Lexikon der Ernährung: Nahrungsergänzungsmittel
Nahrungsergänzungsmittel
Maike Wolters, Andreas Hahn
Als Nahrungsergänzungsmittel wird eine breite Palette von Produkten angeboten (Tab. 1), die von Experten, Medien und Verbrauchern sehr unterschiedlich bewertet und kontrovers diskutiert werden. Während die Verwendung bestimmter Nährstoffsupplemente wie Folsäure von Institutionen wie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) für weite Bevölkerungskreise empfohlen wird, gilt der Nutzen zahlreicher anderer, insbesondere nicht essenzieller Substanzen vielfach als strittig. Verbraucher verknüpfen mit der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln weitreichende Hoffnungen insbesondere im Hinblick auf die Prävention degenerativer Erkrankungen. Sie sind jedoch durch die Vielfalt der angebotenen Substanzen und Dosierungen überfordert. Sinnvolle Produkte von Unsinnigem abzugrenzen, ist für den Laien schwierig.
Definition und Produktangebot
Bisher liegt keine juristisch verbindliche Definition des Begriffs Nahrungsergänzungsmittel vor. Im Allgemeinen werden darunter Lebensmittel verstanden, die physiologisch bedeutsame Nahrungsinhaltsstoffe in konzentrierter Form enthalten und als Kapseln, Tabletten, Kau- oder Brausetabletten angeboten werden. Nahrungsergänzungsmittel sind damit im Gegensatz zu funktionellen Lebensmitteln kein typischer Bestandteil einer üblichen Mahlzeit. Sie besitzen vielmehr den Zweck, die normale Ernährung mit ernährungsphysiologisch bedeutsamen Nahrungsinhaltsstoffen zu ergänzen. Ihre Aufgabe besteht nicht darin, Energie zu liefern. Sie sollen vor allem die Versorgung mit ernährungsphysiologisch notwendigen Stoffen sicherstellen und mögliche Engpässe durch einen erhöhten Bedarf oder eine einseitige Ernährung ausgleichen.
Da eine gesetzliche Grundlage für Nahrungsergänzungsmittel seit Jahren aussteht, werden die Produkte juristisch höchst unterschiedlich gehandhabt und führen in der Praxis immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten. Eine eindeutigere Situation soll ein Gesetz für Nahrungsergänzungsmittel auf europäischer Ebene bieten, das bereits vom Europarat verabschiedet wurde und vermutlich im Jahr 2002 in Kraft tritt. Da dieser Gesetzesentwurf bisher allerdings nur Vitamine und Mineralstoffe erfasst und zudem noch in nationales Recht umgesetzt werden muss, sind auch in Zukunft noch erhebliche Probleme bei der rechtlichen Beurteilung zu erwarten.
Die Vielfalt der am Markt angebotenen Produkte ist kaum überschaubar und erweitert sich ständig. Neben den klassischen Nährstoffen finden sich zunehmend Präparate mit Pflanzenextrakten, sekundären Pflanzenstoffen und Vitaminoiden auf dem Markt. Tabelle 1 zeigt Substanzen bzw. Lebensmittelinhaltsstoffe, die als Nahrungsergänzungsmittel angeboten werden.
