Lexikon der Ernährung: Aminosäuren
Aminosäuren, Eamino acids, organische Säuren, die mindestens eine und gewöhnlich nicht mehr als zwei Amino-(NH2–)gruppen enthalten. Je nach Stellung der NH2-Gruppe in der Kohlenstoffkette zu der endständigen Carboxyl-(COOH-) gruppe werden α-, β-, γ- und δ-A. unterschieden (Abb. 1). Als Kurzschreibweise für die Aminosäuren haben sich die Schreibweisen mit drei bzw. einem Buchstaben bewährt (Tab. 1).
Eigenschaften: Die α-A. kommen in freier Form in allen Körperflüssigkeiten vor. Sie sind die Bausteine der Proteine und Peptide, aus denen sie durch Verdauungsenzyme (Proteasen, Peptidasen, Proteolyse) freigesetzt werden. Die mRNA (Protein-Biosynthese) codiert für die 20 proteinogenen Aminosäuren (Tab. 1). Das Vorkommen von A. in Proteinen, die nicht genetisch codiert werden (z. B. Hydroxyprolin und Hydroxylysin) ist auf posttranslationelle Modifizierung von A. im Proteinverbund zurückzuführen.
A. werden entsprechend dem Charakter der Seitenketten (aliphatische A., aromatische A., polar, apolar, sauer, basisch) in Gruppen eingeteilt (Abb. 2).
Zusätzlich zu dieser chemischen Klassifizierung können die A. entsprechend ihres Hauptabbauweges im menschlichen Organismus in glucogene und ketogene A. eingeteilt werden. Bei glucogenen Aminosäuren (Syn. glucoplastische Aminosäuren) werden aus den entsprechenden Kohlenstoffgerüsten die Glucose-Vorstufen Pyruvat, α-Ketoglutarat, Succinyl-CoA, Fumarat oder Oxalacetat synthetisiert (Gluconeogenese). Bei ketogenen Aminosäuren (Syn. ketoplastische Aminosäuren) entsteht entweder Acetyl-CoA oder Acetoacetat. Alle diese Abbauprodukte sind Zwischenprodukte des Tricarbonsäure-Zyklus.
A. haben aufgrund des Vorliegens von NH2– und COOH-Gruppen in einem Molekül amphotere Eigenschaften (sie wirken als Säure und als Base). Im festen Zustand und in stark polaren Lösungsmitteln (z. B. auch in Wasser) liegen die A. in Zwitterionenform vor (H3N+-CHR-COO–, Abb. 3). A. mit hydrophilen Seitenketten weisen eine bessere Löslichkeit in Wasser auf. Am isoelektrischen Punkt ist die Wasserlöslichkeit der meisten A. am geringsten, da durch die dominierende Zwitterionenstruktur die Hydrophilie der Amino- und Carboxylgruppe aufgehoben ist. Im stärker sauren Bereich liegen die A. als Kationen (–NH3+), im stärker alkalischen Bereich als Anionen (–COO–) vor. Die Titrationskurven der A. zeigen demzufolge zwei verschiedene Pufferbereiche, die durch das Dissoziationsverhalten besonders der sauren und basischen Seitenkettenfunktionen gekennzeichnet ist (Abb. 2 und 3). Das Säure-Basen-Verhalten der A. beeinflusst das Verhalten von Peptiden und Proteinen und ist Grundlage für die analytische Trennung der Polymere durch Elektrophorese und Ionenaustauschchromatographie. Die analytische Bestimmung von freien Aminosäuren in biologischen Proben (z. B. Plasma, Urin, Gewebe) und in Proteinhydrolysaten erfolgt in der Regel durch chromatographische Verfahren mit Vorsäulenderivatisierung (z. B. mit o-Phthaldialdehyd) und nachfolgender Trennung an reversed-phase-Säulen.
Außer Glycin besitzen alle A. mindestens ein chirales C-Atom (Chiralität). Mit wenigen Ausnahmen haben natürlich vorkommende A. die L-Konfiguration. D-Aminosäuren kommen in Zellwänden, Kapseln und in vielen Antibiotika vor. β- und γ-A. kommen als freie Säuren oder als Bestandteile von organischen Produkten und kleinen Peptiden (z. B. Carnosin), nicht aber in Proteinen vor.
Ernährungsphysiologische Bedeutung: Ernährungsphysiologisch werden drei Gruppen an A. unterschieden (Tab. 1): unentbehrliche Aminosäuren (früher: essenzielle Aminosäuren), entbehrliche Aminosäuren (früher: nicht-essenzielle Aminosäuren) und bedingt unentbehrliche Aminosäuren. In der letzten Gruppe befinden sich A., die unter physiologischen Umständen ausreichend im Körper (endogen) gebildet werden können, für die jedoch in speziellen Krankheitssituationen ein Mangel entstehen kann. Dies begründet sich entweder durch einen stark erhöhten endogenen Bedarf, der nicht durch Eigensynthese gedeckt werden kann, oder durch eine gestörte bzw. nicht mehr vorhandene Enzymkapazität zur Eigensynthese.
Bedarf: Obwohl nur für A. ein biochemisch begründeter Bedarf besteht (sie sind das Substrat der Stoffwechselreaktionen), sind die Zufuhrempfehlungen i. d. R. für Protein formuliert, da die Zufuhr der AS beim Gesunden ausschließlich in dieser Form erfolgt. Für eine adäquate Versorgung des menschlichen Organismus an unentbehrlichen (essenziellen) A. wurde von der FAO / WHO ein Referenzprotein mit optimiertem Aminosäurenmuster (30–40 % essenzielle A.) zur Sicherung des Aminosäurenbedarfs definiert (Tab. 2). Bis zu einem Alter von sechs Monaten soll die Aufnahme an essenziellen A. 43 % betragen; bei Kindern zwischen 10 und 12 Jahren sinkt der Anteil auf 36 %, bei Erwachsenen reichen 19 %.
