Lexikon der Chemie: Wertigkeit
Wertigkeit, Valenz, eine für die Stöchiometrie von chem. Verbindungen und Reaktionen entscheidende Kenngröße, die je nach Anwendung unterschiedlich definiert wird. Der Begriff W. charakterisierte ursprünglich die Fähigkeit eines gegebenen Atoms, mit einer bestimmten Anzahl anderer Atome eine Verbindung einzugehen. Im Laufe der Zeit ist eine Begriffserweiterung erfolgt, heute zählt man dazu folgende valenztheoretische Grundbegriffe:
1) Die stöchiometrische W. eines Elementes ist eine Zahl z, die angibt, wieviel als einwertig erkannte Atome oder Atomgruppen ein Atom des betreffenden Elementes binden oder in Verbindungen ersetzen kann. In binären Verbindungen ist die Wertigkeitssumme (d. i. das Produkt z·ν aus stöchiometrischer W. und Stöchiometriezahl ν) des einen Bindungspartners gleich der des anderen, d. h., es kann in stabilen Verbindungen keine "freien" Wertigkeiten geben. Daraus ergibt sich die Möglichkeit, bei Kenntnis der Zusammensetzung einer Verbindung und der W. eines Elementes die des anderen zu berechnen. Stets einwertig sind Wasserstoff und Fluor. Demnach sind die Elemente Na, O, B, Si und S in den Verbindungen NaH, H2O, BF3, SiF4 und SF6 ein-, zwei-, drei-, vier- bzw. sechswertig. Für die meisten Elemente ist die stöchiometrische W. keine Konstante, sondern sie kann unterschiedliche Werte annehmen. So ist z. B. für Stickstoff in den Oxiden N2O, NO, N2O3, NO2 und N2O5zN = 1, 2, 3, 4 bzw. 5. Die W. kann immer nur ganzzahlig sein. Bei ihrer formalen Berechnung für Eisen in Fe3O4 ergibt sich jedoch zFe = 8/3. Dieser Wert muß so interpretiert werden, daß in der Verbindung ein Fe-Atom zweiwertig ist, die beiden anderen aber dreiwertig sind. In gleicher Weise wie für ein Atom ist z auch für eine Atomgruppe festgelegt: Aus den Formeln NaOH, H2SO4, H3PO4 und NH4Cl ergeben sich für die jeweiligen Atomgruppen zOH = 1, zSO4 = 2, zPO4 = 3 und zNH4 = 1.
Die stöchiometrische W. einer Verbindung läßt sich nicht eindeutig aus ihrer Formel ableiten, sondern ergibt sich in bezug auf bestimmte Reaktionen und aus den entsprechenden Reaktionsgleichungen. So folgt die W. von Säuren und Basen aus der Zahl der in einer Säure-Base-Reaktion abgegebenen bzw. aufgenommenen Protonen. Gemäß der Reaktionsgleichung 2 NaOH + H2SO4 → Na2SO4 + H2O reagieren NaOH als einwertige Base und H2SO4 als zweiwertige Säure. Bei Oxidations- und Reduktionsmitteln ergibt sich die W. aus der Zahl der aufgenommenen bzw. abgegebenen Elektronen: Bei der Reaktion 5 Fe2+ + MnO4- + 8 H+ → 5 Fe3+ + Mn2+ + 4 H2O ist das Eisen(II)-Ion ein einwertiges Reduktions- und das Permanganat-Ion ein fünfwertiges Oxidationsmittel. Auch die W. einer Verbindung ist keineswegs immer festgelegt, sondern hängt oft entscheidend von den Reaktionsbedingungen ab. Sie bestimmt die Größe des entsprechenden Äquivalentes.
2) Die Ionenwertigkeit (Ionenladung, Ladungszahl) gibt die Zahl der Ladungen eines Ions an, man kennzeichnet sie durch hochgestellte Ziffern mit nachgestelltem Plus- oder Minuszeichen (z. B. Ag+, NH4+, Cl-, SO42-).
3) Die Bindigkeit (Bindungswertigkeit) gibt die Zahl der Atombindungen, an denen ein Atom in einer Verbindung beteiligt ist, an (chemische Bindung).
4) Die Oxidationszahl gibt an, welche Ionenladung ein Element in einer Verbindung hätte, wenn diese aus Atomionen aufgebaut wäre. Sie wird mit vorangestelltem Vorzeichen über das Elementsymbol in der entsprechenden Formel geschrieben (z. B.
).
5) Die formale Ladung eines Atoms in einer Verbindung ist die Differenz zwischen der Anzahl der Valenzelektronen, die das neutrale Atom aufweist, und der Anzahl an Valenzelektronen, die ihm nach homolytischer Spaltung aller Bindungen, an denen es beteiligt ist, zukommen.
6) Die Koordinationszahl eines Atoms in einem Molekül gibt an, an wieviel andere Atome es gebunden ist. Liegen nur Einfachbindungen vor, so ist die Koordinationszahl gleich der Bindigkeit, beim Vorhandensein von Mehrfachbindungen ist sie jedoch kleiner als diese. Die Koordinationszahl spielt eine besondere Rolle in der Koordinationschemie.
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