Rechtliche Einordnung
Aus rechtlicher Sicht sind Nahrungsergänzungsmittel Lebensmittel. Sie erfüllen somit Funktionen im Sinne des § 1 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) und dienen überwiegend der Ernährung und / oder dem Genuss. Da der Genusswert bei den meisten Darreichungsformen, abgesehen von Kau- und Brausetabletten nicht gegeben ist, muss ein Ernährungswert vorliegen. Entgegen der heute gängigen ernährungsphysiologischen Sicht wird dieser Zweck in der Rechtsprechung häufig nur beim Vorhandensein essenzieller Nährstoffe anerkannt. Da Nahrungsergänzungsmittel schon durch ihr äußeres Erscheinungsbild und vielfach auch durch die Inhaltsstoffe Parallelen zu Arzneimitteln zeigen, bereitet die Abgrenzung beider Produktgruppen Schwierigkeiten. Grundlage für die rechtliche Beurteilung eines Produktes sind die Funktion und die Zweckbestimmung. Bei Lebensmitteln wie Nahrungsergänzungsmitteln muss der Ernährungszweck überwiegen. Dementsprechend dürfen nicht die für ein Arzneimittel typischen und in § 2 Arzneimittelgesetz (AMG) definierten Funktionen eines Arzneimittels wie beispielsweise die Prävention oder Heilung von Erkrankungen im Vordergrund stehen. Zur Beurteilung werden verschiedene Merkmale des Produktes herangezogen wie die Art und Dosierung der Inhaltsstoffe, die Darreichungsform, Werbeaussagen und die Kennzeichnung (Tab. 2).
Bei der Beurteilung von Produkten wurde bisher davon ausgegangen, dass es sich dann noch um Nahrungsergänzungsmittel handelt, wenn, wie vom Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) empfohlen, maximal die dreifache Höhe der von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen Tageszufuhr an Vitaminen enthalten ist. Aufgrund möglicher Nebenwirkungen sind die Vitamine A und D hiervon ausgenommen und dürfen nur in der einfachen Tagesempfehlung enthalten sein. Darüber hinaus liegen vom BgVV empfohlene Obergrenzen für Spurenelemente vor. Allerdings sind die empfohlenen Mengen nicht rechtsverbindlich und auch physiologisch nicht grundsätzlich als sinnvoll anzusehen. Welche Obergrenzen des Nährstoffgehaltes in Nahrungsergänzungsmitteln zukünftig zugelassen werden, ist derzeit nicht eindeutig zu sagen.
Da die Zweckbestimmung vorgibt, dass ein Nahrungsergänzungsmittel überwiegend der Ernährung dient, müssen jegliche Hinweise und Werbeaussagen, die beim Verbraucher arzneitypische Wirkungs- und Therapieerwartungen oder Assoziationen zu Arzneimitteln wecken, vermieden werden. Ein Produkt sollte den Hinweis „zur Nahrungsergänzung“ oder „Nahrungsergänzungsmittel“ tragen. Begriffe, die üblicherweise der Arzneimittelkennzeichnung vorbehalten sind, dürfen nicht verwendet werden. Hierzu gehören u. a. „Indikation“, „Dosierungs- oder Einnahmeempfehlung“, „frei von Nebenwirkungen“ und „Wechselwirkungen“. Aufgrund der Zweckbestimmung „zur Gewichtsreduktion“ sind z. B. die zahlreichen in Zeitschriften aggressiv beworbenen Mittel zum Abnehmen nicht als Nahrungsergänzungsmittel einzustufen, sondern es handelt sich – unabhängig davon, ob solche Präparate eine Wirkung besitzen oder nicht – um nicht zugelassene (und damit verbotene) Arzneimittel. Da sie jedoch häufig aus dem Ausland vertrieben werden, ist Behörden und Wettbewerbsverbänden ein Zugriff erschwert.
Regelungen zu Werbeaussagen für Nahrungsergänzungsmittel
Da Nahrungsergänzungsmittel dem LMBG unterliegen, müssen Anbieter auch die §§ 17 und 18 LMBG berücksichtigen, wonach irreführende und krankheitsbezogene Aussagen über ein Lebensmittel verboten sind. § 17 regelt Verbote zum Schutz vor Täuschung. So liegt beispielsweise eine Irreführung vor, wenn die Zufuhr einer verzichtbaren Substanz als lebensnotwendig bezeichnet wird, wenn Lebensmitteln der Anschein von Arzneimitteln gegeben wird oder ihnen Wirkungen beigelegt werden, die sie nach dem Stand der Wissenschaft nicht besitzen. Für die Richtigkeit der Behauptungen ist der Anbieter verantwortlich, wobei Verstöße relativ häufig vorkommen.