Stoffwechsel: Die proteinogenen A. können nach der Herkunft ihres Kohlenstoffgerüsts in der Biosynthese in Familien eingeteilt werden: 1) Die Serinfamilie umfasst die A. Serin, Glycin, Cystein und Cystin, die sich aus Triosephosphat herleiten. 2) Die Ketoglutarat- bzw. Oxoglutaratfamilie enthält diejenigen A., deren Kohlenstoffskelett sich vom Oxoglutarat des Tricarbonsäure-Zyklus ableitet: Glutamat, Glutamin, Ornithin, Citrullin, Arginin (Harnstoff-Zyklus), Prolin und Hydroxyprolin. 3) Die Pyruvatfamilie (Abb. 4) stammt von Pyruvat und Oxalacetat ab. 4) Die Pentosefamilie schließt Histidin und die drei aromatischen A. Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan ein. Die A. des Aminosäuren-Pools einer Zelle (bzw. des Gesamtorganismus) werden zur endogenen Proteinsynthese und zur Bildung von Metaboliten (z. B. des Neurotransmitters γ-Aminobuttersäure) eingesetzt. Je nach Stoffwechselsituation wird ein Teil der Aminosäuren oxidativ abgebaut. Die metabolischen Hauptwege zeigt Tab. 3. Weitere Informationen zu Resorption und Stoffwechsel der einzelnen A. können unter dem entsprechenden Stichwort gefunden werden.
Lebensmitteltechnologische Anwendungen: Man- che A. haben als solche und in Form ihrer Natrium- und Kaliumverbindungen und der Hydrochloride einen leicht süßen, sauren, bitteren oder aromatischen Geschmack. Sie können den Geschmack anderer geschmackgebender Stoffe verstärken, z. B. in Suppen, Soßen und Würzen. Die größte Bedeutung haben Glutaminsäure und und deren Salze, die Glutamate. Der Zusatz von essenziellen A. zur Verbesserung des biologischen Wertigkeit hat bei Lebensmitteln im Gegensatz zum Futtermittelbereich nur in Ausnahmefällen eine Bedeutung.
Aminosäuren: Abb. 1. Struktur einer α-Aminosäure.
Aminosäuren: Tab. 1. Proteinogene Aminosäuren. Drei- und Einbuchstaben-Abkürzungen [n. IUPAC-IUB-Kommission für Biochemische Nomenklatur; Eur. J. Biochem. 5 (1968), 151–153] sowie ernährungsphysiologische Einteilung (u = unentbehrlich/essenziell, e = entbehrlich / nicht essenziell, b. u. = bedingt unentbehrlich, da unzureichende endogene Synthese bei bestimmten Krankheitssituationen).
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u. | e. | b.u. | |||||||
L-Alanin | Ala | A | x | ||||||
L-Arginin | Arg | R | x | x | |||||
L-Asparagin | Asn* | N* | x | ||||||
L-Asparaginsäure | Asp* | D* | x | ||||||
L-Cystein | Cys | C | x | x | |||||
L-Glutamin | Gln | Q | x | x | |||||
L-Glutaminsäure | Glu | E | x | ||||||
Glycin | Gly | G | x | ||||||
L-Histidin | His | H | x | ||||||
L-Isoleucin | Ile | I | x | ||||||
L-Leucin | Leu | L | x | ||||||
L-Lysin | Lys | K | x | ||||||
L-Methionin | Met | M | x | ||||||
L-Phenylalanin | Phe | F | x | ||||||
L-Prolin | Pro | P | x | ||||||
L-Serin | Ser | S | x | ||||||
L-Threonin | Thr | T | x | ||||||
L-Tryptophan | Trp | W | x | ||||||
L-Tyrosin | Tyr | Y | x | x | |||||
L-Valin | Val | V | x | ||||||
Unbekannte oder andere | Xaa | X |
* Wenn nicht bekannt ist, ob die Aminosäure im ursprünglichen Protein als Asn oder Asp vorliegt, werden die Abkürzungen Asx oder B verwendet; Glx oder Z stehen für Glu, Gln, Gla (L-4-Carboxyglutaminsäure) oder Glp (Pyroglutaminsäure). Diese Zweideutigkeiten haben ihre Ursache darin, dass durch die chemische Hydrolyse der Peptidbindungen auch Asn, Gln, Gla und Glp zu den entsprechenden Säuren hydrolysiert werden.
Aminosäuren: Abb. 2. Gruppeneinteilung nach dem Typ der Seitenketten. Die Ladung der der sauren bzw. basischen A. hängt vom pH-Wert ab.
Aminosäuren: Abb. 3. Titrationskurve von Alanin.
Aminosäuren: Tab. 2. Muster der unentbehrlichen (essenziellen) A. nach Publikationen der FAO / WHO. Angaben in mg Aminosäure / g Protein.
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L-Histidin | 26 | 19 | |
L-Isoleucin | 46 | 28 | |
L-Leucin | 93 | 66 | |
L-Lysin | 66 | 58 | |
L-Methionin + L-Cystin | 42 | 25 | |
L-Phenylalanin + L-Tyrosin | 72 | 63 | |
L-Threonin | 43 | 34 | |
L-Tryptophan | 17 | 11 | |
L-Valin | 55 | 35 |
Aminosäuren: Tab. 3. Wichtige Stoffwechselreaktionen der A.
Aminosäuren: Abb. 4. Die Pyruvatfamilie der Aminosäuren.
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