Lexikon der Ernährung: Funktionelle Lebensmittel
Funktionelle Lebensmittel
Gerhard Rechkemmer, Karlsruhe
Hintergrund
Zu Beginn des letzten Jahrhunderts war die Verfügbarkeit und das Angebot von Lebensmitteln für die Mehrheit der Bevölkerung gering. Ernährung zielte primär auf die Befriedigung der elementaren ernährungsphysiologischen Bedürfnisse hin. Angestrebt wurde eine ausreichende Versorgung mit Energie, um körperlich leistungsfähig zu sein und eine Bedarfsdeckung mit essenziellen Nährstoffen, um die Manifestation klinischer Mangelerkrankungen zu vermeiden. Erst seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts steht in den Industrieländern ein sehr großes Angebot an Lebensmitteln preisgünstig für die Mehrzahl der Verbraucher zur Verfügung. Ferner wurde durch wissenschaftliche Studien in den letzten Jahrzehnten gezeigt, dass zwischen der Ernährung und dem Auftreten bestimmter Krankheiten, insbesondere von chronisch-degenerativen Erkrankungen, eine Beziehung besteht. Durch diese Entwicklung mitbedingt hat sich auch ein Paradigmenwechsel in der Ernährungswissenschaft vollzogen: die wissenschaftliche Untersuchung von Mangelzuständen trat in den Hintergrund, und es entstand ein zunehmendes Interesse an den positiven, gesundheitsförderlichen Eigenschaften von Lebensmitteln bzw. bestimmten Inhaltsstoffen dieser Lebensmittel.
Auf Grund des Besorgnis erregenden Anstiegs der Häufigkeit ernährungsabhängiger Krankheiten (Adipositas, metabolisches Syndrom [Diabetes mellitus Typ 2 und Fettstoffwechselstörungen], Arteriosklerose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder bestimmter Krebserkrankungen) in Europa, Nordamerika, Australien, Neuseeland und Japan und den damit stark steigenden Kosten im Gesundheitswesen erscheint es notwendig, gesundheitliche, präventiv-medizinische Aspekte der Ernährung verstärkt zu beachten. Hinzu kommt die massive Veränderung der demographischen Situation in den westlichen Industriestaaten, mit einer Abnahme des jungen und einer Zunahme des alten Teils der Bevölkerung (Bevölkerungspyramide). Diese Veränderungen der Altersstrukturen und die damit zusammenhängenden Fragen einer altersadäquaten Ernährung wurden ebenfalls in den letzten Jahren von der ernährungswissenschaftlichen Forschung aufgegriffen.
In der Lebensmittelindustrie findet international ein sehr starker Wettbewerb und in neuerer Zeit eine zunehmende Konzentration und Globalisierung statt. Auf Grund der großen Vielfalt und der guten Versorgung mit Lebensmitteln können in den Industrieländern neue Produkte in der Regel nur auf Kosten bereits vorhandener Erzeugnisse etabliert werden. Deshalb strebt die Lebensmittelindustrie danach, ihre jeweiligen neu entwickelten Produkte von anderen bereits im Markt befindlichen durch zusätzliche Produkteigenschaften hervorzuheben. Ein Bereich, der in Deutschland und Europa erst in den letzten Jahren durch die Industrie vorangetrieben wurde und nun in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, sind die funktionellen Lebensmittel (functional foods).
Gesundheitliche Aspekte von Lebensmitteln werden zunehmend vom Verbraucher beachtet und in die Kaufentscheidung einbezogen. F. L. sollen sich besonders dadurch auszeichnen, dass sie gesundheitsförderliche Inhaltsstoffe enthalten.
Der Begriff „funktionelles Lebensmittel“ wurde Anfang der 80er-Jahre für eine besondere Kategorie von gesundheitsförderlichen Lebensmitteln in Japan geprägt.
Für f. L. existieren bis ins Jahr 2001 weder in Deutschland noch in der Europäischen Union rechtsverbindliche Definitionen. Auch in Nordamerika (USA, Kanada), in Australien und Neuseeland fehlen klare gesetzliche Regelungen für f. L. In allen diesen Staaten gibt es jedoch in den letzten Jahren intensive Bemühungen, für f. L. gesetzliche Regularien zu etablieren.