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 LMBG regelt das Verbot der gesundheitsbezogenen Werbung, wobei im Prinzip lediglich krankheitsbezogene Aussagen gemeint sind. Danach dürfen Lebensmittel nicht mit Aussagen beworben werden, die sich auf die Vorbeugung, Behandlung und Heilung von Krankheiten beziehen. Allgemeine gesundheitsbezogene Aussagen wie „Für Gesundheit und Wohlbefinden“ sind zulässig, wohingegen Verweise auf Organfunktionen, Symptome oder Krankheitsbilder verboten sind. Im Zuge der Diskussion um funktionelle Lebensmittel (s. a. Essay: Funktionelle Lebensmittel) zeichnet sich aber eine Liberalisierung ab, sodass in Zukunft möglicherweise Aussagen wie „Folsäure beugt dem Risiko von Neuralrohrdefekten vor“ möglich sein werden.
Der potenzielle Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln und Zielgruppen
Wie eingangs beschrieben, liegt nach allgemeiner Rechtsauffassung die Bedeutung von Nahrungsergänzungsmitteln darin, die übliche Ernährung mit ernährungsphysiologisch notwendigen Stoffen zu ergänzen, so die Versorgung zu sichern und Defizite durch einen erhöhten Bedarf oder eine einseitige Ernährung auszugleichen. In dieser Funktion sind Nahrungsergänzungsmittel von besonderem Nutzen. Diese Sichtweise ist allerdings ernährungsphysiologisch unzureichend und berücksichtigt nicht die präventiven Aspekte der Ernährung. Eine ausgewogene Ernährung soll nicht nur alle essenziellen Nährstoffe in ausreichender Menge liefern, sondern auch langfristig zur Gesunderhaltung beitragen. Im Wesentlichen können daher zwei Hauptfunktionen von Nahrungsergänzungsmitteln unterschieden werden, zum einen der Ausgleich von Defiziten bei erhöhtem Bedarf oder geringer Zufuhr und zum anderen die Prävention von Erkrankungen.
Den Nutzen von Nahrungsergänzungsmitteln nachzuweisen ist schwierig, in bestimmten Bereichen fast unmöglich. Verwender der Präparate profitieren vor allem dann von einer Supplementierung, wenn die Aufnahme bestimmter Nährstoffe mit der normalen Ernährung unzureichend ist. Tabelle 3 zeigt Nährstoffe, bei denen in der gesunden Durchschnittsbevölkerung in Deutschland die Zufuhr unterhalb der Empfehlung liegt.
Wenngleich dies aufgrund der in den Empfehlungen enthaltenen Sicherheitszuschläge nicht mit einer Unterversorgung gleichzusetzen ist, kann ein solcher Vergleich doch Hinweise auf mögliche Engpässe liefern.
Studien zeigen, dass der Effekt einer Supplementierung stark vom Versorgungsstatus abhängig ist und Personen, die schlecht versorgt sind, erwartungsgemäß am stärksten profitieren. So ergaben z. B. die Untersuchungen von Chandra und Mitarbeitern (1992), dass sich bei gesunden Senioren durch ein Multivitamin-Multimineralstoff-Präparat immunologische Parameter sowie das Auftreten von Infektionen verbessern lassen und diese Effekte um so ausgeprägter sind, je schlechter die Probanden vor der Supplementierung versorgt waren. Dementsprechend sollten Nahrungsergänzungsmittel unter den essenziellen Nährstoffen insbesondere solche Substanzen liefern, mit denen weite Bevölkerungskreise unzureichend versorgt sind, wie Jod und Folsäure.
Darüber hinaus lassen sich Risikogruppen definieren, die aufgrund physiologischer Besonderheiten einen erhöhten Bedarf oder durch andere Umstände eine verminderte Zufuhr bestimmter Nahrungsinhaltsstoffe aufweisen (Tab. 4).
