hellmold, Halle
Prof. Dr. Günter Hoffmann, Eberswalde
Prof. Dr. Hans-Dieter Jakubke, Leipzig
Prof. Dr. Thomas M. Klapötke, München
Prof. Dr. Hans-Peter Kleber, Leipzig
Prof. Dr. Reinhard Kramolowsky, Hamburg
Dr. Wolf Eberhard Kraus, Dresden
Dr. Günter Kraus, Halle
Prof. Dr. Ulrich Liebscher, Dresden
Dr. Wolfgang Liebscher, Berlin
Dr. Frank Meyberg, Hamburg
Prof. Dr. Peter Nuhn, Halle
Dr. Hartmut Ploss, Hamburg
Dr. Dr. Manfred Pulst, Leipzig
Dr. Anna Schleitzer, Marktschwaben
Prof. Dr. Harald Schmidt, Linz
Dr. Helmut Schmiers, Freiberg
Prof. Dr. Klaus Schulze, Leipzig
Prof. Dr. Rüdiger Stolz, Jena
Prof. Dr. Rudolf Taube, Merseburg
Dr. Ralf Trapp, Wassenaar, NL
Dr. Martina Venschott, Hannover
Prof. Dr. Rainer Vulpius, Freiberg
Prof. Dr. Günther Wagner, Leipzig
Prof. Dr. Manfred Weißenfels, Dresden
Dr. Klaus-Peter Wendlandt, Merseburg
Prof. Dr. Otto Wienhaus, Tharandt

Fachkoordination:
Hans-Dieter Jakubke, Ruth Karcher

Redaktion:
Sabine Bartels, Ruth Karcher, Sonja Nagel


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