Situation in Japan
Lediglich in Japan, dem Ursprungsland dieser speziellen Lebensmittelkategorie, gibt es seit 1991 eine gesetzliche Grundlage für Lebensmittel zum spezifischen gesundheitlichen Gebrauch (foods for specified health use, FOSHU). Die FOSHU-Produkte stellen eine von 5 Untergruppen der Lebensmittel für spezielle diätetische Verwendungen dar. Die weiteren Gruppen sind: Krankenkost, Milchpulver für Schwangere und stillende Mütter, Lebensmittel für Ältere mit Schwierigkeiten beim Kauen und Schlucken sowie Säuglingsnahrungen.
In Japan unterliegen solche Produkte einem staatlichen Zulassungsverfahren. Gesundheitsbezogene Aussagen für FOSHU-Produkte müssen durch wissenschaftliche Studien nachgewiesen sein. Mit Stand vom 12. Mai 2000 waren in Japan insgesamt 184 Lebensmittel als FOSHU-Produkte zugelassen und mit dem entsprechenden amtlichen Kennzeichen versehen. Da jedoch eine Zulassung nur dann erforderlich ist, wenn ausdrücklich auf bestimmte gesundheitliche Wirkungen hingewiesen wird, umgehen viele Hersteller den Zulassungprozess und vermarkten ihre Produkte als Gesundheitslebensmittel (health foods) ohne jedoch spezifische Aussagen zu machen. Für solche Produkte kann ein Kennzeichen der Japan Health Food & Nutrition Food Association verwendet werden. Insgesamt geht man deshalb davon aus, dass in Japan ca. 1.500 solcher Produkte angeboten werden und diese etwa 5 % des Lebensmittelumsatzes ausmachen. Um den Zulassungsprozess attraktiver zu machen, wurden in den letzten Jahren in Japan Vereinfachungen eingeführt.
Europäische Aktivitäten
In Europa wurden diese Entwicklungen erst seit den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts aufgegriffen. Eine europäische Arbeitsgruppe unter der Leitung des International Life Science Institutes Europe (ILSI Europe) hat in einer durch die Europäische Union finanziell geförderten Aktion (Functional Food Science in Europe: FUFOSE) von 1996–1999 wissenschaftliche Kriterien für funktionelle Lebensmittel definiert und mögliche Anwendungsbereiche für solche Lebensmittel identifiziert. (Die Ergebnisse dieser Aktion wurden in Zusatzheften des British Journal of Nutrition Volume 80 Supplement 1 [1998] und Volume 81 Supplement 1 [1999] und in Trends in Food Science and Technology Volume 9, No. 8–9 [1998] veröffentlicht.)
Eine verbindliche Definition oder gar die Festlegung rechtlicher Regularien waren nicht Gegenstand der FUFOSE-Aktion. Die ernährungsphysiologischen Funktionen bestimmter Lebensmittel bzw. von Lebensmittelinhaltsstoffen stand im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Diskussionen. Eine Orientierung an bestimmten Produkten oder Produktkategorien erfolgte nicht. Die Arbeitsdefinition dieser Gruppe für f. L. lautet:
„Ein Lebensmittel kann als ‚ funktionell‘ betrachtet werden, wenn zufrieden stellend demonstriert wurde, dass eine oder mehrere Zielfunktionen im Körper, über die Effekte einer adäquaten Ernährung hinaus, positiv beeinflusst werden und zwar in einer Weise, die relevant ist bezüglich einer verbesserten Gesundheit und Wohlgefühls und / oder einer Reduktion eines Krankheitsrisikos. Funktionelle Lebensmittel müssen Lebensmittel bleiben und die Effekte müssen bei üblichen Verzehrsmengen nachgewiesen werden: sie sind keine Pillen, Kapseln oder Pulver, sondern Teil eines normalen Mahlzeitenmusters.