Allerdings reichen in diesen Situationen nicht immer die in Nahrungsergänzungsmitteln enthaltenen Vitamin- und Mineralstoff-Dosierungen aus. So kann insbesondere bei Erkrankungen des Intestinaltraktes oder auszehrenden Erkrankungen eine deutlich höhere Zufuhr erforderlich werden. Dies gilt auch im Hinblick auf die bei vielen älteren Menschen durch eine chronisch atrophische Gastritis und verminderte Bereitstellung des intrinsischen Faktors beeinträchtigte Vitamin-B12-Verfügbarkeit. Bei diesen Personen gelingt es erst mit Dosierungen im Bereich von mehreren Hundert Mikrogramm eine ausreichende Vitamin-B12-Aufnahme durch passive Absorption zu erreichen. Neben weiteren möglichen Defiziten ist bei Senioren insbesondere die Vitamin-D-Versorgung als kritisch einzustufen. Die körpereigene Vitamin-D-Synthese in der Haut ist so weit reduziert, dass ein Ausgleich über die Nahrung kaum realisierbar ist. Der DACH-Referenzwert für Menschen über 65 Jahre liegt bei 10 µg Vitamin D pro Tag. Diese Menge ist über die Nahrung praktisch nicht erreichbar, so dass zum Teil eine generelle Empfehlung zur Supplementierung von Vitamin D, Calcium und Vitamin B12 für Menschen über 70 Jahre gegeben wird.
Die DACH-Referenzwerte tragen dem um etwa 40 % erhöhten Vitamin-C-Metabolismus des Rauchers Rechnung und empfehlen eine Zufuhr von 150 mg / Tag. Da im Durchschnitt bereits die für Nichtraucher empfohlenen 100 mg / Tag nicht aufgenommen werden, sind Raucher als Risikogruppe anzusehen.
Alkoholiker weisen aufgrund ihres erhöhten Bedarfs und der unzureichenden Nahrungszufuhr generelle Defizite an essenziellen Nährstoffen auf. Besonders häufig findet sich ein ausgeprägter Thiaminmangel, der je nach Untersuchung bei 9–80 % der Alkoholiker diagnostiziert wurde. Auch bei Patienten, die an nicht alkoholbedingten Lebererkrankungen leiden, waren bis zu 43 % thiamindefizient, wobei der Prozentsatz mit zunehmender Schwere der Erkrankung ansteigt. Darüber hinaus erhöht sich der Nährstoffbedarf bei anderen chronischen Erkrankungen, wie z. B. der Antioxidanzienbedarf bei Rheuma.
Präventive Effekte
Der Nutzen einer Supplementierung bei unzureichender Versorgung und erhöhtem Bedarf ist unstrittig. Wesentlich aufwändiger ist der Beleg präventiver Effekte von Nahrungsergänzungsmitteln, da diese erst nach sehr langen Zeiträumen zum Tragen kommen und viele Confounder (Störfaktoren) die Beurteilung erschweren. Giovannucci und Mitarbeitern (1998) gelang es anhand der Daten der Nurses Health Study zu belegen, dass die Verwenderinnen folsäurehaltiger Multivitaminpräparate nach 15 Jahren ein vermindertes Coloncarcinomrisiko aufweisen. Vor Ablauf dieses Zeitraums zeigten sich keine signifikanten Effekte. Dieses Beispiel macht deutlich, wie schwierig es ist, Effekte einer Supplementierung umfassend und differenziert nachzuweisen.
Als wissenschaftlich gesichert gilt die Bedeutung der Folsäure-Supplementierung in der Prävention von Neuralrohrdefekten, sodass von der DGE eine generelle Supplementierungsempfehlung für alle Frauen, die schwanger werden könnten, gegeben wird. Positive Wirkungen sind zudem von Supplementen mit Folsäure, Vitamin B12 und Vitamin B6 durch die Reduzierung des Homocysteinspiegels auf das Arteriosklerose-Risiko zu erwarten. Homocystein gilt als eigenständiger Risikofaktor in diesem Geschehen. Im Hinblick auf atherosklerotische Veränderungen werden auch durch eine Vitamin-E-Supplementierung, die etwas oberhalb der Empfehlung liegt, präventive Effekte vermutet. Diese Mengen über Lebensmittel aufzunehmen, ist zwar theoretisch über pflanzliche Öle und Nüsse möglich, führt jedoch gleichzeitig zu einer Erhöhung der Zufuhr an mehrfach ungesättigten Fettsäuren, wodurch wiederum der Vitamin-E-Bedarf steigt und die Verfügbarkeit des Vitamins sinkt.
Von präventivem und therapeutischen Nutzen sind ω-3-Fettsäuren, die bei Hyperlipidämien nachweislich eine Senkung insbesondere der Plasma-Triglyceride herbeiführen können und das Arteriosklerose-Risiko zudem über eine Änderung des Eicosanoidprofils senken. Diese Effekte können auch durch eine deutliche Steigerung des Verzehrs fettreicher Fische wie Lachs und Makrele erzielt werden, bei Abneigung gegenüber Fisch und erwünschter hoher Dosierungen sind jedoch standardisierte Supplemente geeigneter.
Weitere Effekte von Nahrungsergänzungsmitteln
Neben präventiven Effekten durch essenzielle Nährstoffe werden auch positive Wirkungen auf die Gesunderhaltung durch verschiedene nicht essenzielle Nahrungsinhaltsstoffe diskutiert. So können Phospholipide wie Phosphatidylcholin (Lecithin) und Phosphatidylserin bei älteren Menschen zur Erhaltung der kognitiven Leistungsfähigkeit beitragen. Daneben üben probiotische Bakterienkulturen gesundheitsfördernde Effekte auf die Darmgesundheit aus, indem sie das Gleichgewicht aus pathogenen und apathogenen Mikroorganismen der Darmflora positiv beeinflussen. Mit Phytosterinen angereicherte Nahrungsergänzungsmittel könnten zur Regulierung des Cholesterolspiegels präventiv eingesetzt werden und Carotinoide, insbesondere Lycopin, bieten mögliche Schutzeffekte gegenüber oxidativen Einflüssen.
In der gesunden Allgemeinbevölkerung sind Multivitamin-Multimineralstoff-Präparate in physiologischer Dosierung vermutlich am Sinnvollsten, da sie eventuelle Bedarfsdeckungslücken ausgleichen und von ihnen gleichzeitig keine Risiken ausgehen. Darüber hinaus können aber zusätzliche Gaben an Mengenelementen wie Calcium und Magnesium, die in diesen Präparaten nur in geringer Menge enthalten sind, bei bestimmten Personenkreisen von Nutzen sein.
Unstrittig ist, dass unter dem Begriff Nahrungsergänzungsmittel auch zahlreiche Produkte angeboten werden, die keine ernährungsphysiologische Bedeutung besitzen und daher völlig nutzlos sind, so z. B. Apfelessigkapseln oder die Vielzahl nicht legal vertriebener Gewichtsreduktionsprodukte. Eine bessere Verbraucheraufklärung wäre in dieser Hinsicht wünschenswert.
Potenzielle Risiken durch Nahrungsergänzungsmittel
Nahrungsergänzungsmittel sollen helfen, ernährungsbedingte Risiken durch eine unzureichende Aufnahme bestimmter Substanzen auszugleichen. Unverzichtbare Voraussetzung ist dabei, dass von den Produkten selbst keine Gesundheitsgefahr ausgeht. Für die meisten Nährstoffe ist eine weit über den Bedarf hinausgehende Zufuhr ohne Nebenwirkungen möglich. Es ergibt sich ein breiter Indifferenzbereich, innerhalb dessen der Nährstoff vermindert absorbiert, vermehrt gespeichert und / oder verstärkt ausgeschieden wird (Dosis-WirkungsbeziehungAbb.).