Ein funktionelles Lebensmittel kann ein natürliches Lebensmittel sein, ein Lebensmittel zu dem eine Komponente hinzugefügt oder dem durch technologische oder biotechnologische Verfahren eine Komponente entfernt wurde. Es kann auch ein Lebensmittel, sein, bei dem die Natur einer oder mehrerer Komponenten verändert wurde, oder ein Lebensmittel, bei dem die Bioverfügbarkeit einer oder mehrerer Komponenten modifiziert wurde, oder eine Kombination aller oben genannten Möglichkeiten. Ein funktionelles Lebensmittel könnte für die gesamte Bevölkerung oder für bestimmte Bevölkerungsgruppen, die durch das Alter oder die genetische Konstitution definiert sein könnten, funktionell wirksam sein.“
Eine international weitgehend akzeptierte Kurzdefinition f. L. besteht darin, dass diesen Lebensmitteln ein physiologischer oder gesundheitlicher Zusatznutzen zukommt, der über die Wirkungen der klassischen Nährstoffe in solchen Produkten hinausgeht. Als Nährstoffe sind Kohlenhydrate, Proteine und Fette sowie die essenziellen Nährstoffe (Vitamine, einige Elektrolyte, einige Spurenelemente, essenzielle Fettsäuren und Aminosäuren) zu betrachten. Folgt man dieser Definition, dann würden nährstoffangereicherte Lebensmittel (z. B. vitaminisierte Cerealien oder calcium-angereicherte Fruchtsäfte) nicht zu den f. L. zählen, es sei denn, der entsprechende Zusatz würde – über die Nährstoffwirkung dieser Substanz(en) hinausgehend – physiologische Funktionen beeinflussen.
Der physiologische oder gesundheitliche Zusatznutzen von f. L. soll durch wissenschaftliche Studien für das jeweilige f. L. mit validierten Biomarkern in Studien beim Menschen nachgewiesen werden.
Für f. L. besteht in Europa weitgehend Konsens, dass es sich hierbei um (verarbeitete) Lebensmittel handelt und nicht um Nahrungsergänzungsmittel oder Supplemente, die in Lebensmittel-untypischer Form, d. h. als Pillen, Kapseln, Pulver o. Ä. angeboten werden. Die f. L. sollen als ein Bestandteil einer abwechslungsreichen Ernährung regelmäßig in üblichen Portionen verzehrt werden und in diesem Kontext ihre positiven Wirkungen ausüben.
Ein wesentliches Problem der f. L. stellt die notwendige Dosis und die erforderliche Zeitdauer des Verzehrs dar, bei denen dann die gewünschten positiven physiologischen oder gar gesundheitlichen Effekte wissenschaftlich nachzuweisen sind.
Funktionelle und gesundheitsbezogene Aussagen
In dem FUFOSE-Projekt wurden Vorschläge für die Bewertung und Klassifizierung der f. L. vorgelegt. Diese Vorschläge stellen bisher eine Diskussionsgrundlage dar und sind nicht rechtsverbindlich umgesetzt. In der Bewertung der f. L. wird unterschieden zwischen funktionellen (Werbe-)Aussagen (Behauptungen, Ansprüchen, functional claims) und gesundheitsbezogenen Aussagen (health claims). Zum Nachweis einer funktionellen Eigenschaft ist es erforderlich, dass ein physiologischer / biochemischer Messwert (Biomarker) sich im Sinne eines positiven Effekts verändert, z. B. eine Abnahme des LDL-Cholesterins, eine Verbesserung der Fließeigenschaften des Bluts oder eine Erhöhung der antioxidativen Kapazität nachzuweisen ist. Korrelationen zwischen solchen funktionellen Biomarkern und Gesundheit, körperlicher oder geistiger Leistungsfähigkeit und Wohlbefinden sind häufig nur schwierig und wenn überhaupt nur unter großem Aufwand in kontrollierten klinischen Studien nachzuweisen. Aus Veränderungen funktioneller Biomarker können Typ-A-Aussagen über eine erhöhte Zielfunktion, aus Veränderungen gesundheitsrelevanter Biomarker eines intermediären Endpunkts können Typ-B-Aussagen zur Reduktion eines Krankheitsrisikos abgeleitet werden (Abb.).