Dies wird auch anhand der toxikologischen Kenndaten deutlich, wonach bei den meisten Mikronährstoffen nach einer Übersicht von Hathcock (1997) eine große therapeutische Breite besteht (Tab. 5).
Ausnahmen stellen insbesondere die Vitamine A und D sowie eine Reihe von Spurenelementen dar. Nach dem heutigen Kenntnisstand ist allerdings der für β-Carotin angegebene Wert zu hoch, da die Ergebnisse zweier Interventionsstudien mit 20 bzw. 30 mg β-Carotin bei langjährigen Rauchern ein erhöhtes Bronchialcarcinomrisiko in der Verumgruppe ergaben. Daher liegt der NOAEL vermutlich eher bei 10 mg. Die Ergebnisse dieser Studien machen deutlich, dass eine Supplementierung ohne therapeutischen Anspruch nur mit physiologischen Dosierungen erfolgen sollte, die auch über die Nahrung erreichbar sind.
Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen ist die Gefahr von Überdosierungen durch Nahrungsergänzungsmittel, die legal im Handel sind, und gemäß der Verzehrsempfehlung verwendet werden, gering. Lediglich bei regelmäßiger hochdosierter Verwendung einzelner Substanzen, wie z. B. durch eine langfristige Calciumeinnahme zur Mahlzeit, sind Imbalanzen durch Hemmung der Absorption anderer zweiwertiger Kationen denkbar.
Die Diskussion um die krankheitsschützenden Wirkungen durch sekundäre Pflanzenstoffe hat dazu geführt, dass diese in Form von Einzelsubstanzen oder Extrakten vermehrt in Nahrungsergänzungsmitteln eingesetzt werden. Dies könnte sinnvoll sein, sollte jedoch vor dem Hintergrund des weitgehend unbekannten toxikologischen Potenzials ebenfalls ausschließlich in Dosierungen erfolgen, die auch mit üblichen Lebensmitteln erreichbar sind.
Verwendungshäufigkeit von Nahrungsergänzungsmitteln und Erwartungen
Studien zur Einnahmeprävalenz von Nährstoffsupplementen haben gezeigt, dass 20–35 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland derartige Produkte verwenden. Dabei nehmen Frauen zu einem höheren Anteil Supplemente ein als Männer. Zudem besteht entsprechend den Beobachtungen internationaler Studien auch eine positive Korrelation zum steigenden Lebensalter und einem höheren Bildungsstand.
Neben dem Schutz vor Krankheiten erhoffen sich Verbraucher auch den Ausgleich einer unausgewogenen Ernährung durch die Produkte. Dabei zeigt sich jedoch, dass sich die Verwender von Nahrungsergänzungsmitteln ausgewogener ernähren als die Durchschnittsbevölkerung und ein überdurchschnittliches Gesundheitsbewusstsein aufweisen.
Ausblick
Nahrungsergänzungsmittel werden nicht zuletzt durch den Anstieg des Anteils älterer Menschen in der Bevölkerung weiter an Bedeutung gewinnen. Sie besitzen eine Berechtigung, wenn sie helfen, Ernährungsfehler zu korrigieren oder wenn sie präventive Wirkungen ausüben. Wann dies im Einzelfall gegeben ist, kann in der Praxis nicht beurteilt werden. Verbraucher sind bei der Wahl eines Produktes in der Regel überfordert, sodass ein hoher Beratungsbedarf besteht. Nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft kann Menschen, die ein Nahrungsergänzungmittel verwenden möchten (ohne Berücksichtigung individueller Ernährungsrisiken), in erster Linie ein physiologisch dosiertes Multivitamin-Multimineralstoff-Präparat empfohlen werden. Grundvoraussetzung für detaillierte Empfehlungen im Hinblick auf spezielle Zielgruppen sind weitere klinische Studien.
Weiterführende Literatur
BgVV (Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin): Fragen und Antworten zu Nahrungsergänzungsmitteln. (1998).
B. Fischer u. A. Döring: Häufigkeit der Einnahme von Vitamin- und Mineralstoffpräparaten. Vergleich nationaler und internationaler Studien. Ernährungs-Umschau46 (1999) 44–47.
R. Großklaus: Die Bewertung von Nahrungsergänzungsmitteln aus der Sicht des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes. Ernährungs-Umschau47 (2000) 132–141.
A. Hahn: Nahrungsergänzungsmittel. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart (2001).
A. Hahn u. M. Wolters: Nahrungsergänzungsmittel – Eine Bestandsaufnahme. I. Einordnung, Marktsituation und Verbraucherverhalten. ERNO1 (3) (2000) 167–175.
A. Hahn u. M. Wolters: Nahrungsergänzungsmittel – Eine Bestandsaufnahme. II. Zielgruppen, Nutzen, Risiken. ERNO1 (4) (2000) 215–230.
J. N. Hathcock (Council for Responsible Nutrition): Vitamin and mineral safety. Council for Responsible Nutrition, Washington DC (1997).
M. Wolters u. A. Hahn, Nährstoffsupplemente aus Sicht des Konsumenten. Ernährungs-Umschau48 (2001) 136–141.
Nahrungsergänzungsmittel: Tab. 1: Als Nahrungsergänzungsmittel angebotene Substanzen.
| ||
Vitamine und Provitamine | Ascorbinsäure, Vitamin E, Folsäure, β-Carotin | |
Vitaminoide | Coenzym Q10, α-Liponsäure, Inositol | |
Mengen- und Spurenelemente | Calcium, Magnesium, Eisen, Zink, Chrom, Molybdän | |
Fettsäuren und Phospholipide | ω-3-Fettsäuren (Fischöle), ω-6-Fettsäuren (Borretsch-, Nachtkerzenöl), Lecithin, Phosphatidylserin | |
Aminosäuren und Aminosäurederivate | L-Lysin, L-Cystein, L-Carnitin | |
Peptide und Proteine | Glutathion, Gelatine | |
Kohlenhydrate | Inulin, Oligofructose | |
sekundäre Pflanzenstoffe (engl. phytochemicals) | Lycopin, Phytosterine, Polyphenole | |
makromolekulare Naturstoffe | Kieselerde | |
Pflanzenextrakte, Produkte tierischen Ursprungs, auch chemisch modifiziert | Obstkonzentrate, Gemüsekonzentrate, Haifischknorpel | |
Sonstiges | Bierhefe, Gelée Royale, Algen, probiotische Bakterienkulturen |
Nahrungsergänzungsmittel: Tab. 2: Unterscheidungskriterien zwischen Nahrungsergänzungsmitteln und Arzneimitteln [mod. n. Wörner, 1996].
| |||
Aufmachung des Produktes | Lebensmittelkennzeichnungsverordnung u. diverse spezielle Kenzeichnungsvorschriften | § 10 AMG Kennzeichnung § 11 AMG Packungsbeilage § 11 a AMG Fachinformation | |
Zweck | Ernährung und Genuss | Heilung, Linderung und Vorbeugung von Erkrankungen | |
Herstellung | Gewerbeerlaubnis (Zuverlässigkeit) | § 13 AMG Herstellungserlaubnis (§ 14 Zuverlässigkeit und Sachkunde) | |
Betriebsorganisation | – | § 14 ff AMG Herstellungsleiter, Kontrollleiter, Vertriebsleiter | |
Verkehrsfähigkeit | – | präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt: → Zulassung nach § 21 AMG; → Registrierung nach § 38 AMG | |
Umfang und Inhalt der Werbung | § 17 LMBG Verbot zum Schutz vor Täuschung § 18 LMBG Verbot der gesundheitsbezogenen Werbung | § 1 HWG | |
Überwachung | § 40 LMBG | § 69 AMG |
Nahrungsergänzungsmittel: Tab. 3: Kritische Nährstoffe in der gesunden Durchschnittsbevölkerung in Deutschland, Vergleich Empfehlung versus Zufuhr.