Eine Abgrenzung zu den in den meisten europäischen Staaten verbotenen medizinischen Aussagen (medical claims) ist jedoch generell schwierig und muss im Einzelfall betrachtet werden. Hierzu existieren beispielweise in Schweden Richtlinien, in denen geregelt ist, welche Aussagen zulässig sind.
Die Typ-A-Aussagen entsprechen den in den USA für Nahrungsergänzungspräparate zugelassenen Struktur-Funktions-Aussagen (structure-function claims).
In einer ad-hoc-Arbeitsgruppe „Functional Food“ des Europarats wurden im Jahr 2000 Vorschläge zur Behandlung von Lebensmitteln mit gesundheitsbezogenen Aussagen erstellt.
Danach sollten Produkte, für die gesundheitsbezogene Aussagen gemacht werden,
Die gesundheitsbezogene Aussage sollte:
wissenschaftlich abgesichert sein,gültig sein für das Lebensmittel, in der Form, in der es verzehrt wird,klar, verständlich und wahrheitsgemäß dem Verbraucher kommuniziert werden.Deshalb besteht ein dringendes Bedürfnis in Europa Richtlinien festzulegen, wie
der wissenschaftliche Nachweis eines solchen Effekts als Basis für Aussagen erbracht werden kann und wiedie Vorteile den Verbrauchern und Gesundheitsexperten vermittelt werden können.Im Anschluss an die FUFOSE-Aktion wurde deshalb durch die Europäische Kommission im 5. Forschungsrahmenprogramm eine weitere wissenschaftliche Aktion gefördert, die Kriterien für gesundheitsbezogene Aussagen erarbeiten soll (A Process for the Assessment of Scientific Support for Claims on Foods, PASSCLAIM). Die Ergebnisse dieser Aktivität werden für das Jahr 2004 erwartet (Tab. 1).
Funktionelle Inhaltsstoffe
Funktionelle Inhaltsstoffe, die gegenwärtig diskutiert werden, zeigt die Tabelle 2:
In Japan und Europa besteht weitgehend Konsens darüber, dass es sich bei den funktionellen Inhaltsstoffen um solche natürlichen Ursprungs handeln sollte, wogegen in den USA auch chemisch-synthetische Substanzen mit funktionellen Eigenschaften als Inhaltsstoffe f. L. akzeptiert werden.
Beispiele für funktionelle Lebensmittel
Bekannte und weit verbreitete f. L. sind die probiotischen Milchprodukte (Probiotika). Diese Produkte wurden seit 1995 auf dem deutschen Markt eingeführt und haben innerhalb kurzer Zeit einen hohen Marktanteil erreicht. In diesen Produkten sind spezielle Milchsäurebakterien (Lactobacillen oder Bifidobakterien) enthalten, denen positive gesundheitliche Wirkungen zugeschrieben werden. Die spezifischen probiotischen Bakterien werden selektiert auf Grund ihrer Resistenz gegen Magensäure sowie gegen die Verdauungsenzyme und Gallensäuren im Dünndarm. Auf Grund dieser Resistenz erreichen sie zu einem wesentlich größeren Anteil als herkömmliche Milchsäurebakterien vital das Jejunum und Ileum sowie das Colon und können sich dort ansiedeln, an das Darmepithel adhärieren und potenziell pathogene Keime (z. B. Clostridien) verdrängen. Allerdings ist für das Erzielen einer probiotischen Wirkung ein häufiger Verzehr (möglichst täglich) notwendig. Die gesundheitliche Wirkung für breite Bevölkerungskreise ist bisher schwierig zu beurteilen.
Zunehmend werden auch Lebensmittel mit präbiotischen Kohlenhydraten (Präbiotika) angeboten. Es handelt sich hierbei um Inulin bzw. verschiedene Oligosaccharide (OS). Diese Substanzen werden im Dünndarm nicht verdaut und führen deshalb als bevorzugte Stoffwechselsubstrate probiotischer Mikroorganismen im Dickdarm zu einer Zunahme dieser Bakterienpopulation. Auch bestimmte lösliche Ballaststoffe von Getreide, insbesondere von Hafer (Haferkleie), die β-Glucane, sind komplexe Kohlenhydrate mit gesundheitsförderlichen Wirkungen.
In Deutschland sind so genannte Wellness-Brote erhältlich, die sowohl Inulin als auch β-Glucane (Haferkleie) enthalten. Der Verzehr dieser Brote soll für die Cholesterin-Balance, eine gesunde Darmflora und gesunde Zellen sorgen. Einige Brote und Brötchen werden in den letzten Jahren auch mit Fischöl hergestellt um damit die Zufuhr von ω-3-Fettsäuren (Eicosapentaensäure, Docosahexaensäure) zu erhöhen. Diese Fettsäuren kommen in Meeresfischen z. B. Lachs und Hering vor, und ein hoher Fischverzehr ist assoziiert mit einem niedrigen Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Durch Mikroverkapselung der ω-3-Fettsäuren ist eine technologische Verarbeitung ohne negative sensorische Effekte (Fischgeruch und -geschmack des Brots) möglich. Es wird jedoch der Fettgehalt des Brots erhöht. Ob der Verzehr von Backwaren, die mit ω-3-Fettsäuren angereichert sind, tatsächlich eine positive gesundheitliche Wirkung hat wurde bisher durch wissenschaftliche Studien nicht nachgewiesen.
Weitere funktionelle Lebensmittel, die international verkauft werden, sind mit pflanzlichen Sterinen (Phytosterine) oder Stanolen (Phytostanole) angereicherte Margarinen. Da die pflanzlichen Sterine und Stanole eine ähnliche Struktur wie das tierische Cholesterin haben, konkurrieren sie mit diesem um die Aufnahme im Darm. Für diese Margarinen liegen fundierte wissenschaftliche Studien vor, die zeigen, dass beim regelmäßigen Verzehr dieser Produkte eine signifikante Reduktion erhöhter Plasma-Cholesterinwerte erreicht werden kann. Da erhöhte Plasma-Cholesterinwerte als ein Risikofaktor für das Entstehen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen angesehen werden, könnten diese Margarinen zu einer Risikoreduktion dieser Krankheit beitragen.
Neuartige Lebensmittel
Im Gegensatz zu den f. L. existieren für neuartige Lebensmittel (novel food) europaweite, verbindliche Definitionen. In der Verordnung (EG) Nr. 258/97 des Europäischen Parlaments und des Rates über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten vom 27. Januar 1997 ist geregelt, welche Lebensmittel / Lebensmittelinhaltsstoffe als neuartige Lebensmittel gelten. Diese Vorschriften beziehen sich ausschließlich auf die Produkteigenschaften und schließen keine Aussagen hinsichtlich physiologischer oder gesundheitlicher Funktionen ein. Als neuartige Lebensmittel gelten insbesondere solche die gentechnisch veränderte Organismen (GvO) enthalten, aus solchen bestehen oder die aus genetisch veränderten Organismen hergestellt wurden, solche jedoch nicht enthalten. Ferner Lebensmittelinhaltsstoffe mit neuer oder gezielt modifizierter primärer Molekularstruktur (z. B. Saccharose-Polyester [SPE] oder sog. Designer-Lipide [strukturierte Triglyceride] mit hohem Anteil kurz- und mittelkettiger Fettsäuren), oder aus Mikroorganismen, Pilzen oder Algen bestehende Lebensmittel. Auch solche Lebensmittel, bei deren Herstellung ein nicht übliches Verfahren (z. B. Lebensmittelbestrahlung, Hochdrucksterilisation [Sterilisation], Licht-Impulsverfahren) angewandt worden ist und bei denen dieses Verfahren eine bedeutende Veränderung ihrer Zusammensetzung oder der Struktur bewirkt hat (was sich auf ihren Nährwert, ihren Stoffwechsel oder auf die Menge unerwünschter Stoffe im Lebensmittel auswirkt), sind als neuartige Lebensmittel zulassungspflichtig und unterliegen einem Anmeldeverfahren.