| ||
Calcium | Frauen und Männer, in allen Altersgruppen | |
Magnesium | Frauen und Männer, fast alle Altersgruppen | |
Eisen | Frauen im gebärfähigen Alter | |
Jod | Gesamtbevölkerung, durchschnittl. Zufuhr < 50 % der Empfehlung | |
Vitamin D | Frauen < 25 Jahre, Frauen und Männer > 65 Jahre | |
Vitamin E | Frauen und Männer, fast alle Altersgruppen unterhalb des Schätzwertes | |
Carotinoide | Frauen und Männer, fast alle Altersgruppen: nur der untere Schätzwert von 2–4 mg wird erreicht | |
Vitamin C | Frauen und Männer, alle Altersgruppen | |
Folsäure | Frauen und Männer, alle Altersgruppen, Frauen erreichen durchschnittlich nur 50 % der Empfehlung |
Nahrungsergänzungsmittel: Tab. 4. Situationen und Personengruppen, bei denen Nährstoffdefizite aufgrund unzureichender Aufnahme oder erhöhtem Bedarf gehäuft auftreten.
|
Nahrungsergänzungsmittel: Tab. 5: Toxikologische Kenndaten von Vitaminen und Mineralstoffen im Vergleich zur empfohlenen Zufuhr.
| |||||
Vitamin A | mg RÄ4 | 1,0 / 0,8 | 3,0 | 6,5 | |
β-Carotin (und Carotinoide) | mg | 2–4 | 255 | –6 | |
Vitamin D | µg | 5,0 | 20 | 50 | |
Vitamin E | mg TÄ7 | 14 / 12 | 800 | – | |
Vitamin K (Phyllochinon) | µg | 70 / 60 | 30.0008 | – | |
Vitamin C | mg | 100 | > 1.000 | – | |
Vitamin B1 | mg | 1,2 / 1,0 | 50 | – | |
Vitamin B2 | mg | 1,4 / 1,2 | 200 | – | |
Nicotinsäure | mg | 16 / 13 | 500 | 1.000 | |
Nicotinsäureamid | mg | 16 / 13 | 1.500 | 3.000 | |
Vitamin B6 | mg | 1,5 / 1,2 | 200 | 500 | |
Folsäure | µg FÄ9 | 400 | 1.000 | – | |
Vitamin B12 | µg | 3,0 | 3.000 | – | |
Biotin | µg | 30–60 | 2.500 | – | |
Pantothensäure | mg | 6,0 | 1.000 | – | |
Calcium | mg | 1.000 | 1.500 | > 2.500 | |
Phosphor | mg | 700 | 1.500 | > 2.500 | |
Magnesium | mg | 350 / 300 | 700 | – | |
Chrom III | µg | 30–100 | 1.000 | – | |
Kupfer | mg | 1,0–1,5 | 9 | – | |
Jod | µg | 200 | 1.000 | – | |
Eisen | mg | 10 (15)10 | 65 | 100 | |
Mangan | mg | 2,0–5,0 | 10 | – | |
Molybdän | µg | 50–100 | 350 | – | |
Selen | µg | 30–70 | 200 | 910 | |
Zink | mg | 10 / 7 | 30 | 60 |
1 Empfehlungen, bzw. Schätzwerte für eine angemessene Zufuhr der DGE für die Altersgruppe 25–51, Männer / Frauen; 2 No Observed Adverse (ungünstiger) Effect Level (s. a. NOEL); 3 Lowest Observed Adverse Effect Level; 4 Retinoläquivalent; 5 zu hoher Wert; 6 nicht festgesetzt; 7 Tocopheroläquivalent; 8 gilt nicht bei Einnahme von Cumarinen; 9 Folsäureäquivalent; 10 Frauen im gebärfähigen Alter
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.