Wenn funktionelle Eigenschaften eines f. L. durch gentechnische Veränderungen oder durch die Anwendung neuartiger Verfahren erzielt werden, sind diese Lebensmittel als Novel Food zu behandeln und müssen zugelassen werden.
Nutra- und Nutriceuticals
Abzugrenzen von den funktionellen Lebensmitteln sind Nahrungsergänzungsmittel, Nutra- und Nutriceuticals. Auch für diese Produkte existieren bisher keine verbindlichen Rechtsvorschriften. Als Nutraceuticals (zusammengesetzter Begriff aus nutrition, Ernährung, und pharmaceutical, Medikament) werden solche Präparate bezeichnet, die in Tabletten-, Kapsel-, Pulver- oder Ampullenform isolierte, teilweise chemisch reine Lebensmittelinhaltsstoffe in hochdosierter Form enthalten und denen besondere gesundheitliche Wirkungen zugeschrieben werden. In den USA dagegen wird dieser Begriff auch synonym für funktionelle Lebensmittel verwendet. Nutraceuticals können von konventionellen Nahrungsergänzungspräparaten (dietary supplements) dadurch abgegrenzt werden, dass es sich bei den Inhaltsstoffen von Nutraceuticals in der Regel nicht um Nährstoffe handelt, wogegen in Nahrungsergänzungsmitteln hauptsächlich essenzielle Nährstoffe (Vitamine, Spurenelemente etc.) enthalten sind. Solche Produkte werden teilweise auch als Nutriceuticals (zusammengesetzter Begriff aus nutrient, Nährstoff, und pharmaceutical, Medikament) bezeichnet.
Ein weiterer Begriff, der häufig für neue Produkte in diesem Segment verwendet wird ist „Designer Food“. Als Designer Foods können alle Lebensmittel bezeichnet werden, die auf Grund einer besonderen Zusammensetzung (Rezeptur), eines außergewöhnlichen Produktdesigns und / oder eines gezielten Marketings für eine bestimmte Verbrauchergruppe entwickelt und vermarktet werden, z. B. Energie-Getränke (energy drinks). Designer Foods können sowohl Functional Foods als auch Novel Foods sein.
Rechtliche Aspekte
Hippokrates hat vor ca. 2.400 Jahren gefordert, „Nahrung soll eure Medizin und Medizin eure Nahrung sein“. Setzt man Nahrung gleich mit Lebensmitteln und Medizin gleich mit Arzneimitteln, ist diese Forderung mit der heutigen, deutschen Rechtsauffassung und der strikten Abgrenzung zwischen Arznei- und Lebensmitteln nicht vereinbar. In Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern bestehen für Lebensmittel und für Arzneimittel getrennte gesetzliche Regelungen (in Deutschland: Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände-Gesetz, LMBG, und Arzneimittelgesetz, AMG). Vereinfacht dargestellt erfolgt die Abgrenzung zwischen diesen Kategorien im Wesentlichen durch den jeweiligen Bestimmungszweck. Lebensmittel sind demnach Produkte, die vorwiegend Ernährungs- und Genusszwecken dienen, wogegen Arzneimittel der Behandlung, Linderung aber auch der Vorbeugung von Krankheiten (§ 1 LMBG, §2 AMG) dienen. Lebensmittel, die neben ihrem Ernährungszweck auch gesundheitliche Wirkungen aufweisen (erhöhtes Wohlbefinden [Wellness], erhöhte körperliche und geistige Leistungsfähigkeit oder Reduktion von Krankheitsrisiken) und für die durch Werbung und Marketing auch spezielle funktions- oder gesundheitsbezogene Aussagen (health claims) verwendet werden, sind bis ins Jahr 2001 rechtlich nur ungenügend geregelt. Krankheitsbezogene Aussagen in Verbindung mit Lebensmitteln sind in Deutschland und auch in anderen europäischen Staaten strikt verboten. Gesundheitsbezogene Aussagen sind in bestimmtem Umfang gestattet, wenn es dadurch nicht zu einer Irreführung oder Täuschung des Verbrauchers kommt und wissenschaftliche Nachweise über die behaupteten Wirkungen erbracht werden (§§17 und 18 LMBG). Eine behördliche Meldung oder gar die amtliche Zulassung solcher Lebensmittel ist bisher nicht erforderlich. Bestimmte Produkte können in beschränktem Umfang in Deutschland mit gesundheits- oder krankheitsbezogenen Aussagen im Rahmen der Diätverordnung vermarktet werden (z. B. Diabetikerkost oder Säuglings- und Kleinkinderkost).
In beschränktem Umfang sind gesundheitsbezogene Aussagen zulässig, wenn entsprechende wissenschaftliche Daten vorliegen. Hersteller nutzen vorwiegend sehr vage formulierte gesundheitsbezogene Aussagen. Es existieren zum Teil widersprüchliche Urteile verschiedener deutscher Gerichte zur Verwendung gesundheitsbezogener Aussagen.
Verwendung von gesundheitsbezogenen Aussagen (Health claims)
In den USA, aber auch in Schweden und den Niederlanden dürfen bestimmte Health Claims für Lebensmittel und Lebensmittelinhaltsstoffe erhoben werden (Tab. 3).
In den USA sind durch die Food and Drug Administration (FDA) gegenwärtig folgende Health claims zugelassen:
Aus dieser Aufstellung wird deutlich, dass es sich hierbei ausschließlich um krankheitsbezogene Aussagen handelt, da ganz konkrete Krankheitsbilder benannt sind. Eine solche Verknüpfung wäre gegenwärtig in Deutschland rechtlich nicht zulässig. Diese Aussagen werden in den USA durch den Nutrition Labeling and Education Act, NLEA, von 1990 und den Food and Drug Administration Modernization Act, FDAMA, von 1997 geregelt. Der Wortlaut der Aussagen sowie die Form der Kennzeichnung auf dem Lebensmittel ist vorgeschrieben und muss in einheitlicher Form deklariert werden. Health claims die sich auf eine Beziehung zwischen einer Substanz und einer Krankheit beziehen sind auf Grund des Dietary Supplement Act (1992) und des Dietary Supplement Health and Education Act, DSHEA, von 1994 als Auszeichnung für konventionelle Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel zulässig.
In Kanada wurde am 16. Juni 2001 ein Gesetzestext über die Deklaration, Nährstoffaussagen und gesundheitsbezogene Aussagen veröffentlicht. Zum ersten Mal sollen hiermit in Kanada folgende gesundheitsbezogene Aussagen zugelassen werden:
In Schweden existiert seit 1990 ein „Code of Practice“ in dem auf freiwilliger Basis die Verwendung von gesundheitsbezogenen Aussagen geregelt ist. Solche und ähnliche Vereinbarungen wurden kürzlich auch in den Niederlanden, Belgien und England getroffen und werden in Spanien und Frankreich intensiv diskutiert. In Deutschland sind bisher keine derartigen Initiativen erfolgt. Der Dachverband der europäischen Lebensmittelindustrie (Conféderation des industries agro-alimentaires de L’UE, CIAA) hat am 28. Juli 1999 einen Verhaltenscodex für die Verwendung von Health claims vorgeschlagen. Dieser Verhaltenscodex lehnt sich eng an die Definitionen der konzertierten FUFOSE-Aktion an. Ein Health claim wird verstanden als jede Angabe, die eine Beziehung zwischen einem Lebensmittel oder einem Bestandteil dieses Lebensmittels und der Gesundheit herstellt, gleich ob dies die Gesundheit selbst ist oder ein Zustand, der mit Gesundheit oder Krankheit zusammenhängt.
Eine intensive Diskussion wird darüber geführt, ob die Health claims genereller Art (generic claims) sein sollen (d. h. unabhängig von der Art des jeweiligen Lebensmittels ist bei Vorhandensein eines bestimmten Inhaltsstoffes der Claim zulässig) oder jeweils produktspezifisch nachgewiesen werden müssen. In Europa besteht eine Tendenz, Health claims nur nach dem wissenschaftlichen Nachweis für das betreffende Produkt zu gestatten.
Wirtschaftliche Perspektiven für die Lebensmittelindustrie
Die wirtschaftliche Bedeutung des Markts für funktionelle Lebensmittel in Europa hängt zukünftig davon ab, inwieweit für diese Produkte tatsächlich seriöse wissenschaftliche Daten vorgelegt sowie eindeutige und einheitliche gesetzliche Regelungen und ein Anmeldeverfahren geschaffen werden, im Rahmen derer dann klare Aussagen über gesundheits- und möglicherweise sogar krankheits-relevante Wirkungen erlaubt sind und Missbrauch durch stringente Kontrollen und durch die Verfolgung von Verstößen verhindert wird. Die Seriosität der Kommunikation spielt für die Akzeptanz funktioneller Lebensmittel durch den Verbraucher ein wichtige Rolle. Schätzungen von Wirtschaftswissenschaftlern und Marketing-Experten über die wirtschaftliche Bedeutung des Markts für f. L. umfassen eine breite Spanne von einigen Prozent bis mehr als der Hälfte des Lebensmittelumsatzes.
Funktionelle Lebensmittel: Abbildung des FUFOSE-Projekts [n. British Journal of Nutrition 81 Supplement Number 1, 1999, Fig. 2 S. S25] Funktionelle Lebensmittel
Funktionelle Lebensmittel: Tab. 1. FUFOSE-Themen und -Kriterien für funktionelle Lebensmittel. Erläuterungen im Text.
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Wachstum, Entwicklung und Differenzierung | |
Substratstoffwechsel | |
Abwehr reaktiver oxidativer Verbindungen | |
Herz-Kreislauf-System | |
Gastrointestinale Physiologie und Funktion | |
Verhalten und psychologische Funktionen | |
Aspekte des Wirkungsspektrums | |
Verlangsamung des Alterunsprozesses | |
Umgang mit Stress | |
Erhöhung der Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten | |
Vorbeugung gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen und anderen ernährungsbedingten Krankheiten |
Funktionelle Lebensmittel: Tab. 2. Funktionelle Inhaltsstoffe.
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präbiotische Kohlenhydrate (Inulin, Fructooligosaccharide, Galaktooligosaccharide und Xylooligosaccharide) | |
Synbiotika (Kombinationen von probiotischen Bakterien und präbiotischen Kohlenhydraten) | |
lösliche und unlösliche Ballaststoffe (z. B. Pektine, β-Glucane, Psyllium und Weizenkleie) | |
Carotinoide | |
Polyphenole und Flavonoide (z. B. Extrakte aus grünem Tee oder Rotwein) hauptsächlich in ihrer Funktion als effektive Antioxidanzien | |
Sojaproteine | |
bioaktive Peptide (z. B. Casein(phospho)peptide) | |
w-3-Fettsäuren (z. B. all-cis-5,8,11,14,17-Eicosapentaensäure, all-cis-4,7,10,13,16,19-Docosahexaensäure) | |
konjugierte Linolsäure (CLA) | |
Phytosterine und Phytostanole (z. B. β-Sitosterin, Campesterin) sowie deren Ester | |
Phytoöstrogene (Isoflavonoide und Lignane) | |
Tannine (z. B. oligomere Procyanidine (OPC)) | |
nicht-kariogene Süßstoffe (z. B. Palatinose, Maltit(ol), Sorbit(ol), Xylit(ol) |
Funktionelle Lebensmittel: Tab. 3. In den USA zugelassene gesundheitsbezogeneAussagen.
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Calcium | Osteoporose | |
Natrium | Bluthochdruck | |
Fettgehalt in Lebensmitteln | Krebs | |
gesättigte Fettsäuren und Cholesterin | koronare Herzkrankheit | |
Obst, Gemüse und Getreideprodukte, die Ballaststoffe, speziell lösliche Ballaststoffe enthalten | koronare Herzkrankheit | |
Lebensmittel, die lösliche Ballaststoffe aus Hafer oder Psyllium enthalten | koronare Herzkrankheit | |
Obst und Gemüse | Krebs | |
Zuckeralkohole | Karies | |
Folat | Neuralrohrdefekte | |
Pflanzensterin- bzw. -stanolester | koronare Herzkrankheit |
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